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Bundeswehr-Debatte: Scholz ignoriert Pistorius' Warnungen?


Militärische Zeitenwende
Er scheint gegen eine Wand zu laufen

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 15.07.2024Lesedauer: 4 Min.
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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
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Boris Pistorius (SPD): Der Verteidigungsminister wünscht sich mehr Geld für die Bundeswehr. (Quelle: Maurizio Gambarini)

Boris Pistorius läuft mit seiner Forderung nach mehr Geld für die Bundeswehr gegen eine Wand. Der Kanzler setzt andere Prioritäten. Womöglich begeht er aber den Fehler, Putin erneut falsch einzuschätzen.

Unnachgiebig erinnert Boris Pistorius daran, dass gerade einiges schiefläuft. Die Bundeswehr benötigt mehr Soldaten, aber die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist blockiert. Um kriegstüchtig zu sein, braucht sie auch mehr Waffen jeder Art. Für beides müsste der Wehretat stark angehoben werden, was Pistorius allerdings verwehrt wird.

Aus seiner Sicht wiederholt sich damit eine Fehleinschätzung, die Tradition hat. Mehrere deutsche Regierungen haben Wladimir Putin falsch eingeschätzt. Seit dem 24. Februar 2022 könnte jedermann es besser wissen. Erst kommt die Ukraine und dann setzt Russland die Korrektur der Geschichtstragödie fort, die im Schwinden der Weltmacht seit 1989 bestand – das ist die Logik. Darüber redet Putin, Imperialismus hat er im Sinn, man sollte ihn nun wirklich ernst nehmen.

(Quelle: Privat)

Zur Person

Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.

Demokratien sind aller Erfahrung nach friedlich gesonnen. Sie verbünden sich ökonomisch und militärisch mit anderen Demokratien, treffen damit Vorsorge für den Ernstfall, von dem sie aber annehmen, dass er nicht eintreffen wird. Ansonsten widmen sie sich der Marktwirtschaft und dem inneren Ausbau der Demokratie. Das ist der Normalfall, der allerdings hinter uns liegt.

In Zeiten wie diesen sind Zielkonflikte in der Demokratie unvermeidlich. Die Regierung Scholz/Habeck/Lindner stellt die Ökologie notgedrungen hintan und widmet sich dem Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Die Kindergrundsicherung bleibt zwar vermutlich auf der Strecke und das Bürgergeld wird von einer milden Gabe zu einer auch fordernden Gabe umgewandelt. Aber vor allem die SPD würde gerne den Mindestlohn nochmals erhöhen und ist überdies der Auffassung, dass die Schuldenbremse ein massives Ärgernis ist.

Doch was ist mit Putin und seinem Geschichtsrevisionismus? Boris Pistorius wird nicht müde, auf die reale Gefahr hinzuweisen, dass Russland in einer zweiten Phase die baltischen Staaten angreifen wird, sodass für die Nato, also auch für Deutschland, der Bündnisfall eintritt. Nicht irgendwann, sondern schon bald. Aber wird er ernst genommen?

"Ein existenzieller Fehler"

In den letzten Tagen ließ sich der Verteidigungsminister nicht zufällig von zwei Generälen flankieren, die er sehr schätzt und die hohes Ansehen in der Truppe genießen. Der eine heißt Jürgen-Joachim von Sandrart und befehligt das multinationale Korps Nordost, das in Stettin stationiert ist. In dessen Stab sind 25 Nato-Länder vertreten.

Sandrart sagte vor Kurzem, "Russland klein zu hoffen und zu denken, das wäre ein existenzieller Fehler". Dazu gehört aus seiner Sicht die Illusion, dass Putin durch den Krieg gegen die Ukraine auf Dauer gebunden ist: "Es besteht bereits jetzt ein Potenzial, das es Moskau ermöglichen könnte – sicherlich limitiert in Raum, Zeit und Kräfteansatz – einen weiteren Konfliktherd zu entfachen, unter anderem auch gegenüber der Nato."

Der andere General heißt Carsten Breuer, ist Generalinspekteur der Bundeswehr und damit Ratgeber seines Ministers. Als sich abzeichnete, dass die Regierung die Streitkräfte nicht hinreichend im Etat bedenken würde, gab auch Breuer Interviews. Er sagte, das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro diene zur Kriegstüchtigkeit und verlange konsequent nach einem steigenden Etat: "Denn neben der Ausstattung geht es um die Betriebsausgaben, die Instandsetzung, Ausbildung und Übungen, ohne die wir die Einsatzbereitschaft der Truppe nicht erhalten können. Was hilft also mehr Material, wenn die Soldaten es nicht nutzen können?"

Wollten ja Pazifisten sein

Breuer spricht auch aus, was andere hohe Ränge in der Bundeswehr denken: "In fünf bis acht Jahren wird Russland sein Militär so erneuert haben, dass ein Angriff auf Nato-Gebiet möglich sein könnte. Das bedeutet für uns: Wir müssen uns an 2029 ausrichten. Bis dahin müssen wir spätestens bereit sein, uns gegen einen möglichen russischen Angriff verteidigen zu können."

Vielleicht ist es gewöhnungsbedürftig, dass sich Generäle konzertiert in eine politische Debatte einschalten. Deutschlands Außenpolitik war eben über viele Jahrzehnte auf Ausgleich durch Entspannung eingestellt und damit auch erstaunlich erfolgreich. Ohne den Verzicht auf Großmannssucht wäre die Wiedervereinigung am Ende nicht so glatt über die Bühne gegangen. Die Schrumpfung der Bundeswehr schien konsequent zu sein, weil wir ja damals von Freunden umzingelt waren. Und wir wollten ja Pazifisten sein.

Scholz und Lindner wissen es

Vergangen, verweht. Die Welt ist gefährlich geworden. Der Kalte Krieg ist zurück. Jeder weiß es, auch Christian Lindner und Olaf Scholz wissen es. Nur ziehen sie anscheinend keine Konsequenzen daraus.

 
 
 
 
 
 
 

Die Stärkung der Bundeswehr im erforderlichen Maße scheitert schon mal an der Partei, der Boris Pistorius angehört. Die SPD ist mehrheitlich nach wie vor pazifistisch gesonnen. Sie mag zwar im Verteidigungsminister einen Kanzler-Ersatz sehen, teilt aber seine Überzeugung nicht, dass die Lage bitterernst ist, und schon gar nicht die Einschätzung, dass schon in wenigen Jahren Deutschland der Nato-Ernstfall bevorstehen könnte.

Muss ja wohl wehrhaft sein

Vielleicht ist die Prognose übertrieben, dass die baltischen Staaten in Kürze die nächsten Angriffsziele sein sollen und das Bündnis ihnen beispringen muss. Vielleicht steckt in der Skepsis aber auch magisches Denken – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Was ist also das Richtige?

Richtig ist Vorsorge für den Fall der Fälle. Auch wer Krieg nicht will, muss sich auf ihn vorbereiten. Deshalb ist eine starke Bundeswehr eine Notwendigkeit, ob einem das gefällt oder nicht. Sie braucht Geld, also sollte sie es bekommen. Die Regierung könnte das einsehen, wenn sie wollte. Die Demokratie muss ja wohl wehrhaft sein, oder etwa nicht?

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