Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Koalition auf Schlingerkurs Seine beste Zeit ist vorbei
Zeitenwende? War nur so eine Idee. Olaf Scholz will den Wohlfahrtsstaat ausbauen und lässt die Bundeswehr hängen. Damit geht er das Risiko ein, dass Pistorius den Bettel hinschmeißt.
Zumindest kennen wir jetzt die Prioritäten des Bundeskanzlers: Er will das Land zusammenhalten und für wirtschaftliches Wachstum sorgen. Das sind ehrenwerte Ziele, keine Frage. Jedem Bundeskanzler in der nunmehr 75-jährigen Geschichte der Bundesrepublik standen diese beiden fundamentalen Aufgaben vor Augen und erstaunlicherweise haben die meisten von ihnen mehr richtig als falsch gemacht.
Das Problem mit den Einlassungen des Bundeskanzlers, im Ton der Selbstverständlichkeit vorgetragen, besteht darin, dass sie den umfassenden Problemen der Jetzt-Zeit nicht gerecht werden. Deshalb ist er dabei, mehr falsch als richtigzumachen. Die Diskrepanz erschließt sich aus einem Interview-Satz im "Stern" über den Haushalt 2025: Jetzt beginne der "übliche mühsame Prozess, Wünsche und Wirklichkeit in Einklang miteinander zu bringen".
Ampel scheitert an Haushaltsurteil
Üblicher Prozess? In diesen unüblichen Zeiten sehnt man sich ja geradezu nach mehr Üblichkeit, mehr Normalität. Nur sollte nicht ausgerechnet der Bundeskanzler dem Wunsch nach langweiliger Wirklichkeit nachgeben. Es mag ja unter bestimmten Umständen eine Stärke sein, die Ruhe zu bewahren, aber es ist eine Schwäche, so zu tun, als ob alles gar nicht so schlimm sei, wie es uns da draußen im Lande vorkommt.
Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Olaf Scholz war mal Finanzminister und auch als Kanzler ist er es geblieben. Deshalb stellt er sich auf die Seite des amtierenden Finanzministers Christian Lindner und fordert seine Minister dazu auf, ihrer Verantwortung für den ausgeglichenen Haushalt nachzukommen.
Wenn Historiker irgendwann mal fragen, wann eigentlich diese Bundesregierung gescheitert ist, dann werden sie den 15. November 2023 heranziehen, den Tag, als das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass Notfallkredite wie zum Beispiel fast 60 Milliarden Euro aus der Pandemie nicht umgewidmet werden dürfen.
Seither kann die Regierung, kann der Kanzler nicht mehr auf Sondervermögen ausweichen und muss folglich Prioritäten setzen. An ihnen wird er gemessen. Und die Messung sieht nicht gut aus.
Zeitenwende versprochen, Sparziele verordnet
Ökologische Transformation? War gestern. Ist schwierig. Gerade hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Regierung vorgehalten, dass ihr Klimaschutzgesetz auf "methodischen Mängeln" und "teilweise auf unrealistischen Annahmen" beruhe. Ziemlich peinlich, wenn einer Koalition zum wiederholten Male Dilettantismus bescheinigt wird, oder?
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Da hat ja mal jemand eindrucksvoll von einer Zeitenwende gesprochen. Richtig, das war Olaf Scholz. Wie es aussieht, soll sich die Bundeswehr aber mit den 100 Milliarden Euro zufriedengeben, die er in seinem Großmut versprochen hat. Mehr ist nicht drin. Die sechs bis sieben Milliarden Euro, die der Verteidigungsminister für 2025 zusätzlich beansprucht, bekommt er nicht.
Richtig, Boris Pistorius ist ebenfalls Mitglied der SPD, aber was soll’s. Vom Kanzler hat er nichts zu erwarten. Die Schuldenbremse bleibt Tabu. Soll er schauen, wo er bleibt, der Boris. Und ansonsten gilt auch für ihn der Befehl aus dem Kanzleramt: Sparen nicht vergessen!
Deutschland bereitet sich nicht auf Ernstfall vor
Vor ein paar Tagen besuchte der Bundeskanzler das Vorauskommando der deutschen Brigade in Litauen, die in drei Jahren kampfbereit sein soll und dann die Nato-Ostflanke schützen muss. Der einzige Konstruktionsfehler daran ist die bilaterale Übereinkunft mit Litauen. Sinnvoller wäre es gewesen, daraus ein Projekt der Nato zu machen, zum Beispiel nach dem Vorbild des multinationalen Kampfverbandes in Stettin, den übrigens ein deutscher Drei-Sterne-General führt.
Die baltischen Staaten rüsten konsequent auf, wie auch Polen oder Finnland. Für sie ist die Gefahr real, dass Wladimir Putin oder seine Nachfolger die Reconquista fortsetzen werden, die sie in Georgien 2008 und in der Ukraine seit 2014 betreiben. Zwischendurch konnte man denken, Deutschland stelle sich ebenfalls entschieden auf das Undenkbare ein, weil es denkbar geworden ist. Denkste, tut es nicht.
Er will ja Kanzler bleiben
Die Zeit mag sich gewendet – Olaf Scholz aber scheint es vergessen zu haben. Deutschland werde keine Wehrpflichtarmee bekommen, sagte er vor wenigen Tagen ultimativ, als er nach und nach allerlei Sinnvolles für sinnlos erklärte.
Ja, was dringt denn in diesen Panzer aus Stoizismus und Selbstgerechtigkeit vor? Oder schüttelt Scholz einfach ab, was ihn in Unsicherheit stürzen könnte? Er will ja Kanzler bleiben, auch nach der nächsten Bundestagswahl, hat er vor einigen Tagen gesagt. Ernsthaft? Aber doch nicht in der Erscheinungsform, in der wir ihn kennen, oder?
Immer-weiter-so genügt nicht
Ich finde es seltsam, dass Olaf Scholz nicht auf die Idee kommt, dass entschlossene Führung, zu der auch die Vorbereitung auf den militärischen Ernstfall gehört, im Wahlvolk gut ankommt und der Rechten das Wasser abgraben könnte. Das Immer-weiter-so im Ausbau des Wohlfahrtsstaates genügt eben nicht in dieser Zeitenwende. Das könnte Olaf Scholz von seinem Vorgänger Helmut Kohl lernen. Und an Gerhard Schröder ließe sich studieren, apropos Agenda 2010, dass dem Land guttut, was die SPD für unsozial demokratisch hält.
Auf der Strecke bleibt Boris Pistorius, der eine kriegstüchtige Bundeswehr aufbauen will. Ohne Unterstützung des Bundeskanzlers kann das Vorhaben nicht gelingen. Olaf Scholz hat ihn aber wie nebenbei ins Leere laufen lassen. Nicht mehr Geld. Keine Debatte über Wehrpflicht. Hab dich nicht so, Boris.
Beste Zeit schon vorbei
Die beste Zeit für den Verteidigungsminister ist vorbei. Was tun? Wenn er sich dem Kanzler fügen sollte, bleibt Deutschland ohne Streitkräfte, die den Namen verdienen und er persönlich verliert an Popularität. Tritt er aber zurück, bringt er die ganze Regierung ins Wanken. Keine leichte Entscheidung.
Und wieso geht der Kanzler das Risiko ein, dass Pistorius den Bettel hinschmeißt? Weil er denkt, der Boris macht das ja doch nicht. Wenn er sich da nicht mal irrt.
- Eigene Beobachtungen