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Reichsbürger-Prozess beginnt: Nicht lächerlich, sondern irrsinnig gefährlich


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Tagesanbruch
Irrsinnig gefährlich

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 21.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Prinz Reuß 2003 bei einem Prozess um einen Erbstreit in Gera (Archiv): 20 Jahre später steht er wieder vor Gericht. (Quelle: Sascha Fromm/imago)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

an diesem Dienstag beginnt in Frankfurt ein Mammutprozess. 240 Zeugen sind geladen, schon jetzt umfassen die Prozessdokumente 800 Aktenordner. Sogar eine extra Halle wurde für das Verfahren gebaut – Maße: 1.300 Quadratmeter, Kosten: im einstelligen Millionenbereich. Und es ist nicht der einzige Standort, an dem in dieser Sache verhandelt wird: In Stuttgart läuft bereits ein weiteres Verfahren, in München soll im Juni eines beginnen.

Auf der Anklagebank in Frankfurt sitzen neun Männer und Frauen, die die Strippenzieher eines geplanten Staatsstreichs sein sollen. Mit Waffengewalt wollten sie den Bundestag angreifen, Abgeordnete festnehmen und die Bundesregierung stürzen, wirft ihnen die Staatsanwaltschaft vor. Für die Zeit nach dem Putsch hatten sie bereits eine Regierungserklärung und ein Schattenkabinett mit Ministern aus ihren Reihen vorbereitet. Und Pläne für "Heimatschutzkompanien", die im ganzen Land "Säuberungsaktionen" durchführen sollten.

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Das klingt bedrohlich? Ist es auch. Doch es wird viele Stimmen rund um diesen Prozess geben, die versuchen, die Pläne der Angeklagten ins Lächerliche zu ziehen und ihre Ideen kleinzureden. Allen voran wohl: aus Reihen der AfD.

Schließlich ist mit Birgit Malsack-Winkemann auch eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete angeklagt. Schon kurz nach der Razzia und der Festnahme von Malsack-Winkemann setzte AfD-Chefin Alice Weidel den Ton und spottete über einen "Rollatorputsch". Was offensichtlich bedeuten sollte: Die Angeklagten seien ungefährlich, das Vorgehen des Staates gegen sie ein Witz. Andere AfD-Abgeordnete stimmten ein: Nicht die Putschgruppe sei das Problem, sondern der Staat, der gegen sie vorgehe.

Während des Prozesses dürfte es für solche Äußerungen weiteren Spielraum geben. Denn vermutlich wird die Öffentlichkeit mitgenommen auf eine Reise ins Reich des Wahnsinns. Schließlich glaubten die "Reichsbürger" um Prinz Reuß, Oberst Eder und AfD-Politikerin Malsack-Winkemann, dass die Bundesrepublik gar nicht existiere, sondern wir, rein rechtlich, weiterhin im Deutschen Reich leben. In der Gruppe spielte außerdem der Glaube an ein Netzwerk von satanischen Pädophilen eine große Rolle, die angeblich Kinder entführen, sie in unterirdischen Gängen quälen und töten. Es ist eine Verschwörungstheorie, die der sogenannte QAnon-Kult weltweit verbreitet hat.

Zum Lachen oder mindestens zum Schmunzeln finden solche Ideen viele. Es klingt ja auch alles zu abstrus. Völlig drüber, vollkommen losgelöst von der Realität. Die Tendenz geht deswegen oft dahin, sie zu unterschätzen: Können Menschen, die solchen Unsinn glauben, überhaupt wirklich eine Gefahr sein?

Sie können – das zeigt die Gruppe, die nun vor Gericht steht, recht eindrücklich. Mehrere Militärs und Polizisten zählte sie zu ihren Mitgliedern. Menschen also, die mit Waffen umgehen und einen militärischen Angriff strategisch planen können. Mehr als 300 Schusswaffen hatten sie bereits besorgt und gehortet, dazu noch einmal mehr als 300 Hieb- und Stichwaffen sowie Zehntausende Teile Munition. Und die AfD-Politikerin hatte Mitglieder der Gruppe, darunter Militärs, bereits in den Bundestag eingeschleust, wohl damit sie die Lage sondieren konnten.

Irrsinnig mögen die Verschwörungstheorien der Gruppe klingen. Doch der Glaube an sie führt Menschen tief in ein Kaninchenloch und kann sie zum Äußersten treiben. Und nicht bloß Kulte und Netzwerke, die dem Internet entspringen, nähren solchen Irrglauben.

Auch viele AfD-Politiker lieben Verschwörungstheorien, erklären sich und vor allem ihren Anhängern damit immer wieder die Welt. Und auf regionaler Ebene ist die AfD gut mit der "Reichsbürger"-Szene vernetzt, zum Beispiel im Landesverband Thüringen von Björn Höcke. Er tritt mit ihr auf und befeuert rechtsextremes Vokabular und Widerstands-Gedanken.

Falls Weidel, Partei-Co-Chef Tino Chrupalla und andere AfD-Politiker ab Dienstag spotten, lachen und über den Prozess höhnen, wollen sie vermutlich nur über eines hinwegtäuschen: Über das, was Malsack-Winkemann im Verfahren so sagt. Mein Kollege Lars Wienand wird für Sie vor Ort sein und genau hinhören.


Machtvakuum bei den Mullahs

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi ist am Montag gestorben, ebenso wie sein Außenminister Hossein Amirabdollahian. Die beiden Politiker saßen in einem Hubschrauber, der im Nordwesten des Landes bei dichtem Nebel zunächst vom Radar verschwand, dann gefunden wurde. Keiner der neun Insassen überlebte.

Während Irans Religionsführer Ajatollah Ali Khamenei, der mächtigste Mann im Land, fünf Tage Staatstrauer anordnete, feierten Teile der Bevölkerung auf der Straße Raisis Tod mit Feuerwerk. Verhasst war Raisi bei jenen Iranern, die sich Freiheit und Bürgerrechte wünschen. Schon früh in seiner Karriere machte er sich einen Namen als Staatsanwalt, der Regimegegner verfolgte und hinrichten ließ. Diesem repressiven Stil blieb er auch als Präsident treu.

Raisi, der als Nachfolger für Khamenei gehandelt wurde, soll am Dienstag beerdigt werden. Übergangsweise übernimmt Mohammed Mokhber seinen Posten. Er soll zusammen mit dem Parlamentspräsidenten und dem Justizchef binnen 50 Tagen eine neue Präsidentschaftswahl organisieren. Bis dahin prognostizieren Experten heftige Kämpfe um die Macht im plötzlich entstandenen Vakuum im Herzen der Mullah-Regierung.


Was steht an?

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius reist ins Baltikum, um in Lettland und Litauen Solidarität zu demonstrieren. Dabei geht es zum einen um das sogenannte Air-Policing, an dem sich die Luftwaffe beteiligt. Und zum anderen um den geplanten Aufbau der deutschen Brigade in Litauen mit 4.800 Soldaten.


Innenministerin Nancy Faeser will am Dienstag ab 13 Uhr neue Erkenntnisse zu politisch motivierter Kriminalität in Deutschland vorstellen. Die Pressekonferenz in Berlin zu Daten aus dem Jahr 2023 soll zusammen mit dem Bundeskriminalamt stattfinden.


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Ohrenschmaus

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Zum Schluss

Komplettes Chaos beim Zweitliga-Spiel, ein Brand im Stadion inklusive? Könnte doch wesentlich schlimmer kommen, findet unser Karikaturist.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten, verspäteten Start in die Woche. Morgen begleitet Heike Vowinkel Sie in den Tag.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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