Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Friedrich Merz Damit hat er sich entlarvt

Der angehende Kanzler Merz macht Schulden in nie da gewesenem Umfang und feiert sich dafür im Duett mit der künftigen grünen Opposition. Ein bizarrer Fall von Selbsthypnose. Denn diesem Anfang wohnt ein doppeltes Ende inne.
Für relativ groß gewachsene Menschen ist es ungewohnt, weil selten, neben einem anderen Menschen zu stehen, der noch größer ist. Beruflich hatte ich eine Zeit lang regelmäßig mit Mathias Döpfner zu tun. Der Springer-Chef misst garantiert über 2 Meter. Da muss man selbst bei einer Körpergröße von 1,88 Meter den Kopf ganz schön in den Nacken legen, um Augenkontakt zu bekommen.
Bei Friedrich Merz ist das auch so. Der hochgewachsene CDU-Chef und angehende Kanzler bringt es immerhin auf 1,98 Meter. Physisch ist ihm diese Größe in den vergangenen Tagen erhalten geblieben. Politisch aber ist Merz jeden Tag geschrumpft. Ja, er hat sich regelrecht verzwergt in den Sondierungen und Verhandlungen mit SPD und Grünen. Er erinnert an Herrn Tur Tur, den Scheinriesen aus Michael Endes bezaubernder Geschichte von Jim Knopf und dessen Freund Lukas, dem Lokomotivführer. Je näher man dem von Ferne bedrohlich wirkenden Herrn Tur Tur kommt, umso mehr schrumpft er auf Normalmaß zusammen.

Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch".
Dabei ist zunächst einmal nicht entscheidend, wie man das Ergebnis seiner Bemühungen um 800 bis 1000 Milliarden Extra-XXL-Schulden fürs Militär und die Infrastruktur in der Sache bewertet. Diese 500 Milliarden hier (Infrastruktur plus Klima) und 300 bis 500 Milliarden dort (Bundeswehr) können richtig sein – und sind in meinen Augen auch notwendig und richtig. Aber sie sind das schiere und glatte Gegenteil dessen, was Merz über Monate hinweg verfügt hatte: keine Lösung der Probleme durch Fluten mit Geld, das nicht da ist.
Dem lag ein triftiger und richtiger Gedanke zugrunde: Öffnet man erst einmal diese Schleusen und lässt das politische Becken mit leichtem Geld volllaufen, dann wird es nicht mehr gelingen, dringend nötige Korrekturen, Einsparungen bei unzeitgemäßen und sich als fehlgeleitet erwiesenen Segnungen in jährlichen Milliardendimensionen vorzunehmen. Jeder Durst ist dann gestillt, jede Ambition zum Sparen erlahmt. Deshalb hat Merz vor der Wahl im hintersten Hintergrund und ganz leise murmelnd gesagt: Man kann über eine leicht gelöste Schuldenbremse schon reden. Aber erst nach einer Inventur, erst nach einer großen Revision der Staatsausgaben, die derzeit nicht im mindesten jener Zeit gerecht werden, die leider Gottes angebrochen ist.
Nur mal eine kleine Beispielrechnung
Mit dem Bürokratieabbau wollte Merz im Staatsapparat beginnen und das ebenso wuchernde wie größtenteils sinnlose Beauftragtenwesen beenden. Es müsste dem Elterngeld ein Ende bereitet werden, das sich als teuer und nutzlos erwiesen hat. Knapp zehn Milliarden gehen hier jedes Jahr durch den Kamin, dafür, dass sich gut situierte junge Eltern mit ihrem Säugling ein paar schöne Monate an Sehnsuchtsorten gönnen. Die "Bild"-Zeitung hatte vor Jahren einmal einen "Florida-Rolf" als Sozialschmarotzer ausgemacht, der es sich mit Stütze und anderen Sozialleistungen am Golf von Mexiko angeblich behaglich eingerichtet hatte.
Florida-Rolf hat übers Elterngeld einen betuchten Bruder bekommen. Es ist "Kanada-René", der seinen gut bezahlten Job für einige Monate bleiben und sich derweil auskömmlich vom Staat alimentieren lässt, um mit Frau und Kind mal so richtig in einer Luxus-Blockhütte in den Rockies zu chillen. Das ist mehr Lebensfreude für die Nutznießer, ganz klar. Zu mehr Kindern in diesem Bevölkerungssegment hingegen, das war das Ziel, hat diese Kopfgeburt der vormaligen Familienministerin Ursula von der Leyen nicht geführt. Ergo: Das kann weg. Das muss weg. Eine kleine Rechnung dazu, die das Ausmaß dieses Irrsinns beziffert: Zehn Milliarden im Jahr, das sind 120 Milliarden auf zwölf Jahre. Also etwa ein Viertel der Summe, die jetzt für diesen Zeitraum auf Pump für Infrastruktur und Klima vorgesehen ist.
Das ausufernde Elterngeld ist nur ein Beispiel dafür, wo und wie Unsummen an Staatsgeldern in ein Wellnessprogramm fließen, für das die neue harte Welt keinen Raum mehr lässt. Es sind Segnungen von gestern. Statt aber die Haushalte, insbesondere den des Sozialministeriums, nach solchen Bonbonkanonen zu durchsuchen, hat die angehende Regierung aus Schwarz-Rot die nächste Bonbonkanone dazugestellt. Die vollends aus der Zeit gefallene Mütterrente, eine fixe Idee der CSU, nach deren Sinnhaftigkeit die Fachwelt seit Jahren vergeblich fahndet, soll weiter ausgebaut werden – bei einem ohnehin morschen Rentensystem wohlgemerkt.
So ging es dahin
So ging die vergangenen Tage der hehre und richtige Vorsatz des Friedrich Merz fröhlich dahin. Ein jeder bekam, was er oder sie wollte. Es baden ohnehin alle gemeinsam im Schaumbad des frischen Geldes. Man kann es so zusammenfassen: Der Mann, der angekündigt hat, einem glücklosen Olaf Scholz zu zeigen, wie Führung geht, wird geführt. Ja, vorgeführt. Er regiert nicht. Er wird regiert. Von seiner Schwesterpartei CSU. Von seinem einzig möglichen Koalitionspartner SPD. Und sogar von der Opposition in Gestalt der Grünen. Es fehlt nur noch, dass der größte Virtuose an den staatlichen Bonbonkanonen, der ebenso grundsympathische wie unselige Sozial- und Arbeitsminister Hubertus Heil, weiter im Amt bleibt und es nichts wird mit der Ankündigung, Wirtschaft und Arbeit sinnvollerweise in einem Superministerium zusammenzulegen, dann in den Händen der CDU wohlgemerkt. Von einem Ende der Laissez-faire-Migration ist in jüngster Zeit so verdächtig wenig die Rede gewesen, dass man auch hier nicht mehr an den Merz-Moment glauben mag.
Friedrich Merz ist in diesen Tagen das Fell beispiellos und nach allen Regeln der Waidmannskunst über die Ohren gezogen worden. Dabei strahlt er, frisch gehäutet, als habe er soeben Großes vollbracht. Vermutlich, weil er seinem Lebenstraum in diesen Tagen nochmals ein großes Stück näher gekommen ist. Ja, Friedrich Merz wird wohl Kanzler. Aber um welchen Preis. Um welchen Preis! Finanziell ebenso wie politisch. Diesem Anfang wohnt ein doppeltes Ende inne. Das Ende einer dringend notwendigen Revision der Staatsfinanzen. Und das Ende vom selbst gebastelten Mythos der großen Führungspersönlichkeit Friedrich Merz.
- Eigene Überlegungen