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Nach Trump-Attentat: Weder Monster noch Messias – sondern Mensch


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Tagesanbruch
Weder Monster noch Messias, sondern ...

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

15.07.2024Lesedauer: 8 Min.
Zwei Bilder von Ex-US-Präsident Donald Trump nach dem Attentat - zwei Sinnbilder für unsere größten Probleme.Vergrößern des Bildes
Zwei Bilder von Ex-US-Präsident Donald Trump nach dem Attentat – Sinnbilder für unsere größten Probleme. (Quelle: Evan Vucci/AP/dpa; Anna Moneymaker/Getty Images; Collage: Axel Krüger/t-online)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

am Ende entscheiden oft die Bilder. Über Gefühle und Ängste, über den Erfolg und Misserfolg von Narrativen, sogar über den Ausgang von Debatten und Wahlen. Sie beeinflussen Menschen sehr viel direkter als geschriebene oder gesprochene Worte. Einerseits, weil sie universell und unmittelbar zu verstehen sind. Andererseits, weil sie als faktische Zeitzeugnisse gelten. Dokumente, die zeigen sollen, was wirklich war, und so jedem Menschen die Möglichkeit geben, selbst zu interpretieren, was er sieht.

Tausende Bilder wurden vor, während und nach dem Attentat auf Ex-Präsident Donald Trump gemacht. Doch vor allem ein Foto verbreitete sich danach rasant: Trump mit Blut im Gesicht, von mehreren Sicherheitsleuten umklammert, die Faust zum Himmel gereckt. Im Hintergrund weht die US-Flagge. Sein Mund ist geöffnet. Auf Videos kann man nachvollziehen, was er in diesem Moment sagt: "Fight!", also "Kämpft!".

Für Trump-Anhänger und -Wahlkämpfer, aber auch für die Medien und speziell Macher der Titelseiten ist dieses Bild ein Traum. Im Chaos entstandene Perfektion. Ein Foto, in dem nicht nur die gesamte Geschichte dieses Attentats gipfelt, sondern ein ganzes Universum von Botschaften liegt.

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Da wäre rein faktisch die Nachricht: Trump, auf den gerade mehrfach geschossen wurde, lebt. Der Ex-Präsident blutet, er ist verletzt, aber nicht allzu schwer. Und er will sich offensichtlich nicht einschüchtern oder aufhalten lassen von den Schüssen auf ihn. Er wird weitermachen.

Noch mächtiger aber sind die Botschaften darüber hinaus. Weg vom Faktischen steht da die Siegerpose Trumps im Mittelpunkt. Für seine Anhänger ist der Ex-Präsident der Unbeugsame, der Mächtige, der Held, der trotz aller bestätigten Vorwürfe, trotz aller Gerichtsprozesse gegen ihn für sie auch der nächste US-Präsident ist. Mehr Messias als Mensch. Triumph pur.

Für seine Gegner allerdings steht da Trump, der Demokratie-Zerstörer, der Hass-Verbreiter, weiter gestärkt und trotz aller Anwürfe gegen ihn der nun noch wahrscheinlichere Sieger der US-Wahl. Mehr Monster als Mensch. Gefahr pur.

Dieses Bild zu zeigen, hat seine Berechtigung. Es sagt viel über Trump, über seine Botschaften an seine Anhänger, über die Gewalt und die Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft, über das Attentat, über den US-Wahlkampf in der Vergangenheit und vermutlich noch mehr in der Zukunft.

Doch dieses Bild und seine so fleißige Verbreitung in den sozialen wie in den etablierten Medien ist eben auch Sinnbild für vieles, was falsch läuft in unseren Debatten. Und das nicht nur in den USA, sondern ebenso in Europa und Deutschland. Es ist Sinnbild für eines unserer größten Probleme, ja, es ist selbst ein Problem.

Denn es lässt vergessen, dass Trump eben kein Monster ist und auch kein Messias – sondern ein Mensch. Einer, der blutet, der Angst haben, der verletzt werden und sterben kann. Der Kinder und Familie hat, die um ihn und um ihre eigene Sicherheit bangen, die weinen, sich fürchten und verzweifelt sein können. Trump will das selbst: Der Mann, der ganz genau um die Macht von Bildern weiß, hat die Geste schließlich sehr bewusst gesetzt. Und seine Anhänger verbreiten sie schon jetzt überall im Netz – und offenbar sogar bereits auf T-Shirts.

Genau das aber ist das Problem: Der Mensch wurde in den letzten Jahren in den Diskursen immer stärker verdrängt. Es geht nur noch um Freund-oder-Feind-Denken. Einfache Schablonen für eine komplizierte Welt, die Menschen das Menschsein doppelt vergessen machen: mit Blick auf den politischen Gegner und beim eigenen Handeln.

Video | Aufnahmen zeigen Attentäter auf dem Dach
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Quelle: t-online

So werden Zerrbilder generiert, übermenschliche Dämonen in den Köpfen kreiert oder Gegner zu bloßen Gegenständen degradiert. Es gibt Tausende Beispiele dafür, was sich gerade Politiker und ihre Anhängerschaft gegenseitig antun: So beschimpfte Trump US-Präsident Joe Biden bereits als "böse", als "krank", als "Faschisten", als "Vollidioten" und "kaputten Haufen Mist". Andersherum bezeichnete Biden Trump als "Trottel", "Jammerlappen" und "Straßenköter". Und ihre Anhänger gehen noch weiter, sowohl in Worten als auch in selbstbearbeiteten Collagen, die das Netz fluten.

Und nein, in Deutschland ist das nicht viel anders. Noch ein wenig zurückhaltender vielleicht, massive Grenzüberschreitungen sind hierzulande zum Glück noch etwas verpönter. Aber zumindest im verbalen Kampf rechts gegen links stehen wir den USA in Rohheit nur noch in wenig nach.

Die AfD, über die ich für t-online regelmäßig schreibe, versteht sich auf diese Verrohung besonders gut. Als "Koksnasen", "Kinderschänder" und zuhauf als "Volksverräter" beschimpfen sie und ihre Anhänger ihre Gegner, drohen damit, sie zu "richten" oder zu "entsorgen" – und entmenschlichen immer und immer wieder sexuelle und religiöse Minderheiten. Sie profitieren von Angst und Schrecken, rau und gewaltvoll ist ihr Ton. Ebenso rau und gewaltvoll kann es für politisch Andersdenkende oder Journalisten bei ihren Demonstrationen werden.

Doch die andere Seite, das gehört zur Wahrheit unbedingt dazu, antwortet oft genug auf demselben Niveau: Hämisch gefreut wird sich, wenn eine Torte in das Gesicht von Beatrix von Storch klatscht – dabei ist das ganz einfach: ein tätlicher Angriff. Zum AfD-Parteitag in Essen Ende Juni schafften es durch Blockaden von Gegendemonstranten hindurch viele AfD-Politiker nur dank massivem Polizeiaufgebot und -schutz. Auch Journalisten, die für AfD-Delegierte gehalten wurden, wurden eingekesselt und angegangen, und mehr als 20 Polizisten wurden verletzt.

Feinde und Aggression auf allen Seiten. Massiv verstärken diesen Trend weltweit die sozialen Netzwerke, wo Lügen, Verschwörungstheorien und Angstbilder kursieren, die mit der Realität rein gar nichts mehr zu tun haben. Belogen, in die Ecke getrieben, zu Selbst- und Lynchjustiz aufgefordert fühlt man sich, ist man erst einmal in die falsche Blase gerutscht. Und die Hetzer in diesen Blasen drehen nach dem Trump-Attentat noch weiter auf.

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So aber geht es nicht. So gehen die elementarsten Regeln des menschlichen Miteinanders verloren, so reiten wir uns selbst geradewegs in den Abgrund. Gerade jetzt, wo drei Landtagswahlen vor der Tür stehen, die Desinformation wie politischen Streit in Deutschland anheizen dürften wie nie zuvor, sei daran erinnert: Mensch ist Mensch, unabhängig von politischer Gesinnung. Und jedem gebührt ein Mindestmaß an Respekt. Beleidigungen verbieten sich, jede Form von Gewalt erst recht.

Deswegen will ich Ihnen an dieser Stelle ein Foto von diesem Tag des Angriffs auf Donald Trump zeigen, das wichtiger ist. Das eher in Erinnerung bleiben sollte. Weil es an das Wesentliche erinnert: Was Gewalt anrichtet – und dass wir alle verletzlich sind und am Boden liegen können:


Fakten gegen Fakes

Noch wirksamer gegen Angst und Hetze als jedes Bild ist gute Information. Deswegen finden Sie auf t-online fortlaufend aktualisierte Erkenntnisse zum Attentat auf Trump sowie Einordnungen von Experten. In dieser Übersicht erfahren Sie, was seriöse Medien über den Anschlag, den Täter und die Hintergründe berichten und was Behörden bestätigen. In unserem Liveticker landen die jüngsten Ereignisse.

An dieser Stelle hat ein US-Experte im Gespräch mit meiner Kollegin Laura Mielke erklärt, was der Mordanschlag für die kommenden Wochen und Monate bedeuten kann. Hätte das Attentat auf Trump verhindert werden können? Dieser Frage ist mein Kollege David Schafbuch mit einem Sicherheitsexperten hier nachgegangen. Und in diesem Artikel wiederum haben sich deutsche Politiker geäußert – auch mit Blick auf die Sicherheitslage hierzulande.


Spanien ist Europameister

Eigentlich sollte das die Nachricht des Sonntags sein: Spanien ist Europameister. 2:1 siegte das junge Team im Berliner Olympiastadion gegen England. Zum vierten Mal holt Spanien damit den EM-Pokal (nach Siegen in den Jahren 2012, 2008 und 1964) – und krönt sich so zum Rekord-Europameister. Wie das Spiel verlief, lesen Sie hier.

Und damit nicht genug: Mit dem 28-jährigen Rodrigo Hernández Cascante, genannt Rodri, und Lamine Yamal, der während des Turniers 17 wurde und die Realschule beendete, gehen auch die Auszeichnungen für den besten Spieler der EM und den besten Nachwuchsspieler nach Spanien. Ihnen zuzusehen, hat Freude gemacht. Und ihre Gegner zollen Respekt: "Spanien war das beste Team", räumte Englands Trainer Gareth Southgate nach dem Finale unumwunden ein.

Beim nächsten Mal zeigen hoffentlich auch die deutschen Fans so viel Größe. Von denen hatten einige noch immer nicht verwunden, dass Deutschland gegen Spanien bereits im Viertelfinale ausgeschieden war. Spaniens Marc Cucurella wurde in Berlin, wie schon im Halbfinale in München, bei jedem Ballkontakt ausgebuht. Er ist der Spieler, der gegen Deutschland zwar einen Ball an die Hand geschossen bekam – aber es folgte kein Elfmeter für das DFB-Team daraus. Die Empörung auf deutscher Seite war groß.

Mehr Fairness, mehr Sportlichkeit, mehr schottische Gelassenheit angesichts von Niederlagen wären Deutschland offensichtlich sehr zu empfehlen. Cucurella immerhin wird es nun gut verwinden können – mit dem EM-Pokal in der Hand.


Was steht an?

Wichtig für die USA: Ab Montag 19.45 Uhr unserer Zeit startet der Nominierungsparteitag der US-Republikaner. Dort wird der Kandidat der Republikaner für die Präsidentschaftswahl am 5. November gekürt. Und er heißt, das ist schon jetzt sicher: Donald Trump. Wie die Stimmung nach dem Attentat ist, wie Trump auftritt – darüber wird US-Korrespondent Bastian Brauns direkt aus Milwaukee berichten.


Wichtige Sperrung bei der Bahn: Ab Montag soll die Fernverkehrsstrecke Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim als erste bundesweit generalsaniert werden. Die Arbeiten starten in der Nacht (Montag, 23 Uhr), ab dann gilt das Ersatzkonzept. Fahrgäste im Fernverkehr müssen sich der Deutschen Bahn zufolge auf rund 30 Minuten längere Fahrten einstellen, ein Drittel des Zugangebots entfällt ganz und einige Halte werden nicht angefahren. Fünf Monate sind für die Sanierung bisher geplant.


Wichtige Zahlen für die Wirtschaft: Chinas Statistikamt veröffentlicht Wachstumszahlen für das zweite Quartal. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt spielt eine wichtige Rolle für den globalen Handel und die Weltwirtschaft. Im vergangenen Jahr hatte China mit schweren wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen.


Wichtig für Klimaschützer: Die Bundesregierung muss sich am Montag ab 10 Uhr erneut wegen ihrer Umwelt- und Klimapolitik vor Gericht verantworten. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verhandelt eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf Einhaltung der europäischen Vorgaben für saubere Luft.


Unwichtig, aber schön: Der britische König Charles III. lässt auf der Themse seine Schwäne zählen. Mit Ruderbooten suchen die Zähler beim sogenannten "Swan Upping" nach den Vögeln und schauen, ob es ihnen gut geht.


Was lesen?

Taylor Swift gilt als einer der größten Musikstars unserer Zeit – doch Älteren, und darunter besonders den Männern, sagt sie oft nichts. Mein ahnungsloser Kollege Florian Wichert hat ein Konzert von ihr besucht und warnt in seinem unterhaltsamen Bericht: Die Ansteckungsgefahr ist hoch.


Robert Habeck will auf seiner Sommerreise durch Deutschland die Berliner Mühen hinter sich lassen. Doch die Krisen holen ihn immer wieder ein. Mein Kollege Johannes Bebermeier hat den verschnupften Vizekanzler begleitet.


Mit einem Luftangriff wollte die israelische Armee in einer humanitären Zone in Chan Junis den militärischen Kopf der Hamas ausschalten. Aber zu welchem Preis? Das Resultat ist ein Blutbad mit schweren Folgen – auch für Israel, kommentiert mein Kollege Patrick Diekmann.


Ohrenschmaus

Manchmal überschlagen sich die schlechten Nachrichten und man weiß kaum noch, wo einem der Kopf steht. Das Gefühl hat der Musiker Randy Newman in einen Song gepackt – aber musikalisch mit viel Leichtig- und Fröhlichkeit garniert. Wenn's mal wieder zu irrsinnig wird: Hier können Sie seinen Song "It's a jungle out there" (übersetzt: "Es ist ein Dschungel da draußen") hören. Der war auch der Titelsong einer vor 20 Jahren beliebten TV-Serie. Vielleicht erinnern Sie sich?


Zum Schluss

Die Leiden eines Gastgebers:

Ich wünsche Ihnen einen sorgenfreien Tag. Morgen schreibt Florian Harms wieder für Sie.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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