Wirtschaft, Putin, Sanktionen China legt sich fest
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Es ist das wichtigste Treffen der Kommunistischen Partei in diesem Jahr: Beim "Dritten Plenum" stellt die chinesische Führung die Weichen in der Wirtschafts- und Außenpolitik. Eine Entwicklung ist für Xi Jinping fatal.
Eigentlich sollte es schon im Oktober 2023 stattfinden, aber das "Dritte Plenum" der kommunistischen Partei (KP) in China wurde mehrfach verschoben. Am Montag hat das Treffen nun begonnen, bei dem die chinesische Führung traditionell alle fünf Jahre die langfristigen wirtschafts- und außenpolitischen Leitplanken festlegt. Vor allem die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und Pekings Ziel, China zur dominierenden Supermacht zu machen, stehen dabei im Fokus.
Zwischen den Parteitagen der KP, die alle fünf Jahre stattfinden, kommt das Zentralkomitee – also die 276 mächtigsten Parteikader – zu mehreren Treffen zusammen. Beim "Ersten Plenum" 2022 wurden Xi Jinping und sein Führungskreis für eine weitere Amtszeit vereidigt, beim "Zweiten Plenum" wurden im Februar 2023 die wichtigsten Regierungsposten besetzt. Nun geht es also um politische Inhalte, um die Strategie der nächsten Jahre.
Warum der chinesische Präsident Xi Jinping dieses "Dritte Plenum" so lange hinauszögerte, bleibt ein Rätsel. Es könnte damit zusammenhängen, dass die KP zunächst intern aufräumen wollte. In der Partei toben seit Jahren immer wieder Machtkämpfe und Xi festigte mit einer Antikorruptionskampagne seine Stellung. Außenminister Qin Gang und Verteidigungsminister Li Shangfu sind in Ungnade gefallen, verschwanden plötzlich von der Bildfläche. Außerdem könnte der chinesische Präsident erst einmal abgewartet haben, wie sich die Lage in der Ukraine entwickelt, heißt es. Schließlich hat Wladimir Putins Angriffskrieg auch Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.
Fakt ist: Das "Dritte Plenum" findet in einer für China schwierigen Lage statt. Die Wirtschaftszahlen sehen düster aus, das Land steht am Scheideweg. Denn auch die Rückendeckung für Putin wird für die Volksrepublik mit Blick auf die Beziehungen zum Westen zunehmend zum Problem. Es knirscht gewaltig.
Es geht um die Strategie der nächsten Jahre
Das Treffen in Peking findet hinter verschlossenen Türen statt. Trotzdem schauen Länder weltweit genau auf Signale aus der chinesischen Hauptstadt, auch wenn eigentlich niemand wirklich daran glaubt, dass Xi Jinping tiefgreifende Kurskorrekturen vornehmen wird. Allerdings wäre es nicht das erste Mal in der chinesischen Geschichte, dass in diesem Format eine chinesische Zeitenwende verkündet wird.
Denn beim "Dritten Plenum" hatte es in der Vergangenheit schon öfter wichtige Weichenstellungen gegeben, die die langfristige Entwicklung der Volksrepublik bis heute geprägt haben. Historisch am bekanntesten ist das "Dritte Plenum" des Jahres 1978, auf dem weitreichende Reformen eingeleitet wurden. Diese gelten als Beginn der Reform- und Öffnungspolitik Chinas. Auch das Treffen des 14. Zentralkomitees unter Jiang Zemin im Jahr 1993 war bedeutend für China, weil das Land dort den Übergang zur sozialistischen Marktwirtschaft festschrieb. Es entstand der chinesische Kapitalismus.
Chinesische Wirtschaft schwächelt
Gibt es in den kommenden Tagen also erneut eine chinesische Zeitenwende? Bislang drangen wenige Informationen aus dem "Dritten Plenum" nach außen. Fest steht nur: Die chinesische Wirtschaft kämpft auch nach dem Ende der Corona-Pandemie mit großen Problemen.
Wie das Pekinger Statistikamt mitteilte, wuchs die chinesische Wirtschaft im zweiten Quartal um 4,7 Prozent und damit langsamer, als von den meisten Analysten im Vorfeld erwartet. Der Wert lag auch unter den Wachstumsraten der beiden Vorquartale, als noch 5,3 und 5,2 Prozent erreicht worden waren.
Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt kämpft derzeit mit einer immensen Immobilienkrise, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, der Binnenkonsum schwach. Hinzu kommen die geopolitischen und handelspolitischen Spannungen mit den USA und Europa, vor allem die Zollpolitik angesichts hoher chinesischer Subventionen für eigene Schlüsselindustrien.
Schon am Freitag hatten veröffentlichte Daten zum Außenhandel im Juni gezeigt, dass sich China nur teilweise von den noch immer spürbaren Folgen seiner restriktiven Corona-Politik erholt: Die Exporte von Gütern und Dienstleistungen stiegen zwar deutlich um 8,6 Prozent im Jahresvergleich, die Importe gingen dagegen überraschend um 2,3 Prozent zurück, was auf eine schwache inländische Nachfrage schließen lässt.
Für die Volksrepublik ist das Wirtschaftswachstum nicht nur das Fundament für den eigenen machtpolitischen Aufstieg. Es ist auch die Grundlage für Xi Jinpings Macht in der KP. Deswegen wird der chinesische Staatschef nun beim "Dritten Plenum" ein Aufbruchssignal senden wollen. Aber wie?
Xi Jinping steckt in einem Dilemma
China könnte einen größeren Fokus auf Hightech und den Dienstleistungssektor legen. Jeroen Groenewegen-Lau vom China-Institut Merics in Berlin sagte der dpa: "Das 'Dritte Plenum' wird das kollektive Bemühen in den Vordergrund stellen, damit China seine Ziele der technologischen Unabhängigkeit und Modernisierung der Industrie erreicht." Der China-Experte ergänze: "Vorübergehende Wohlstandsverluste werden in Kauf genommen."
Auch Chinas Staatspresse legte im Vorfeld des Treffens ihren Fokus auf Bestrebungen der Führung, China zu einer Hightech-Macht zu machen. Es werde mit der Vorlage eines "Fahrplans für die kontinuierliche Vertiefung der Reformen" gerechnet, zitierte die Staatszeitung "Global Times" kurz vor dem Plenum namentlich nicht genannte Experten. Das Parteitreffen finde demnach in einer Zeit statt, "die von Veränderungen geprägt ist, wie es sie seit einem Jahrhundert nicht mehr gegeben hat". Es werde ein klarer Weg für "das Streben des Landes nach einer qualitativ hochwertigen Entwicklung" aufgezeigt werden.
Doch Xi steckt in einem Dilemma: In China selbst ist der Dienstleistungssektor – gemessen an dem Entwicklungsstand des Landes – noch eher schwach ausgeprägt. Einen Ausbau des Dienstleistungssektors sieht der chinesische Präsident kritisch, weil Serviceunternehmen Freiräume brauchen, um direkt mit den Kunden zu kommunizieren. Ein Albtraum für Xi, der in China auf immer mehr Kontrolle setzt. Der Industriesektor nimmt dagegen einen großen Stellenwert ein, auch weil China für viele westliche Länder weiterhin der wichtigste Produktionsstandort ist.
Doch das wird für die Volksrepublik zunehmend schwieriger. Denn die geopolitischen Spannungen und Xi Jinpings Rückendeckung für Putins Krieg führen dazu, dass westliche Unternehmen und allgemein westliche Regierungen ihre Wirtschaftsbeziehungen diversifizieren. Das ist mit Blick auf die eigene Wirtschaftskraft für China eine komplizierte Entwicklung, zumal westliche Staaten auch genauer darauf schauen, chinesische Wirtschaftsspionage insbesondere im Technologiebereich zu verhindern.
Ein Signal an den Westen?
Xi Jinping könnte beim "Dritten Plenum" also eher gemäßigte Töne anstimmen, um die Sorgen im Westen zu zerstreuen. Neue Kampfansagen gegenüber der Nato und in Bezug auf Taiwan wären aktuell wohl nicht im chinesischen Interesse. Davon hat sich Chinas Staatschef in der Vergangenheit zwar selten abschrecken lassen, aber für ihn geht es in den kommenden Tagen auch darum, die innenpolitische Kritik an seinem Wirtschaftskurs abzumildern.
Deswegen gilt es als wahrscheinlicher, dass China der Welt ein Angebot der konstruktiven Zusammenarbeit unterbreitet. Die chinesische Führung könnte außerdem versuchen, sich selbst unabhängiger von westlichen Märkten zu machen und dafür strukturell in noch mehr Staaten zu investieren. Beispiele dafür sind jüngst ein geplanter chinesischer Hafen am Schwarzen Meer in Georgien und engere Beziehungen zu Kasachstan.
Die China-Expertin Mareike Ohlberg sagte dem "Tagesspiegel": "Traditionell war China im postsowjetischem Raum häufig eher zurückhaltend. Inzwischen sieht China keinen Grund mehr, auf solche potenziellen Befindlichkeiten Russlands Rücksicht zu nehmen." Putins Angriffskrieg hat Russland von westlichen Märkten entkoppelt, das hilft Peking. Ohlberg sieht die russische Wirtschaft durch die internationalen Sanktionen "so abhängig von der Volksrepublik, dass Peking selbstbewusst im postsowjetischen Raum seinen Einfluss aufbaut".
Somit steht China vor komplizierten Anpassungen. Beim "Dritten Plenum" wird es daher auch um das Spannungsfeld zwischen eigenen wirtschaftlichen Interessen und dem Selbstverständnis als Supermacht gehen. Ein Beispiel dafür sind die Strafzölle der Europäischen Union gegen die chinesische Automobilindustrie. Brüssel hatte diese Strafmaßnahmen beschlossen, weil der chinesische Staat massiv die eigene Autoindustrie subventioniert, und europäische Autobauer dadurch einen massiven Wettbewerbsnachteil haben. Bislang konterte die chinesische Führung nicht mit eigenen Strafzöllen, was beim "Dritten Plenum" durchaus Debatten hervorrufen könnte.
Das zeigt vor allem eines: China hat seine langfristigen Interessen im Blick und ist bei militärischen und wirtschaftlichen Maßnahmen deutlich umsichtiger als zum Beispiel Putin, um diese Ziele nicht zu gefährden. Das könnte für den Westen und Peking eine Chance sein, um wieder enger zusammenzufinden. Vieles wird allerdings in dem Zusammenhang von den Signalen abhängen, die vom "Dritten Plenum" ausgehen. Und von der Bereitschaft Xi Jinpings, Wladimir Putin und seinem Krieg Einhalt zu gebieten.
- spiegel.de: China hat Angst vor dem Abstieg
- nzz.ch: China am Scheideweg: Kann das Land noch zu alter Stärke zurückfinden?
- tagesspiegel.de: "Kritik und Widerspruch haben bei Xi Jinping keinen Platz"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp