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Ampel-Streit: Scholz, Habeck und Lindner führen sich gegenseitig vor


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Tagesanbruch
Es wird echt gefährlich


Aktualisiert am 28.10.2024Lesedauer: 5 Min.
Streiten über die Wirtschaftspolitik: Minister Habeck und LindnerVergrößern des Bildes
Robert Habeck und Christian Lindner: Langsam wird es gefährlich. (Quelle: Carsten Koall/dpa/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wenn Kinder in der Schule streiten, hilft es manchmal, sie so weit wie möglich auseinanderzusetzen. Ein bisschen Abstand zum Abregen. Seit Ende vergangener Woche wissen wir, dass bei unserer Bundesregierung selbst eine Distanz von 12.000 Kilometern nicht mehr ausreicht, um die Gemüter zu kühlen. Ansonsten unterscheidet sie sich kaum noch von einem Haufen pubertierender Halbstarker.

Der Wirtschaft geht es mies, die politischen Ränder wachsen. Und Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner fällt nichts Besseres ein, als darüber zu nölen, wer wen zu welchem Gipfeltreffen nicht eingeladen hat und sowieso ganz fies war. Gekränkte Egos auf offener Bühne. Ist das wirklich ihr Ernst?

Es ist ja wahr: In diesen Zeiten zu regieren, ist nicht leicht. Krieg, Krisen und immer mehr politische Quacksalber, die behaupten, das sei doch alles gar kein Problem. Wir müssen uns wohl daran gewöhnen, dass es ungemütlicher wird. Dass die deutsche Rumpelpolitik keine Ausnahme, sondern das neue Normal ist. Und dass nicht jede Regierung gleich ein Projekt sein kann, sondern eben ein Zweckbündnis auf Zeit.

Wäre nur gut, wenn die Politiker es nicht noch schwerer machten, als es sowieso schon ist. Und wenn sie darüber nachdächten, was sie im Vorübergehen alles anrichten.

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Die ganze Sache liest sich im Nachhinein wie ein Unfall in Zeitlupe. Es ist schon ein paar Tage her, da kündigte der Kanzler im Bundestag einen Industriegipfel an. Auto, Stahl, Chemie – eine Krisensitzung. Wen Scholz nicht einlud und auch erst wenige Stunden vorher informierte, das waren sein Wirtschafts- und sein Finanzminister, Habeck und Lindner. Wirtschaft ist jetzt auch Chefsache, so konnte man das interpretieren. Oder weniger freundlich: Ihr packt es ja nicht.

Am vergangenen Mittwoch sah sich der Wirtschaftsminister an der Reihe. Habeck schlug einen "Deutschlandfonds" vor, viele Milliarden Euro groß, finanziert mit neuen Schulden. Scholz und Lindner schickte er sein "Impulspapier" ebenfalls nur wenige Stunden vorher. Dabei ist es Habeck, der immer sagt, dass Vorschläge in dieser Koalition keine Chance mehr haben, wenn sie zuerst in der Öffentlichkeit und nicht intern besprochen werden.

Am Donnerstag war der Finanzminister dran. Lindner war gerade in Washington und stellte per Videoschalte die Steuerschätzung vor. Er sagte dabei ein paar kluge Sätze zur Wirtschaft. "Es mangelt nicht an Ideen, woran es gegenwärtig mangelt, ist Einvernehmen in der Regierungskoalition", lautete einer davon. Und: Er sei inzwischen davon überzeugt, "dass 50 Prozent der Probleme in der Wirtschaftspolitik" mit "politisch gemachter Unsicherheit zusammenhängen".

Heißt also: Besser nicht noch mehr Streit, sonst wird alles schlimmer. Sollte man jedenfalls meinen. Nicht so Lindner. Der ließ lieber Frust ab. "Die Finanzpolitik kann nicht reparieren, was die Wirtschaftspolitik versäumt", sagte er zum Beispiel, mit freundlichen Grüßen an den Robert. Dessen Vorschläge für weitere Subventionen zeigten "konzeptionelle Hilflosigkeit". Lindner beschwerte sich natürlich auch noch, dass weder Scholz' Gipfel noch Habecks Fonds mit ihm abgestimmt gewesen seien. Nun ja.

Und als sei das nicht genug Gepolter, kündigte Lindner seinen eigenen Gipfel an. Am Dienstag, wenn der Kanzler ins Kanzleramt lädt, lädt jetzt also auch die FDP ein. Zum Gegengipfel. Von dem wusste Lindner wohl immerhin als Erster – und ist sogar eingeladen.

Das war dann wohl selbst dem Stoiker Scholz zu viel. Der Kanzler weilte gerade 12.000 Kilometer von Lindner entfernt in Indien, zu Besuch mit Habeck und seinem halben Kabinett. "Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen", sagte Scholz. Es dürfe nicht darum gehen, sich gegenseitig "irgendwie vorzuführen". Was für eine verheerende Aussage eines Kanzlers über seine eigene Regierung.

Das alles wäre nur halb so schlimm, wenn unsere politische Landschaft gerade nicht ohnehin verheerend aussähe. Wenn es genug Partner und Mehrheiten gäbe, aus denen Demokraten frei auswählen könnten. Und wenn das Grundvertrauen der Menschen in die demokratischen Institutionen und Parteien stabil wäre. Doch inzwischen gibt es mit der AfD und dem BSW gleich zwei Parteien, die aus dem Frust und dem Hass auf "Die da oben" ihre Stärke ziehen.

Sie kommen bundesweit inzwischen auf mehr als 25 Prozent, in einigen Bundesländern auf noch mehr. In Sachsen und Thüringen zeigt sich gerade, wozu das führen kann: zu Parlamenten ohne konstruktive Mehrheiten. Sahra Wagenknecht stellt in den Koalitionsgesprächen absurde Bedingungen, will zum Beispiel, dass sich die dortige CDU von ihrem eigenen Parteichef Friedrich Merz distanziert. Helfen würde das niemandem, weshalb man davon ausgehen muss, dass sie damit nur einen Zweck verfolgt: das Mitregieren zu verhindern. Sie stiftet das Chaos, von dem sie und ihr BSW profitieren sollen.

Schon mit einer funktionierenden Bundesregierung wäre das alles nur schwer zu ertragen. Mit einer Ampel, die sich selbst vorführt und längst auch das Vertrauen wohlmeinender Demokraten verspielt, wird es echt gefährlich. Am Ende kann die Sache mit der Ampel noch länger gehen, als man denkt, schreibt meine Kollegin Sara Sievert, die mit dem Kanzler in Indien war. Und langsam ist schwer zu sagen, was schlimmer wäre für die Demokratie: Wenn sie sich zerlegen – oder wenn sie noch ein Jahr so weitermachen.


Termine des Tages

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Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen trotz allem einen hoffnungsfrohen Start in die Woche. Morgen schreibt Ihnen Heike Vowinkel.

Ihr Johannes Bebermeier
Leitender Reporter Politik
BlueSky: @jbebermeier.bsky.social
X: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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