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Migration: Der Streit zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz ist gefährlich


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Tagesanbruch
Dieses gefährliche Tabu muss fallen


Aktualisiert am 12.09.2024Lesedauer: 5 Min.
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Friedrich Merz: Politik mit dem Pferdekopf unter der Bettdecke. (Quelle: IMAGO/imago)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Olaf Scholz hat Puls. "Se-ri-ös!", ruft der Kanzler dem Oppositionsführer Friedrich Merz zu und hackt mit der Hand jede Silbe in die Luft. "Ich buchstabiere Ihnen gerne, wie das Wort geht!" Es ist Mittwochvormittag, Generaldebatte im Bundestag – und Scholz hat was zu klären. "Sie haben sich in die Büsche geschlagen!", wirft er Merz vor. Der habe die vergangenen Tage wie im "Drehbuch" geplant – und der Ampel erst ein Angebot zur Zusammenarbeit in der Migrationspolitik gemacht, nur um das Ergebnis öffentlichkeitswirksam ablehnen zu können.

Als Friedrich Merz wenig später darf, findet er den Vorwurf selbstverständlich "infam". Die Vorschläge der Ampel blieben schlicht "hinter den Notwendigkeiten weit zurück". Weiterverhandeln aber, so wie Scholz ihm das anbietet, will Merz auch nicht. Man begebe sich in keine "Endlosschleife von Gesprächen", sagt er. Was eine bemerkenswerte Haltung für jemanden ist, der gerade noch beteuert hat, seine Gesprächsbereitschaft nicht nur simuliert zu haben.

Was da wieder los war im Bundestag. Nur, wie geht’s jetzt weiter? Union und Ampel haben sich in den vergangenen Tagen in einen Modus hineingesteigert, der für niemanden gesund ist. Für die Ampel nicht, für die Union nicht, und vor allem nicht für das Land. Das liegt an Friedrich Merz, aber nicht nur. Windige Politik zu machen – das schafft die Bundesregierung auch alleine ganz gut.

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Man muss Merz gar nicht vorwerfen, den Willen zur Zusammenarbeit nur simuliert zu haben, um seine Methoden unangemessen zu finden: Meine Lösung oder keine Lösung, nur das lässt er zu. So aber funktionieren keine Verhandlungen, so funktioniert Erpressung. Es ist Politik mit dem Pferdekopf unter der Bettdecke wie in "Der Pate". Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Nur ist er eben nicht Vito Corleone aus Sizilien, sondern Friedrich Merz aus dem Sauerland. Und Politik kein Spielfilm. Demokratie ist genau das, worauf Merz keine Lust hat: eine "Endlosschleife von Gesprächen", Lösungen suchen, Kompromisse machen, Schritt für Schritt, Schleife um Schleife, idealerweise zum Besseren.

Ironischerweise aber hat Friedrich Merz trotzdem etwas geschafft, das Olaf Scholz zuletzt nicht mehr hinbekommen hat: Er hat die Ampel zusammengebracht. Sie ist glücklich und vereint in gemeinsamer Merz-Schelte, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Das ist nicht viel, aber die Ampel nimmt wahrscheinlich, was sie kriegen kann. Wohl auch, weil es vorübergehend von ihren grundlegenden Unterschieden ablenkt.

Die FDP will Zurückweisungen an den deutschen Grenzen genauso wie die Union und sagt das auch ganz offen. Denn sie weiß natürlich, dass das, was die Ampel da vorgestellt hat, kein Plan für "massive Zurückweisungen" ist, auch wenn SPD-Innenministerin Nancy Faeser das behauptet. Sie will nur schneller und konsequenter abwickeln, was bisher schon möglich ist, nämlich diejenigen Migranten zurückzuschicken, die an der Grenze kein Asyl einfordern. Wie gut das klappt und wie viel das bringt? Völlig unklar. Die rechtlichen und praktischen Hürden sind hoch.

Vielen Grünen hingegen geht das alles schon lange viel zu weit und auch sie sagen das inzwischen ganz offen. "Es ist jetzt Zeit, dass die Grünen vom Tisch aufstehen, denn jeder Schritt, den die Ampel dem Druck von rechts nachgibt, ist einer zu viel", sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Karoline Otte t-online vor einigen Tagen. Sie meinte damit konkret das "Sicherheitspaket" der Ampel, das den Behörden eine härtere Gangart bei Abschiebungen ermöglichen soll und das heute im Bundestag diskutiert wird. Aber die Aussage lässt sich für viele Grüne auf einen großen Teil der Migrationspolitik übertragen.

Sie haben das Gefühl, dass die Sache fundamental in die falsche Richtung läuft. In einem offenen Brief fordern Grüne die "Rückkehr zu einer Asylpolitik, die auf Schutz und Integration setzt, anstatt auf Abschottung und Kriminalisierung". Seit Dienstagmittag haben den Brief mehr als 1.500 Parteimitglieder unterschrieben. "Die Antwort auf soziale Probleme muss soziale Politik sein und nicht Menschen zu entrechten und abzuschieben", sagte eine der Initiatorinnen, Elina Schumacher, t-online.

Es gibt inzwischen Grüne, die sich fragen, was sie in ihrem nächsten Wahlprogramm ins Kapitel Migration schreiben sollen, nachdem sie selbst das Asylrecht so sehr verschärft haben wie lange niemand mehr. Alles wieder zurückdrehen? Geht ja auch schlecht. Oder? Vor allem im linken Parteiflügel ist es dieser Tage nicht mehr undenkbar, es im Zweifel auf einen Koalitionsbruch ankommen zu lassen, wenn die Ampelpartner immer noch mehr wollen.

Schwer vorstellbar, wie die Ampel wieder zusammenfinden will, wenn sich der gemeinsam zelebrierte Ärger auf Friedrich Merz verbraucht hat. Zumal der Bundestag bis Ende November auch noch einen Haushalt verabschieden muss, in dem ein knappes Budget auf sehr unterschiedliche Prioritäten trifft.

Die rastlose Debatte nach dem Terroranschlag von Solingen hat die Gegensätze in der Ampel noch einmal zementiert. Das liegt auch daran, wie Politik mittlerweile funktioniert. Um in Zeiten der Krise bloß nicht den Anschein zu erwecken, hilflos zu sein, holen alle Politiker ihre fertigen Zehn-Punkte-Pläne aus den Schubladen, statt erst mal zehn Stunden darüber nachzudenken, was wirklich die richtige Antwort wäre.

Der politmediale Reißwolf frisst anschließend diejenigen Ideen, die nicht als Beinhart-Schlagzeile ins Boulevardblatt gemeißelt werden können. Und am Ende kommt die Debatte bei Friedrich Corleone und dem Pferdekopf an, während kaum noch jemand darüber diskutiert, wie die Radikalisierung von Islamisten wie dem Täter von Solingen verhindert werden kann. Es ist erstaunlich. Und einfach gefährlich.

Damit es besser werden kann, müssen sich auch die politische Kultur, die Medien und die Öffentlichkeit ändern. Das ist durchaus möglich. Anders als früher ist es heute zum Glück weitgehend akzeptiert, wenn Politiker Fehler oder Krankheiten eingestehen. Nun ist es an der Zeit, das Nachdenken zu enttabuisieren.


Termine des Tages

Um 11 Uhr wird's laut: Beim bundesweiten Warntag wird Probealarm über verschiedene Kanäle ausgelöst. Handys schrillen, Sirenen heulen, Infotafeln informieren. Ausgelöst wird die Warnung vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn.


Sicherheitspaket im Bundestag: Die Ampel bringt ihr erstes Maßnahmenpaket als Antwort auf den Terroranschlag von Solingen in den Bundestag ein. Das Waffenrecht soll verschärft, die Befugnisse zur Extremismus- und Terrorismusbekämpfung sollen erweitert und Abschiebungen erleichtert werden.

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US-Außenminister in Polen: Einen Tag nach seinem Besuch in der Ukraine wird Antony Blinken in Polen erwartet. Es soll vor allem um Hilfe für die Ukraine gehen. Polen zählt zu den wichtigsten Unterstützern im Verteidigungskrieg gegen Russland und ist eine wichtige logistische Drehscheibe für Hilfe aus dem Westen.


Historisches Bild

Sportliche Höchstleistungen sind die Regel bei den Olympischen Spielen. Einst lief ein Spitzenathlet ohne Schuhe Marathon. Hier lesen Sie mehr.


Lesetipps

Die Carolabrücke in Dresden ist teilweise eingestürzt. Sie taugt als Sinnbild für den Zustand der deutschen Infrastruktur, kommentiert Kollege Philipp Michaelis.


Bei der Generaldebatte im Bundestag kämpft Kanzler Olaf Scholz um sein politisches Überleben. Und trifft einen wunden Punkt bei Friedrich Merz, kommentiert Chefreporterin Sara Sievert.


Die Fußball-Nationalmannschaft kann den Positivtrend der EM fortsetzen. Julian Nagelsmanns Hauptaufgabe wird es nun sein, die Spannung aufrechtzuerhalten, kommentiert Kollege Noah Platschko.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen schönen Donnerstag. Am Freitag schreibt wieder Florian Harms für Sie.

Ihr Johannes Bebermeier
Leitender Reporter Politik
BlueSky: @jbebermeier.bsky.social
X: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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