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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Markus Söder: Vollgas-Politiker dreht frei – Gefahr für neue Regierung?


Markus Söders Kapriolen
Der Kanzler heißt Merz? Mir doch egal

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 17.04.2025Lesedauer: 5 Min.
Markus Söder als ElvisVergrößern des Bildes
Der King: Markus Söder als Elvis. (Quelle: IMAGO/Heiko Becker)
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Markus Söder war immer schon ein Vollgaspolitiker. Aber neuerdings dreht er völlig frei. Warum ist das so? Und was heißt das für die kommende Regierung?

Es ist schon ein paar Tage her, aber die Szene hat sich ganz fest eingenistet in meiner Erinnerung. Im Herbst 2012 arbeitete ich an einer Titelgeschichte für "Cicero" und fand mich dafür in einem beeindruckend weitläufigen Büro im bayerischen Finanzministerium wieder. Im Vorgeplänkel – wir hatten uns einige Zeit nicht mehr gesehen – erzählte ich dem seinerzeit amtierenden Finanzminister Markus Söder von meinem frischen Wechsel vom "Spiegel" zu "Cicero" und von einer gewissen Sorge, dass die Zugänge in Büros wie dieses mit der neuen Visitenkarte nicht mehr so leicht sein könnten. Weil das Magazin eben nicht so bekannt und wirkmächtig sei wie jenes aus Hamburg.

"Keine Sorge. Sie irren sich", sagte Söder mit einem Blick, der keinen Widerspruch zuließ. Es habe sich da etwas verändert im Journalismus und nicht nur da, fuhr der gelernte Journalist Söder fort. Nicht mehr der "Spiegel" oder "Cicero" oder was auch immer sei die entscheidende Marke. "Sie sind die Marke." Oder halt auch nicht.

Zwei Dinge kann man von diesem Satz und dem dahinterstehenden Gedanken ableiten. Erstens: Dieser Mann hat ein sehr feines Gespür für Strömungen und Entwicklungen. Denn zu jener Zeit gab es noch keinen einzigen Podcast oder sonstige Plattformen für das hemmungslose Ausleben des eigenen Egos in unserer Branche. Zweitens: Er hat diese Erkenntnis für sich selbst beherzigt. Und lebt sie in diesen Tagen und Wochen unverstellter aus denn je. Ist doch auch egal, wer Kanzler ist. Ich bin die Marke. Die Marke Markus. Und diese Marke hat Wucht.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.

Was hat er nicht alles getan, um dieses Branding voranzutreiben, wie die Fachleute Markenbildung nennen. Nicht immer ganz konsistent in den Inhalten, aber sehr konsequent im Erheischen von Aufmerksamkeit. Er hat Bäume umarmt, als das Waldbaden (was für ein blödsinniger Begriff) aufkam. Er hat gegen Grüne gepestet, wenn es sich in einschlägigen Kreisen gut macht. Er hat sich erlesen hässliche Klamotten übergezogen und sich als alles Mögliche verkleidet. Komplett schmerzfrei. Er hat sich als Retter der Bratwurst verkauft und als einer, der den Salat für sich entdeckt. Die jüngste Show in Indien ging, nun ja, ein wenig in die Hose. Aber auch das noch inszenierte Söder mit Toast und Tee am nächsten Morgen.

Video | Söder überrascht mit Kopfbedeckung
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Quelle: t-online

Die endgültige Loslösung von allen anderen Labels wie etwa einer Parteizugehörigkeit und einem Bündnis mit einer großen Schwesterpartei hat sich erst in den vergangenen Tagen vollzogen. Wer es nicht gesehen hat, sollte sich das bei YouTube oder sonst wo noch mal anschauen: die Vorstellung des Koalitionsvertrages durch die großen Vier. Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken trugen fokussiert vor und habituell dem historischen Moment Rechnung. Söder, an einem Ende der Viererkette, daddelte auf seinem Smartphone und schickte Augenbrauengrüße zu Bekannten ins Auditorium, während die anderen sprachen. Schließlich selbst an der Reihe, rühmte er erwartbar die ausgeweitete Mütterrente, die säkulare Form des Marienwinkels in der katholischen CSU. Weniger erwartbar aus der Sicht der meisten, jedenfalls der drei anderen auf dem Podium, kam an der Stelle Beifall aus dem Publikum. "Seht ihr", drehte sich Söder daraufhin zu allen dreien gleichermaßen: "Ich hab's euch doch gesagt, ich hab' recht!"

Doppelrolle am Hofe Merz

Diese Szene wird als Sinnbild für die Arbeit dieser Koalition stehen. Da sitzt einer in München und denkt sich: Mir doch egal, wer Kanzler und wer Vizekanzler ist. Ich bin Schatten-, Neben-, Sonderkanzler, nennt das, wie ihr wollt. Am Hofe des Friedrich Merz werde ich zwei Rollen auf einmal ausfüllen. Jene des Hofnarren, der den König erheitert, aber eben auch als Einziger, der ihn mit Kritik im Gewande der Komik angehen darf. Und jene des Hausmeiers, also des KvD, des Königs vom Dienst. Und nur, dass ihr das wisst: Ich werde jetzt häufig nach Berlin kommen und nach dem Rechten sehen. Friedrich Merz und Lars Klingbeil dürfen das als das verstehen, was es ist: eine Drohung. Sie besagt: Die wichtigste Sitzung ist nicht jene des Kabinetts am Mittwoch. Das einzig wichtige Gremium ist jenes, in dem auch ich sitze und das es in der Verfassung gar nicht gibt: der Koalitionsausschuss. Was einem Donald Trump sein Dekret, das er im Dutzend mit seinem dicken Filzstift zeichnet. Das wird bei Markus Söder der Koalitionsausschuss sein, jede Wette. Die Ausnahme wird zur Regel werden.

Ihm ist schlicht langweilig in Bayern. Ministerpräsident? Gähn. Kanzler? Wird ein anderer werden. Der große Reiz ist weg. In diesem Ennui, wie der Franzose Langeweile im Luxus nennt, gähnt eine große Gefahr. Es hat in diesem Zustand schon mal ein Herrscher von Rom seine eigene Stadt angezündet, um etwas Abwechslung zu haben. Warum also nicht eine Koalition in Berlin?

Wann fielen die letzten Hemmungen?

Es ist nicht eindeutig zu belegen, wann Söder den letzten Rest an Hemmung abgelegt hat, jetzt nur noch sein Ding zu machen. Vermutlich war der entscheidende Wendepunkt jener Tag, den die Kollegin Sara Sievert in ihrem Buch über Friedrich Merz beschrieben hat. Hier der Auszug: "Als Friedrich Merz und Markus Söder sich Anfang August treffen, teilt der CDU-Vorsitzende dem CSU-Chef erstmals in aller Klarheit mit, was er sich vorstellt. Merz sagt Söder sinngemäß: Ich will es machen. Woraufhin Söder erwidert haben soll: Ich auch. Man spielt den Ball etwas hin und her. Am Ende gehen die beiden Männer erst mal ohne Ergebnis auseinander. Man vereinbart, in Kontakt zu bleiben."

Wie es dann weiterging, ist so weit bekannt. Die Enthüllung dieser Begebenheit ist deshalb in ihrer Bedeutung gar nicht in der gebührenden Form gewürdigt worden. Es war das entscheidende Gespräch zwischen den beiden möglichen Kanzlerkandidaten der Union. Das Pendant zu dem, was bei Angela Merkel und Edmund Stoiber seinerzeit als "Wolfratshausener Frühstück" in die Geschichte eingegangen und umgekehrt ausgegangen ist.

Es sprechen einige Indizien dafür, dass Söder seither komplett frei dreht. Wie etwa bei einem Besuch bei Friedrich Merz in dessen Heimat Ende Januar dieses Jahres. Es gab dort Weißwurst und nicht etwa eine regionale Spezialität. Und Söder sagte zum Auftakt, er sei nun zum ersten Mal in seinem Leben ins Sauerland gereist – um hinzuzufügen, dass er nicht sicher sei, das so schnell ein zweites Mal zu machen. Man muss seinen Knigge nicht auswendig können, um zu wissen: Das geht als Gast eigentlich gar nicht. Überhaupt gar nicht. Außer, es ist einem wirklich alles egal.

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Man könnte, gerade wegen der Manieren, schnell noch mal bei Donald Trump sein und Parallelen sehen. Aber das trifft es nicht ganz. Markus Söder ist viel intelligenter als Trump. Ob das die Sache allerdings besser macht? Eher passt die Parallele zum zwischenzeitlichen britischen Premier Boris Johnson, der für eine gelungene Pointe auch alle Regeln des Anstands außer Acht ließ. Nur ist Johnson vermutlich wiederum intelligenter als Söder. Gebildeter auf alle Fälle.

Geht das gut?

Wie das alles weitergeht? Im Moment steht Söder im Zenit. Die Marke Markus ist so stark und allgegenwärtig wie nie. Aber nicht nur von Hollister und Abercrombie & Fitch wissen wir: Auch große Marken können schnell wieder weg sein. Gestern noch hip, heute total out. Und: Auch ein Söder altert, wie das Grau in seinem Rahmenbart zeigt, den er sich hat stehen lassen. Und da kann morgen lächerlich sein, was heute noch lustig war. Mit einem Mal wunderlich und verschroben wirken, was eben noch cool schien.

Verwendete Quellen
  • Eigene Erlebnisse und Beobachtungen
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