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Verfassungsschutzbericht: Wird der Islamismus unterschätzt? Gefährder lauern


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Tagesanbruch
Wird der Islamismus unterschätzt?

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 18.06.2024Lesedauer: 6 Min.
Vor anderthalb Jahren erstach der Palästinenser Ibrahim A. in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein zwei Menschen und verletzte vier weitere.Vergrößern des Bildes
Vor anderthalb Jahren erstach der Palästinenser Ibrahim A. in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein zwei Menschen und verletzte vier weitere. (Quelle: Jonas Walzberg/dpa)
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Superlative sind vorteilhaft, weil sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zugleich haben sie den Nachteil, alles andere in den Schatten zu stellen: Was kein Superlativ ist, erscheint dann als nachrangig. Im Sport verursacht das keine Probleme; dort gelingt es dampfplaudernden Moderatoren mühelos, drei Superlative in einem Satz unterzubringen – und dem Publikum gelingt es ebenso leicht, die Dampfsätze schnell zu vergessen. Am Ende bleibt nichts als heiße Luft, aber niemand nimmt Schaden.

Anders verhält es sich in der Politik und dort vor allem bei der inneren Sicherheit: Wenn Polizei und Geheimdienste Neuigkeiten verkünden, sollte es sich um mehr als heiße Luft handeln. Schließlich geht es um das Wohl und Wehe von Millionen Bürgern. Spricht die Bundesinnenministerin da eine Warnung mit einem Superlativ aus, sind zu Recht viele Menschen alarmiert.

Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts vor einem Jahr bezeichnete Nancy Faeser den "Rechtsextremismus als die größte extremistische Gefahr für die Demokratie in Deutschland." Der Satz wurde landauf, landab zitiert. Zwar hatte schon ihr Vorgänger Horst Seehofer eine ähnliche Formulierung gewählt, doch dem amtsmüden CSU-Minister hörten in der späten Merkel-Ära nur noch hartgesottene Politikfans zu. Frau Faeser hingegen verkörpert auf allen Kanälen die sicherheitspolitische Agenda der Ampelkoalition: Der Feind steht rechts und muss nach Jahren des Laissez-faire endlich entschlossen bekämpft werden, sind die Regierenden von SPD, Grünen und FDP überzeugt. Die Zahlen scheinen ihnen recht zu geben: In den letzten Jahren registrierten die Behörden tatsächlich mehr rechtsextremistische als linksextremistische Gewalttaten.

Beflissen schärft die Innenministerin der Öffentlichkeit nach jedem rechtsextremistischen Vor- oder Verdachtsfall ihren Superlativ ein – sei es nach dem Dumpfbacken-Video auf Sylt oder Angriffen auf Kommunalpolitiker. Dementsprechend groß ist das mediale Interesse an der rechten Gefahr; auch hier im Tagesanbruch haben wir den Superlativ wiederholt. Eher selten wird genauer hingeschaut und beachtet, dass sich die hohe Zahl rechtsextremistischer Straftaten nicht nur durch überproportional viele Körperverletzungen, sondern auch durch besonders viele Propagandadelikte wie beispielsweise das Tragen verfassungsfeindlicher Symbole erklärt. Nicht alles, was Schlagzeilen macht, ist gleich eine Bedrohung für Leib und Leben.

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Nun soll in diesem Text keinesfalls die Gefahr von rechts verharmlost werden. Wenn Sie den Tagesanbruch regelmäßig lesen, dürfte Ihnen bekannt sein, dass unsere Redaktion regelmäßig über die Machenschaften von Verfassungsfeinden berichtet, oft auf der Basis exklusiver Recherchen. Neonazi-Netzwerke und rechtsradikale Kampfgruppen sind eine ernste Bedrohung für den gesellschaftlichen Frieden, erst recht, wenn sie unter dem Deckmäntelchen vermeintlich rechtsstaatlicher Organisationen daherkommen, wie im Fall mehrerer Landesverbände der AfD.

Doch zwischen all dem Warnen und Berichterstatten sollte man nicht die anderen ideologischen Gefahrenquellen außer Acht lassen, die friedliebende Menschen bedrohen: Das ist in erster Linie der Islamismus. Der zeigt sich mal im Gewand keifender Kalifatsjünger wie kürzlich in Hamburg, mal im Fanatismus mörderischer Einzeltäter wie in Mannheim, mal in international vernetzten Terrorgruppen wie dem "Islamischen Staat", dessen Anhänger hierzulande nur dank amerikanischer Geheimdienste aufgespürt werden können. Die deutschen Sicherheitsbehörden allein sind dazu nicht in der Lage. Jahrelange Kriege und Konflikte – oftmals angefacht von westlichen Mächten – haben zahlreiche muslimische Länder zerrüttet und zu Exporteuren von Gewalttätern gemacht. Zu viele dieser Gefährder sind dank der laxen deutschen Migrationspolitik in den Merkel-Jahren in die Bundesrepublik gelangt; andere haben sich aufgrund religiöser Indoktrination oder verfehlter Integration hierzulande radikalisiert.

Das hat bittere Folgen: Viele Bürger – alteingesessene wie zugewanderte – empfinden wachsende Beunruhigung, wenn sie Bilder wie das Schreckensvideo aus Mannheim sehen. Der brutale Angriff, das Geschrei, der Hieb des Messers graben sich ins Gedächtnis ein und erschüttern das Vertrauen in die Sicherheit des öffentlichen Raumes. Kürzlich erging es mir selbst so: In meinen Laptop versunken saß ich im Zug, als plötzlich jemand durchs Abteil rannte und "Raus! Raus! Sofort raus!" schrie. Ich erschrak bis ins Mark, und ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: "Ist da ein Täter wie neulich in dem Regionalzug in Schleswig-Holstein? Ein Mann, der wahllos auf Reisende einsticht?" Zum Glück war es dann nur ein Taschendieb, der vom Schaffner vertrieben wurde. Aber der Schock saß.

Ich habe den Eindruck: Ich bin nicht der Einzige, der durch die Gewalttaten von Islamisten und radikalisierten Migranten in den vergangenen Monaten verunsichert wird und sich nun fragt: Tun die Politiker in Bund und Ländern wirklich alles, um diese Gefahr zu bannen?

Heute Vormittag wird die Innenministerin wieder im Fokus der Aufmerksamkeit stehen: Gemeinsam mit BfV-Chef Thomas Haldenwang stellt Nancy Faeser in Berlin den neuen Verfassungsschutzbericht vor. Die beiden werden über Organisierte Kriminalität und russische Cyberangriffe, über linke, islamistische und sicher auch ausführlich über die rechte Bedrohung sprechen. Mir wäre es recht, sie würde dabei auf ihren Superlativ verzichten. Es gibt nun mal mehr als nur eine ideologisch motivierte Gefahrenquelle. Das kann man gar nicht deutlich genug sagen. Damit gar nicht erst der Verdacht aufkommt, die Politik setze falsche Prioritäten.


Zahl des Tages

27.480 Personen ordnet der Verfassungsschutz hierzulande dem Islamismus und dem islamistischen Terrorismus zu. "Die Bedrohung (…) geht weiter vorwiegend von dschihadistisch inspirierten oder angeleiteten Einzeltätern sowie Kleinstgruppen mit einfachen und leicht zu beschaffenden Tatmitteln aus – darunter Hieb- und Stichwaffen", warnt der Inlandsgeheimdienst. "Die Angriffe richten sich dabei vornehmlich gegen 'weiche' Ziele. Koordinierte, komplexe, langfristig geplante Anschläge sind in Deutschland dennoch jederzeit denkbar."

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"Die Gefahr für dschihadistisch motivierte Gewalttaten ist weiterhin hoch", schreibt auch das Bundeskriminalamt. "Mehr als 1.150 Personen sind seit 2011 aus islamistischer Motivation heraus von Deutschland in Richtung Syrien und Irak gereist. Etwa 40 Prozent befinden sich wieder in Deutschland."


Der nächste Prozess

Wie groß auch die Bedrohung von rechts nach wie vor ist, zeigen die Ermittlungen gegen die "Reichsbürger"-Gruppe um Prinz Reuß. Die Bundesanwaltschaft hat nach der Anti-Terror-Razzia vor zwei Jahren mehrere Anklagen auf den Weg gebracht: In Frankfurt werden die mutmaßlichen Rädelsführer angeklagt, in Stuttgart der militärische Arm. Heute beginnt in München der Prozess gegen die übrigen mutmaßlichen Mitglieder. Die Bande soll einen Putsch und Morde an Politikern geplant haben, um das demokratische System zu stürzen.


Ohr im Osten

Nicht nur in den Ampelparteien rumort es nach der Europawahl, auch in den neuen Bundesländern sind viele Politiker alarmiert: Ist die Machtübernahme der rechtsextremistischen AfD-Verbände nicht mehr aufzuhalten? Bundeskanzler Olaf Scholz wird sich heute auf der Ministerpräsidentenkonferenz die Sorgen der ostdeutschen Regierungschefs anhören. Neben den Wahlfolgen soll es um die medizinische Versorgung auf dem Land, die Pflegeversicherung, die demografische Entwicklung sowie die Wirtschafts- und Energiepolitik gehen. Alles Themen also, die viele Menschen verärgern. Frust ist verständlich. Aus Frust Verfassungsfeinde zu wählen, ist es überhaupt nicht.


Schöner kicken

Auch heute rollt der Ball: Um 18 Uhr spielt in Dortmund die Türkei gegen Georgien, um 21 Uhr in Leipzig Portugal gegen Tschechien. Damit ist die erste Runde des EM-Turniers abgeschlossen und alle Mannschaften haben sich einmal präsentiert. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber mir hat das deutsche Tormaschinenteam am besten gefallen.


Ohrenschmaus

Welcher Rocker sang das coolste Fußballerlied und gab dabei sogar eine halbwegs gute Figur ab? Udo natürlich!


Lesetipps

Die Fußball-EM ist erst ein paar Tage alt, schon hat es mehrere Gewalttaten gegeben. Mein Kollege Julian Fischer erklärt Ihnen, warum die Organisatoren die Lage trotzdem unter Kontrolle wähnen.


Bildungsministerin Stark-Watzinger hat ihre Staatssekretärin rausgeworfen: Sie knickt vor Aktivisten ein, die Antisemitismus an deutschen Unis als legitimen Protest verbrämen. Armselig findet das mein Kollege Florian Schmidt.


Privatisieren, sanieren, stilllegen: Mein Kollege Mauritius Kloft geht der Frage nach, ob die Treuhand den Aufstieg der AfD begünstigt hat.


Für ihre Moderation bei der EM ist ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann in den sozialen Medien scharf kritisiert worden. Unser Kolumnist Hansi Küpper findet das absurd.


Zum Schluss

In Deutschland geht jetzt richtig die Post ab.

Ich wünsche Ihnen einen euphorischen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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