Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Die Woche der Wahrheit bricht an
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
manchmal geschehen Dinge, deren Tragweite sich nicht sofort erschließt. Ereignisse werden ausgeblendet, übersehen oder einfach als nicht wichtig genug erachtet. "Hätte ich doch mal genauer zugehört!", denkt man sich dann Tage, Monate oder manchmal Jahre später.
Am 15. Februar 2020 war etwa ein solches Ereignis, das damals leicht übersehen werden konnte. Auf der Sicherheitskonferenz in München, einer der wichtigsten außenpolitischen Veranstaltungen weltweit, sprach erstmals ein politischer Neuling – in dunklem Anzug und glattrasiert. Er, eigentlich Schauspieler von Beruf, hatte einige Monate zuvor in seiner Heimat sensationell die Wahl zum Präsidenten gewonnen: Es war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
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"Ist es nicht zu früh für alle, sich zu beruhigen?", fragte der politische Nobody etwa mit Blick auf den schwelenden Krieg in seiner Heimat. Selenskyj hatte zuvor beklagt, die Situation in der Ukraine erhalte auf der Konferenz nicht genug Aufmerksamkeit. Russland hatte sechs Jahre zuvor die ukrainische Halbinsel Krim annektiert und einen Krieg in der Ostukraine angezettelt. Zudem kritisierte Selenskyj, dass es sich nicht einfach nur um einen Krieg in der Ukraine, sondern "einen Krieg in Europa" handele.
Fast genau zwei Jahre später eskalierte der Krieg dann weiter, als Wladimir Putin mit seiner Vollinvasion auf die Ukraine begonnen hatte. "Wir wissen, dass es heute in der Tat viele drängende Probleme und große Konflikte in der Welt gibt. Aber kein Thema kann an Dringlichkeit verlieren, solange es nicht endgültig gelöst ist", hatte Selenskyj vor fünf Jahren noch gewarnt. Hätten die anderen Politiker 2020 mal genauer zugehört, dachte ich mir, als ich gestern seine Rede nachlas.
In den vergangenen Jahren war Selenskyj immer wieder Gast auf der Sicherheitskonferenz. Auch am kommenden Wochenende wird er in München sein. Es könnte für die Ukraine und Selenskyj eine entscheidende Woche werden. Dieses Mal wird es aber nicht um einen drohenden Ausbruch, sondern um ein mögliches Ende des Krieges in der Ukraine gehen. Möglicherweise hat der Präsident einen Weg gefunden, um Russland weiter die Stirn zu bieten.
Wie der Krieg für die Ukraine enden soll, hat Selenskyj schon umschrieben. Er hatte im vergangenen Herbst einen eigenen "Siegesplan" vorgestellt. Im Idealfall will die Ukraine in Zukunft Mitglied der Nato und militärisch so aufgerüstet sein, dass die eigenen Truppen das russische Militär aus dem Land zurückdrängen können.
Gleichzeitig fordert das Land weitere Sicherheitsgarantien aus dem Westen ein. Verschiedene Länder könnten etwa nach dem Ende der Kampfhandlungen Soldaten zur Friedenssicherung schicken oder konkrete Versprechen abgeben, wie sie der Ukraine im Falle eines erneuten Angriffs helfen wollen. Im Gegenzug stellt das Land nach Kriegsende eine weitreichende wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten in Aussicht.
Die Vorstellungen der russischen Seite sehen natürlich anders aus. Im vergangenen Jahr hatte Putin eigene Ideen für einen Waffenstillstand vorgelegt: Die Ukraine soll auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichten und die vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson als russisches Staatsgebiet anerkennen.
Die Ukraine soll nach dem Willen des Kremls außerdem militärisch abrüsten, während der Westen die Sanktionen gegen Russland aufhebt. Kurz gesagt: Selenskyj soll im ersten Schritt etwa 20 Prozent seines Landes aufgeben und es weitestgehend entwaffnen. Es wäre eine Einladung an Putin, sich irgendwann den Rest der Ukraine einzuverleiben.
Kompromisse zeichnen sich bei diesen Forderungen also kaum ab. Doch mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump haben die Friedenspläne eine neue Dynamik erhalten: Trump versprach noch im Wahlkampf, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Mittlerweile spricht er von einem Ende innerhalb von sechs Monaten. Zuletzt deutete er etwa ein erneutes Telefonat mit Putin an, den ukrainischen Präsidenten würde er gerne noch in dieser Woche in Washington empfangen. Selenskyj erwartet umgekehrt in dieser Woche eine Delegation aus den USA. Aus Moskau heißt es wiederum, dass auch ein persönliches Treffen zwischen Trump und Putin in Planung sei.
Ende der Woche könnten dann die USA auf der Sicherheitskonferenz Details ihres Friedensplans genauer erläutern. In München erwartet werden US-Vizepräsident J. D. Vance, Außenminister Marco Rubio und der Sondergesandte für die Ukraine, Keith Kellogg. Der neue Verteidigungsminister Pete Hegseth ist in dieser Woche ebenfalls in Europa und soll am Donnerstag auch erstmals Verteidigungsminister Boris Pistorius treffen.
Was die neue US-Regierung vorhat, ist allerdings schon jetzt in Umrissen erkennbar. Trump möchte die Militärhilfen möglichst zurückfahren. Denn er sieht in ihnen weniger eine Maßnahme für die eigene Sicherheit als Geldverschwendung. Stattdessen sollen die europäischen Nato-Staaten sich mehr beteiligen. Als bekannter Skeptiker des Verteidigungsbündnisses hat der 78-Jährige zudem kein Interesse daran, die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Auch Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland scheint die US-Regierung nicht gänzlich auszuschließen.
Die Vorstellungen der USA bringen aus Sicht der Ukraine einige Probleme mit sich. Die übrigen Nato-Staaten können selbst mit enormen Investitionen die US-Militärhilfen nicht ersetzen. Ziehen sich die USA vollständig zurück, könnte also ein Szenario eintreten, das den russischen Vorstellungen recht nahekommt: Die Ukraine büßt an Verteidigung ein, während sich das russische Militär auf einen weiteren Großangriff vorbereiten könnte.
Die Ausgangslage dürfte die Ukraine also wenig optimistisch stimmen. Doch es gibt zwei Entwicklungen, die dem Land Hoffnung machen: Trump hatte sich im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos für eine stärkere Förderung von Öl durch Saudi-Arabien ausgesprochen. Das würde weltweit den Ölpreis senken und damit eine Haupteinnahmequelle Russlands schwächen.
Zudem hat Selenskyj dem "Dealmaker" Trump ein Angebot gemacht. Den USA stellte er in Aussicht, künftig Bodenschätze aus der Ukraine heben zu können. Der US-Präsident, der auch in seiner Heimat am liebsten überall nach Öl oder Gas bohren will, scheint interessiert. Schließlich werden in der Ukraine noch große und bislang unbekannte Öl- und Gasvorkommen vermutet. Zudem gibt es zahlreiche weitere Metalle und Seltene Erden, an denen die US-Regierung gerne mitverdienen würde.
Mit den Rohstoffen hätte Selenskyj einen Köder, um sich weitere Zugeständnisse der USA zu sichern. Denn größere Vorkommen von Titan oder Lithium liegen auch im Osten des Landes und damit in der Region, die in Teilen von der russischen Armee besetzt ist. Sollten die USA also die Ukraine militärisch stärker unterstützen, könnte die ukrainische Armee mehr rohstoffreiches Territorium zurückerobern – und Trump würde daran mitverdienen.
So könnte der ukrainische Präsident möglicherweise noch den kompletten Rückzug der USA verhindern. Ob Trump auf dieses Angebot anspringen wird, wissen wir vermutlich erst nach dieser Woche. Für den Moment gilt wohl dasselbe, was Selenskyj bereits 2020 gesagt hatte: Es ist noch zu früh, um sich zu beruhigen.
Ein letzter Schlagabtausch
Vor zwei Wochen ging es ja bereits hoch her im Bundestag. Heute kommen die Parlamentarier vor der Wahl zum vermutlich letzten Mal im Plenarsaal zusammen. Am heutigen Dienstag gibt es genau einen Programmpunkt: Um 9 Uhr beginnt eine dreistündige Generaldebatte "Zur Situation in Deutschland". Auch die beiden Kanzlerkandidaten von SPD und Union, Olaf Scholz und Friedrich Merz, wollen wieder das Wort ergreifen.
Für beide ist das allerdings nicht der letzte Programmpunkt des Tages. Der Kanzler will am Abend in Cottbus bei einem seiner vielen Bürgerdialoge mit potenziellen Wählern ins Gespräch kommen. Friedrich Merz wird hingegen am Nachmittag in Berlin unter anderem in prominenter Begleitung des Schauspielers Ralf Moeller unterwegs sein und eine Tischlerei besuchen.
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Zum Schluss
Manche Verbindungen lassen sich nicht so leicht kappen ...
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Dienstag. Morgen schreibt für Sie wieder Florian Harms.
Herzliche Grüße
Ihr
David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
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Mit Material von dpa.