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Trumps Selenskyj-Eklat im Weißen Haus: Notfall-Plan für Amerika


Tagesanbruch
Es braucht einen Notfall-Plan für Trump

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 03.03.2025 - 07:13 UhrLesedauer: 8 Min.
US-Präsident Donald Trump wartete auf Wolodymyr Selenskyj vor dem Weißen Haus.Vergrößern des Bildes
US-Präsident Donald Trump wartete auf Wolodymyr Selenskyj vor dem Weißen Haus. (Quelle: Nathan Howard)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ein sorgenvolles Wochenende liegt hinter uns. Der Schock sitzt noch immer tief. Denn was am Freitag im Weißen Haus geschehen ist, wirkt sowohl in den USA als auch in Europa noch immer brutal nach. Nach diesem noch nie dagewesenen Eklat im Oval Office muss man sogar damit rechnen, dass Donald Trump demnächst den Nato-Austritt verkündet.

Das ist kein Alarmismus, sondern wie fast alles bei dieser US-Regierung im Bereich des Möglichen. Der Multimilliardär Elon Musk fordert es öffentlich. Im Trump-Team ist man, höflich ausgedrückt, außer sich. Sogar der für seine langjährige Ukraine-Unterstützung, aber auch für seinen Opportunismus bekannte US-Senator Lindsey Graham hat das Lager gewechselt und fordert plötzlich Wolodymyr Selenskyjs Rücktritt. Ein dramatischer Hinweis darauf, dass auch er keine Chance mehr sieht, dass Trump und er noch mal zusammenkommen. Nicht das eigene Verhalten wird kritisch gesehen, sondern das des ukrainischen Präsidenten.

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Aus europäischer Sicht mag das unverständlich erscheinen und einmal mehr fassungslos machen. Denn zu Recht ist die öffentliche Demütigung des ukrainischen Präsidenten ein unentschuldbarer Vorgang und eine bodenlose Unverschämtheit. Genauso wie zahlreiche andere Unsäglichkeiten. Etwa, dass Trump sich bis heute weigert, Wladimir Putin unzweideutig als klaren Aggressor dieses Angriffskrieges zu benennen. Und ebenso, dass er stattdessen Selenskyj mehrfach als Diktator beschimpft hat.

Wie soll es jetzt nur weitergehen? Zur bitteren Wahrheit gehört: Es geht um Leben und Tod. Und die Europäer müssen sich jetzt in die Sichtweise Washingtons hineinversetzen, sie nachvollziehen und dementsprechend handeln. Denn nur dann haben sie eine Chance, angemessen auf diese gefährliche Regierung zu reagieren. Dafür müssen sie zu diesem Zeitpunkt unter anderem folgende Fakten in ihre Strategie einbeziehen:

  • Die Trump-Regierung will den Krieg in der Ukraine um fast jeden Preis stoppen. Mit einem starken demokratischen Mandat der Amerikaner ausgestattet, wollen viele Republikaner am liebsten keinen einzigen US-Dollar mehr in den Abwehrkampf gegen Russland stecken. Das gehörte zu einem ihrer wichtigsten Wahlkampfversprechen.
  • Der angebahnte Rohstoff-Vertrag zwischen den USA und der Ukraine muss darum zustande kommen. Denn er wäre aus Sicht der Trump-Regierung die einzige Chance, den eigenen Wählern eine weitere Unterstützung der Ukraine überhaupt zu verkaufen. Ein Gegengeschäft wäre die einzige Rechtfertigung.
  • Diese wirtschaftliche Vereinbarung wäre aus Sicht der Trump-Regierung eine indirekte, nicht militärische Sicherheitsgarantie. Mit amerikanischen Unternehmen und Mitarbeitern in den betreffenden Gebieten würde Putin dann ein hohes Risiko eingehen, sollte Russland erneut angreifen wollen.
  • Die Ukraine und die Europäer sind wohl noch auf viele Jahre hinaus nicht in der Lage, die Rolle der USA zu kompensieren. Die von Amerika bereitgestellte Kriegsinfrastruktur aus Luftabwehr, Munition, Geheimdienstinformationen und technischer Unterstützung wie dem satellitengesteuerten Internet-System Starlink bleibt überlebenswichtig.
  • Im Weißen Haus sitzt als Republikaner kein Ronald Reagan und auch kein George H. W. Bush mehr. Das kann man bedauern, aber ebenfalls nicht ändern. Die Europäer sind darum zumindest in der nächsten Zeit noch darauf angewiesen, sich mit der Trump-Regierung zu arrangieren.
  • Solange es die europäischen Staaten nicht schaffen, selbst stark zu sein, sind sie darum dem Recht des Stärkeren ausgesetzt. Das bedeutet, die Supermächte Russland, China und Amerika diktieren wirtschaftlich und letztlich militärisch, wo es langgeht. Das mag ungerecht erscheinen und bisweilen völkerrechtswidrig sein. Es lässt sich aber ohne eigene Stärke kaum ändern.

Wenn man sich in der US-Hauptstadt mit Menschen unterhält, die ihre Ohren nah am Trump-Team haben, dann lautet die Version, wie die aktuelle Regierung auf die Ereignisse vom Freitag blickt, so: Demnach soll der ukrainische Präsident nicht nur der formalen Bitte, einen Anzug zu tragen, nicht nachgekommen sein. Vor allem aber hätten Selenskyj und die Europäer den am liebsten schon vor zwei Wochen eingetüteten Rohstoff-Deal erneut und zudem öffentlich torpediert.

Die Amerikaner sahen dies als Affront und Respektlosigkeit. Selenskyj trug vor laufenden Kameras immer wieder eine Bitte vor, konkrete und direkte Sicherheitsgarantien der USA als Voraussetzung für den Mineralien-Vertrag zu erhalten. Dass ausgerechnet derjenige, der auf Hilfe angewiesen ist, einen Vortrag über die Gefahr von Putin hält, soll bei Trump und seinem Vizepräsidenten J. D. zu dem wütenden Ausbruch geführt haben. Besonders Trumps Außenminister Marco Rubio soll sich blamiert fühlen, weil er Trump versprochen hatte, alles zu Ende verhandelt zu haben und der Rohstoff-Deal unterschriftsreif war.

Aus ukrainischer und europäischer Sicht sitzt man in der Zwickmühle. Wie soll man dieser Trump-Regierung trauen, wenn sie nicht nur jegliche Normen missachtet, sondern auch bereit ist, jahrzehntealte Bündnisse einfach aufzugeben, und befreundete Staaten mit Handelskriegen überziehen will? Wie aber soll man sich aus dieser unangenehmen Abhängigkeit befreien, wenn man keine eigenen, funktionierenden Sicherheitsstrukturen in Europa hat?

Die aktuellen Ereignisse sollten auch dem letzten Zweifler in Deutschland klarmachen: Diese amerikanische Regierung handelt so deutlich wie keine andere zuvor und hat ihre ganz eigenen Vorstellungen einer neuen Weltordnung. Sie unterscheidet sich damit radikal selbst von der ersten Amtszeit Donald Trumps.

Video | Trump überzieht Selenskyj lautstark mit Vorwürfen
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Quelle: t-online

Die geopolitische Kehrtwende der zweiten Trump-Regierung scheint nach übereinstimmenden Medienberichten und auch in Hintergrundgesprächen in Washington zu sein: Um gegen China überhaupt noch eine Chance zu haben, streben die USA nicht nur ein Ende des Ukraine-Krieges an, sondern auch eine Normalisierung des Verhältnisses mit Russland.

Ironischerweise könnte sogar Nord Stream 2 ein Teil dieses extrem gewagten Plans sein. Ausgerechnet Donald Trump, der sich für seine vehemente Kritik an der russischen Energieabhängigkeit Europas in seiner ersten Amtszeit feiern ließ, möchte offenbar am Ende nicht nur die Sanktionen gegen Russland beenden, sondern auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder ermöglichen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Beim einberufenen Sicherheitsgipfel der Ukraine-Unterstützer in London kamen am Sonntag nun zumindest starke, eigenständige Signale. Der britische Premierminister Keir Starmer und die Europäer scheinen es mit einer Doppelstrategie zu versuchen:

Erstens soll die finanzielle und die militärische Unterstützung für die Ukraine massiv hochgefahren werden. Für Großbritannien kündigte Starmer zwei Milliarden Dollar Militärhilfen inklusive 5.000 Flugabwehrraketen an. Britische Truppen sollen außerdem einen künftigen Frieden auf dem Boden der Ukraine sichern.

Zweitens möchte der Premierminister dringend wieder die Gespräche mit Trump aufnehmen. Zudem forderten Starmer und der französische Präsident Emmanuel Macron einen einmonatigen Waffenstillstand in der Ukraine.

Auch in dem politisch vom Kanzlerwechsel abgelenkten Deutschland scheint sich unter dem Eindruck der aktuellen Weltlage massiv etwas zu bewegen. Laut Medienberichten könnten die Unionsparteien unter Friedrich Merz und die SPD im Rahmen ihrer Sondierungsgespräche zwei milliardenschwere Sondervermögen schaffen. Demnach soll ein insgesamt 800 bis 900 Milliarden Euro großes Budget einerseits für die Verteidigung und andererseits für Investitionen in die Infrastruktur möglich gemacht werden. Womöglich könnte dieses Sondervermögen sogar noch vom alten Bundestag beschlossen werden.

Ein Mann aus der konservativen Think-Tank-Szene in Washington gab derweil einen Einblick, wie die Trump-Welt auf Europa blickt. Andreas Hellmann ist Deutsch-Amerikaner, leitet den Bereich für Steuern und Regulierungspolitik bei der Tholos Foundation. Er organisiert auch transatlantischen Austausch und vermittelte 2023 etwa den Besuch mehrerer CSU-Politiker zu Floridas Gouverneur Ron DeSantis. "Die reflexartig einsetzende Schnappatmung deutscher und europäischer Politiker nach Trumps Wiederwahl und auch jetzt nach dem Abbruch der Gespräche im Weißen Haus mit Selenskyj sind symptomatisch", sagte er t-online.

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Es handele sich dabei um eine europäische Politikerklasse, die sich den Amerikanern für moralisch überlegen hält, findet Hellmann. Dabei hätten sie selbst seit vielen Jahren ihre "existenzgefährdenden Probleme wie illegale Einwanderung, zu teure Energieversorgung, kein Wirtschaftswachstum und steigende Kriminalität nicht ansatzweise lösen können". Zugleich gönne man sich aber einen großzügigen Sozialstaat und erwarte geradezu selbstverständlich das Steuergeld von Amerikanern für die eigene Sicherheit, sagte er. "Das wird hier geradezu als Frechheit empfunden."

Zur aktuellen Lage hat er einen Rat: "Europa sollte Selenskyj zurück an den Verhandlungstisch im Weißen Haus bringen, um schnell zu Lösungen zu kommen." In Wahrheit seien die Europäer trotz mutig anmutender Tweets und ihrer endlosen Phrasen nicht einmal in der Lage, sich selbst zu verteidigen, so Hellmann. In diesem Punkt hat er wohl recht. Wenn der Eklat vom vergangenen Freitag dazu führt, dass die Europäer endlich mit dem notwendigen Willen daran etwas ändern, dann könnte das Ganze vielleicht doch noch etwas Gutes gehabt haben.


In Hamburg ticken die Uhren anders

Angesichts der hochbrisanten Weltlage erscheint eine deutsche Regionalwahl auf den ersten Blick vielleicht unwichtig. Aber Hamburg ist mit seinem großen Hafen nicht nur Deutschlands Tor zur Welt, diese Wahl im Stadtstaat Hamburg war auch eine Art erster Stimmungstest nach der Bundestagswahl.

Die Wählerinnen und Wähler an der Elbe haben ziemlich klare politische Verhältnisse geschaffen. Die amtierende rot-grüne Koalition musste zwar deutliche Stimmverluste hinnehmen. Die Mehrheit von SPD und Grünen wackelt allerdings nicht. Das liegt sicherlich auch daran, dass diese Regierung in der Hansestadt beliebt war. Und wie es aussieht, werden beide Parteien unter dem aktuellen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher nun auch zuerst Sondierungsgespräche beginnen. Die Hamburger Uhren ticken offensichtlich anders. Auch die AfD ist hier mit rund 7,5 Prozent deutlich schwächer als im Bund.

Nun böte sich der SPD aber durch die Zuwächse bei der CDU – sie ist nun zweitstärkste Kraft – auch die Chance, eine Koalition mit ihr statt den Grünen anzustreben. Angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, ist das eine überlegenswerte Option. Es wäre neben Hessen, Berlin und Sachsen die vierte Koalition aus CDU und SPD und würde es im Bundesrat erleichtern, Gesetzesvorhaben der schwarz-roten Bundesregierung durchzubringen.

Egal, wie es kommt, es muss jetzt schnell geschehen. Denn Deutschland, das konnte man am Wochenende auch wieder in London sehen, darf keine Zeit verlieren. Sich mit Kleinigkeiten aufzuhalten, etwa ob der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz seinen voraussichtlichen Nachfolger auf solche Gipfeltermine mitnimmt oder nicht, ist bestenfalls peinlich. Ein Land, das international ernst genommen werden will, muss handlungsfähig sein und dann aber auch handeln.


Was steht an

Heute ist Rosenmontag und damit Höhepunkt der sogenannten Fünften Jahreszeit. Große Karnevalsumzüge gibt es vor allem im Rheinland, darunter anderem in Köln, Düsseldorf und Mainz.


Die Spitzen von CDU, CSU und SPD hatten am vergangenen Freitag Gespräche über eine Koalition nach der Bundestagswahl aufgenommen. Heute gehen sie in die nächste Runde, bevor schließlich Koalitionsverhandlungen beginnen sollen.


In Wien wird das neue Dreierbündnis aus ÖVP, SPÖ und Neos vereidigt. Erstmals bilden in Österreich drei Parteien eine Regierung. Gewonnen hatte die Wahlen die rechtsextreme FPÖ, konnte sich aber nicht mit der ÖVP auf eine Koalition einigen.


Das historische Bild

Wertvolle Archivalien beherbergte das Kölner Stadtarchiv – doch 2009 ereignete sich dort eine Katastrophe. Mehr lesen Sie hier.


Ohrenschmaus

Als besonderes Hörerlebnis empfehle ich heute die wunderschöne Performance von Ariana Grande und Cynthia Erivo bei der Oscar-Verleihung. Die beiden Schauspielerinnen sangen unter anderem ihren Song "Gravity" aus dem Musicalfilm "Wicked".


Lesetipps

Donald Trump sagt, ein fairer Frieden mit Russland in der Ukraine sei schon bald möglich. Warum Europa sich trotzdem daran erinnern sollte, dass es ebenfalls eine Nuklearmacht ist, erklärt der frühere russische Diplomat Boris Bondarew im Interview mit meinen Kollegen Heike Vowinkel und Tobias Schibilla.


Alexander Dugin schuf das ideologische Grundgerüst des autoritären Russlands unter Wladimir Putin. Nun hat er eine neue Lehrdoktrin entwickelt, mit der er das Denken der jungen Russen in den nächsten Jahrzehnten prägen will. Was in seinem Konzept steht, analysiert mein Kollege Tobias Schibilla.


Das Döner-Imperium des Fußballweltmeisters Lukas Podolski ist deutschlandweit auf Erfolgskurs. Wohl auch auf Kosten der Gäste. Recherchen von t-online decken die Zustände in den Filialen auf.


In Hollywood wurden die 97. Oscars verliehen. Moderator Conan O'Brien verteilte etliche Seitenhiebe – und griff auch die Kontroverse um Tweets der "Emilia Pérez"-Hauptdarstellerin auf. Meine Kollegen von der Unterhaltung haben die Show verfolgt.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Tag. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder t-online-Chefredakteur Florian Harms.

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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