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Rheinmetall in Russland: Ein fragwürdiges Geschäft – was geschah in Mulino?


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Rheinmetall in Russland
Was geschah in Mulino?


Aktualisiert am 29.08.2022Lesedauer: 6 Min.
Haubitzen in Mulino (Archivbild): Russland führte in dem Trainingszentrum groß angelegte Militärübungen durch.Vergrößern des Bildes
Haubitzen in Mulino (Archivbild): Russland führte in dem Trainingszentrum groß angelegte Militärübungen durch. (Quelle: Sergei Savostyanov via Imago Images)
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Rheinmetall steht wegen seines Russlandgeschäfts in der Kritik. Der Rüstungskonzern könnte tief in die Vorbereitung von Putins Angriffskrieg verstrickt sein.

Dieser Vorwurf gegen Rheinmetall hält sich hartnäckig: Seit Monaten kursiert die Anschuldigung, der deutsche Rüstungskonzern habe eine maßgebliche Rolle bei Russlands Vorbereitungen auf den Krieg gegen die Ukraine gespielt. So macht etwa der Journalist Kamil Galeev wiederholt darauf aufmerksam, dass Rheinmetall im russischen Mulino eines der größten Ausbildungszentren der russischen Armee errichtet haben soll. Er behauptet: Bis 2019 habe der Konzern noch Lieferungen für die Fertigstellung des Zentrums getätigt, obwohl die Geschäfte nach Russlands Annexion der Krim eigentlich auf Eis hätten liegen sollen.

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Dieses Übungszentrum soll der russische Präsident Wladimir Putin maßgeblich für die Ausbildung der Soldaten genutzt haben, die seit Februar einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führen. Galeev wirft dem Rüstungskonzern daher vor, eine immense Verantwortung in der Vorbereitung des russischen Angriffskriegs zu haben.

Ein Blick zurück

Was genau steckt hinter dem Projekt, um das sich die Vorwürfe drehen? 2011 ergatterte Rheinmetall den Großauftrag, ein Trainingszentrum für die russische Armee in Mulino – rund 350 Kilometer östlich von Moskau – zu errichten. Der Deal sollte dem Konzern über 100 Millionen Euro einspielen, bis zu 30.000 russische Soldaten sollten hier ausgebildet werden. Nach der Krim-Annexion 2014 verhängte die Europäische Union allerdings umfassende Sanktionen gegen Russland. Rheinmetall musste seine Auslieferungen nach Mulino stoppen. Offiziell übernahm die russische Firma Garnizon daraufhin den Bau des Zentrums, 2020 wurde es fertiggestellt.

Angaben des US-amerikanischen Portals Import Genius wecken allerdings Zweifel daran, dass Rheinmetall sein Engagement in Mulino gänzlich beendet hat. Import Genius zeichnet weltweit Importe und Exporte von mehreren Millionen Unternehmen auf. In diesen Daten ist auch eine Liste von Lieferungen enthalten, die die Tochterfirma Rheinmetall Defence Electronics GmbH 2019 an Garnizon getätigt haben soll. Sie umfasst Einzelteile, die für die Montage eines Modellierungs- und Simulationssystems vorgesehen sind. Die Liste liegt t-online vor. Auch Galeev hatte in seinen Tweets mehrmals auf die Daten des Portals hingewiesen. Sollten die Angaben korrekt sein, würde dies darauf hindeuten, dass Rheinmetall die Sanktionen umgangen hat.

Rheinmetall widerspricht

Rheinmetall weist die Vorwürfe jedoch entschieden zurück. "Die Anwürfe auf Twitter entbehren jeglicher Grundlage", teilte ein Sprecher des Konzerns mit. "Rheinmetall wurde zwar 2011 mit der Lieferung von Simulationstechnik für einen Übungsplatz am russischen Standort Mulino beauftragt. Damals bestanden offizielle Verbindungen zwischen der russischen Armee und der Bundeswehr sowie enge politische Beziehungen beider Länder." Nach der Krim-Annexion aber sei das Projekt nicht weiterverfolgt worden, betonte der Sprecher.

Mit Blick auf die Lieferliste von Import Genius teilt Rheinmetall mit: "Die im Portal genannten angeblichen Lieferdaten stimmen exakt mit dem Datum der letzten Aktualisierung der entsprechenden Seite überein. Wir gehen daher davon aus, dass es sich um einen Darstellungsfehler handelt." Heißt: Das genannte Datum könnte nach Angaben Rheinmetalls nicht das Lieferdatum sein, sondern das Datum, an dem die Daten in dem Portal aktualisiert worden sind. Der Sprecher betonte, es hätten definitiv keine genehmigungspflichtigen Ausfuhren nach Rücknahme der Ausfuhrgenehmigungen im Jahr 2014 stattgefunden. Seitdem bestehe auch keine Verbindung mehr zu der Firma Garnizon.

t-online wandte sich an das Portal selbst. Auf Anfrage hat das für die Datenbank zuständige Team geprüft, ob die Argumentation von Rheinmetall korrekt ist. Import Genius teilte mit: "Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass unsere Angaben ungenau sind. Unsere russischen Daten werden monatlich aktualisiert, Lieferung werden tagesgenau verfolgt." Zwar verwende man die Datenquelle nicht mehr, von der die Angaben zu Rheinmetall-Lieferungen im Jahr 2019 zur Verfügung gestellt wurden. "Aber wir stehen zur Genauigkeit unserer Daten", hieß es seitens Import Genius.

Jahresgewinne in Russland

Neben den Angaben des Portals werfen weitere Zahlen Fragen auf: In den Geschäftsberichten des Konzerns sind auch nach 2014 Gewinne aufgelistet, die in Russland erzielt wurden – etwa durch die Tochtergesellschaft ORR Training Systems LLC, Moskau. Gegründet wurde diese Gesellschaft im März 2012 mit dem Ziel, den Marktauftritt des Simulationsbereichs, also den Bereich für Trainingslösungen, in Russland zu festigen, nachdem das Großprojekt in Mulino an Land gezogen worden war.

Ab dem Jahr 2014 verzeichnete ORR Training Systems LLC zunächst hohe Verluste, die auf die Sanktionen infolge der Krim-Annexion zurückgeführt werden können. Doch 2019 taucht im Geschäftsbericht plötzlich ein positives Jahresergebnis von 1.000 Euro, im Jahr 2020 dann von 35.000 Euro auf.

Russischen Datenbanken zufolge bestand zudem durchaus weiterhin eine Verbindung zwischen ORR Training Systems LLC sowie einem weiteren Tochterunternehmen, Rheinmetall Ltd. Moskau, und der Firma Garnizon. Laut dem russischen Wirtschaftsportal audit-it soll Garnizon beispielsweise bis zum vergangenen Jahr Verwaltungsgesellschaft von ORR Training Systems gewesen sein.

Rheinmetall argumentiert mit Lizenzvertrag

Was ist dran an der Verbindung zu Garnizon nach 2014, warum besteht die Gesellschaft ORR Training Systems LLC überhaupt noch, nachdem das Engagement in Mulino beendet wurde – und wo kommen die Gewinne her? Auf Anfrage teilte Rheinmetall mit: "Die von Ihnen festgestellten Verbindungen ergeben sich aus den damaligen Vertragskonstellationen im Jahre 2012, diese wurden aber von den Ereignissen überholt und sind mittlerweile obsolet. So wurde im Jahr 2012 aus unternehmerischen Überlegungen ein Software-Lizenzvertrag mit zehn Jahren Laufzeit vereinbart, weshalb die besagte Gesellschaft formal noch besteht."

Seit Inkrafttreten der Ausfuhrbeschränkungen im Jahr 2014 betreibe sie aber kein Militärgeschäft mehr. "Es handelt sich um eine bloße Mantelgesellschaft ohne jegliches operative Geschäft", so der Sprecher.

Ob diese Argumentation plausibel ist, kann dem Rechtsexperten Stefan Geisthardt zufolge nur allgemein beantwortet werden. Hierfür müssten die Details der Lizenzvereinbarung vorliegen, erklärte er. Sei kein Sonderkündigungsrecht vorgesehen, so gelte die vertragliche Laufzeit. Im Falle einer vorzeitigen (Sonder-)Kündigung könnten möglicherweise Entschädigungszahlungen fällig werden, sofern sie vereinbart worden seien.

Ersatzteilgeschäft in Russland

Auch das zweite genannte Tochterunternehmen, Rheinmetall Ltd. Moskau, verzeichnete nach 2014 Gewinne in Russland: In den Jahren 2013 bis 2019 erwirtschaftete es durchgehend positive Jahresgewinne, insgesamt in Höhe von über 200.000 Euro.

Auf Anfrage von t-online erklärte Rheinmetall, dass das Unternehmen als Automobilzulieferer auch im zivilen Geschäft tätig gewesen sei und in diesem Zusammenhang, wenngleich in geringem Umfang, Ersatzteile an private Automobilwerkstätten in Russland geliefert habe. "Diese – nach 2014 nicht sanktionierten – Aktivitäten wurden mittlerweile eingestellt", heißt es aus dem Konzern.

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Zu der Frage, ob die Argumentation des Ersatzteilgeschäfts wirklich glaubhaft ist oder ob es sich um eine Lücke in den Vorschriften gehandelt haben könnte, konnten sich mehrere Rüstungsexperten nicht konkret äußern: Vorstellbar sei vieles, hieß es als Antwort auf die Anfrage von t-online. Aber hier begebe man sich auf das Feld der Spekulation.

Nicht der erste Vorwurf

Das Russlandgeschäft von Rheinmetall ist kein unbeschriebenes Blatt: Bereits 2019 ermittelte die Staatsanwaltschaft Bremen gegen zwei Manager der Konzerntochter Rheinmetall Defence Electronics GmbH. Sie sollen Schmiergelder über eine Briefkastenfirma nach Russland gezahlt haben. Die Zahlungen sollen bis 2014 geflossen sein. 2020 wurden die Ermittlungen gegen eine Geldauflage eingestellt. Correctiv und "Welt" hatten darüber berichtet.

Unter Korruptionsverdacht standen Rheinmetall-Manager überdies schon einmal: Zwischen 1998 und 2011 sollen fünf ehemalige Manager der Rheinmetall Defence Electronics GmbH mehrere Millionen Euro Schmiergelder an griechische Amtsträger bezahlt haben, um einen Auftrag für ein Flugabwehrsystem zu bekommen. Rheinmetall-Chef Armin Papperger gelobte damals Besserung.

Recherche zeigte Wirkung

Weitere Berichte zeigen, wie andere Unternehmen aus der Waffenindustrie Sanktionen in der Vergangenheit umgangen haben. Ein Rechercheteam des ZDF hat etwa die Importe des russischen Waffenkonzerns Kalashnikov untersucht und aufgedeckt, dass der Konzern trotz Strafmaßnahmen Lieferungen aus Deutschland erhalten hat. Eine Auswertung interner E-Mails aus Russlands Rüstungsindustrie belastete insbesondere Gühring, einen schwäbischen Hersteller für Bohrwerkzeuge.

Nachfragen des Senders habe der Hersteller ignoriert, doch die Recherche zeigte dennoch Wirkung: Wenige Wochen nach der ZDF-Anfrage gab Gühring auf seiner Website bekannt, alle Geschäfte in Russland einzustellen.

Beweise wie interne E-Mails im Fall Gühring liegen mit Blick auf Rheinmetall zwar nicht vor. Es besteht kein endgültiger Nachweis, dass Rheinmetall in den letzten Jahren Sanktionen umgangen hat – die Aussagen gehen auseinander. Dennoch bleiben einige Fragen offen: Wenn die Gewinne von Rheinmetall Ltd. Moskau mit dem Ersatzteilgeschäft zu erklären sind, woher kommen dann die Gewinne von ORR Training Systems LLC aus den Jahren 2019 und 2020? Und kann wirklich ausgeschlossen werden, dass es sich bei den Ersatzteilen nicht um Dual-Use-Güter handelt – die nicht nur zivil, sondern auch militärisch nutzbar gewesen sind? Auf Nachfrage ließ Rheinmetall dies unbeantwortet.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Statements von Rheinmetall auf Anfrage von t-online
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