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Türkei: Wutwelle nach Verhaftung von Bürgermeister von Istanbul


Rivale verhaftet
Erdoğan löst Wutwelle aus


20.03.2025 - 18:08 UhrLesedauer: 5 Min.
Recep Tayyip Erdoğan: Er möchte sich seine Macht auch über das Jahr 2028 hinaus absichern.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdoğan: Er möchte sich seine Macht auch über das Jahr 2028 hinaus absichern. (Quelle: IMAGO/Grzegorz Wajda/imago-images-bilder)
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In der Türkei wird Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu verhaftet. Er gilt als aussichtsreicher Kandidat im Ringen um die Präsidentschaft. Doch Machthaber Erdoğan setzt aktuell viele Hebel in Bewegung, um sich seiner Gegner zu entledigen.

Eigentlich sollte Ekrem İmamoğlu in dieser Woche zum Präsidentschaftskandidaten der sozialdemokratisch und kemalistisch geprägten CHP ernannt werden. Doch stattdessen marschierten zahlreiche Polizisten am Mittwochmorgen vor dem Haus im Stadtteil Beylikdüzü von Istanbul auf. Der Bürgermeister der Millionenmetropole wurde verhaftet.

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İmamoğlu schien auf den Polizeieinsatz vorbereitet zu sein. Kurz zuvor hatte er noch eine Nachricht über Instagram versendet. "Wir haben es mit einer großen Tyrannei zu tun. Aber ich möchte, dass Sie wissen, dass ich mich nicht unterkriegen lasse", sagte der CHP-Politiker in dem Video. "Ich vertraue mich meinem Volk an und lasse das ganze Volk wissen, dass ich aufrecht stehen werde." Er werde weiter kämpfen.

Kurz danach befand er sich schon in Polizeigewahrsam.

Die Liste an Vorwürfen der türkischen Justiz gegen İmamoğlu ist lang: Es geht um Geldwäsche, Betrug und die Veruntreuung von Parteispenden. Er soll zudem der Kopf einer kriminellen Vereinigung sein und die Terrororganisation PKK unterstützen.

Doch politische Beobachter sind sich einig: Die Gründe für die Verhaftung sind äußerst fadenscheinig. Vielmehr gilt es als wahrscheinlich, dass Machthaber Recep Tayyip Erdoğan seinen gefährlichsten Konkurrenten bei der Präsidentschaftswahl 2028 aus dem Weg räumen möchte. Zu dieser Lesart passt, dass die Türkei aktuell erneut eine massive Verhaftungswelle erlebt, in deren Fokus vor allem Regierungskritiker stehen.

Es wird vermutet, dass Erdoğan Angst vor einem Machtverlust hat. Doch er könnte mit der Verhaftung İmamoğlus eine Wutwelle losgetreten haben, die ihm selbst gefährlich werden könnte.

Erdoğan nimmt İmamoğlu ernst

Es gibt durchaus einige Parallelen zwischen Erdoğan und İmamoğlu. Beide wurden durch das Bürgermeisteramt in Istanbul landesweit bekannt und auch Erdoğan musste 1999 für vier Monate ins Gefängnis, weil er öffentlich ein islamistisches Gedicht vorgelesen hatte. Das war damals in der streng laizistischen Türkei noch illegal.

İmamoğlu hatte 2019 erstmals überraschend die Bürgermeisterwahlen in Istanbul gewonnen und das Amt im März 2024 verteidigt. Für Erdoğan und seine AKP waren es schwere Niederlagen, die er aufgrund seiner eigenen Biografie persönlich nahm. İmamoğlu stammt aus einer gläubigen Familie, aber er schafft es in Istanbul gleichzeitig, konservative und säkulare Muslime anzusprechen.

Deswegen sollte er Präsidentschaftskandidat für die Wahl im Jahr 2028 werden. Erdoğan fürchtet wahrscheinlich İmamoğlus Beliebtheit und das ist offenbar ein Grund, warum die türkische Justiz wenige Tage vor der Bekanntgabe der Kandidatur des CHP-Politikers gegen ihn vorgeht.

Einen Tag vor seiner Verhaftung hatte bereits die Universität von Istanbul angekündigt, dass sie İmamoğlu sein Diplom in Betriebswirtschaftslehre aberkennen wird, welches er vor mehr als 30 Jahren erworben hatte. Der Grund dafür soll ein "unrechtmäßiger Universitätswechsel" sein. Die Folgen der Aberkennung wiegen schwer: Denn ohne Universitätsabschluss dürfte İmamoğlu nicht für das Amt des Präsidenten kandidieren.

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Lira stürzt nach Verhaftung ab

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schrieb nach der Verhaftung: "Wer Erdoğan gefährlich werden kann, kommt ins Gefängnis." Der türkische Staatschef ist noch immer geschwächt, hat die Wirtschafts- und Währungskrise in der Türkei bisher nicht in den Griff bekommen. Das macht ihn angreifbar. Nach der Verhaftung İmamoğlus fiel erneut der Lira-Kurs. Aktuell ist ein Euro mehr als 41 Lira wert – ein Tiefstwert für die türkische Währung.

In der türkischen Regierung gibt es nach der Verhaftung von İmamoğlu auch die Sorge, dass er so zum politischen Märtyrer gemacht wurde, so wie Erdoğan selbst als Istanbuler Bürgermeister zu einem wurde. Um die Stimmung in der Bevölkerung nicht noch weiter aufzuheizen, wurden nach der Verhaftung Demonstrationen in Istanbul verboten. Regierungskritische Journalisten wurden verhaftet, die türkische Justiz ging gegen die Autorinnen und Autoren von regimekritischen Posts in sozialen Netzwerken vor.

Am Mittwochabend versammelten sich dennoch Tausende Demonstranten vor der Stadtverwaltung in Istanbul. Die CHP sprach von einem "Putschversuch gegen unseren nächsten Präsidenten". Auch İmamoğlu rief in seinem letzten Video vor der Verhaftung zum Widerstand auf: "Dieses unmoralische und despotische Vorgehen wird zweifellos durch den Willen und die Widerstandskraft unserer Bürger zurückgewiesen werden."

Erdoğan hofft sicherlich darauf, dass sich die CHP nun spaltet und vielleicht einige nun doch Ankaras CHP-Bürgermeister Mansur Yavaş als Kandidaten bevorzugen. Yavaş hatte eigentlich schon verzichtet, um die Geschlossenheit in der Partei nicht zu untergraben. Erdoğan hat mit der Verhaftung zweifelsohne eine Wutwelle losgetreten. Aber wie gefährlich dies für ihn werden kann, hängt davon ab, wie lange diese anhält. Denn viele Türkinnen und Türken sind eigentlich nach den Gezi-Protesten 2013 immer müder geworden, gegen einen immer autoritärer werdenden Staat zu kämpfen.

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Erdoğan arbeitet an Machterhalt

İmamoğlu sitzt nun in Untersuchungshaft und es wird wahrscheinlich von der öffentlichen Stimmung abhängen, wie lange er im Gefängnis bleiben muss. Erdoğan hatte im Jahr 2017 per Dekret die maximale Dauer der Untersuchungshaft auf sieben Jahre angehoben – ohne Anklage oder Urteil können Verdächtige viele Jahre festgesetzt werden. Eine längere Untersuchungshaft gilt in der Türkei vor allem auch, wenn ein Gefangener unter Terrorverdacht stehen sollte.

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Doch selbst wenn die türkische Führung İmamoğlu nun wegsperren lassen sollte, würden die Probleme für Erdoğan nicht enden.

Als sich der türkische Staatschef im Frühjahr 2024 in die Kommunalwahl stürzte, versprach er der Bevölkerung: "Das ist mein Finale." Also seine letzte Wahl. Doch Kritiker, die nie an einen freiwilligen Rückzug Erdoğans glaubten, wurden dann im Januar in ihrer Skepsis bestätigt. Der 71-Jährige sagte in einer Rede: "Wenn Gott und die Nation mir es erlauben, werde ich der Türkei und der türkischen Nation weiter dienen." Er möchte also mindestens bis 2033 Präsident bleiben, Erdoğan geht den Weg von Kremlchef Wladimir Putin oder Chinas Präsident Xi Jinping – ein Staatspräsident auf Lebenszeit, Unterdrückung der Opposition.

Auf den ersten Blick erscheint der Zeitpunkt dafür günstig. Mit Donald Trump sitzt ein US-Präsident im Weißen Haus, der eine Vorliebe für autoritäre Herrscher hat. Außerdem sind die westlichen Staaten weiterhin mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten beschäftigt und können einen Konflikt mit dem Nato-Mitglied Türkei aktuell nicht gebrauchen. Das gibt dem türkischen Präsidenten Beinfreiheit für seine autoritäre Politik.

Doch auf den zweiten Blick kann Erdoğan laut der türkischen Verfassung nicht für eine dritte Amtszeit als Präsident kandidieren. Er bräuchte zuvor eine Verfassungsänderung oder vorgezogene Neuwahlen – denn bei Neuwahlen vor dem Jahr 2028 würde die aktuelle Amtszeit des Präsidenten nicht angerechnet werden und er dürfte noch einmal antreten.

Einfach ist dieser Weg nicht. Für eine Verfassungsänderung bräuchte Erdoğan eine Mehrheit im Parlament von 400 der 600 Abgeordneten. Seine Koalition hat 320 Abgeordnete. Für eine Volksbefragung über die Verfassungsänderung oder für Neuwahlen bräuchte er immer noch 360 der 600 Stimmen im Parlament.

Diese Mehrheiten sind für den türkischen Präsidenten aktuell nicht absehbar. Deswegen halten es Experten für wahrscheinlich, dass Erdoğan nun die Kurdenpartei DEM umwerben könnte, die mit 57 Abgeordneten im Parlament sitzt. Vor diesem Hintergrund könnte gesehen werden, warum die türkische Regierung zu Jahresbeginn den ersten Besuch von Kurdenpolitikern bei dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan seit fast zehn Jahren ermöglicht hat. Erdoğan-Kritiker in der Türkei sind sich sicher: Irgendwie wird der Präsident auf die 360 Stimmen kommen. Mit der Verhaftung İmamoğlus demonstriert das türkische Regime in jedem Fall, dass es kaum Alternativen zu seiner Herrschaft gibt.

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