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Afrika: Viele Länder des Kontinents entwickeln sich atemberaubend schnell


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Tagesanbruch
Überraschend. Wirklich überraschend

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.11.2023Lesedauer: 6 Min.
Business-Viertel von Nairobi bei Nacht.Vergrößern des Bildes
Business-Viertel von Nairobi bei Nacht. (Quelle: imago images)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

der Mensch ist auf der Suche, und ich bin es auch. Dem Sinn des Lebens forsche ich gerade zwar nicht hinterher, und ich weiß auch, wo meine Brille ist. Dennoch bin ich für Sie, für mich, für uns alle auf der Suche gewesen, denn vom Dauerfeuer der Multi- und Mega-Krisen braucht man irgendwann einmal eine Pause. Wenigstens zum Luftholen. Deshalb habe ich nach guten Nachrichten gesucht, damit wir uns wenigstens heute mit etwas anderem beschäftigen können als Krieg, Kollaps und Katastrophen.

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Mogeln darf man dabei aber nicht. Zu niedrig darf die Hürde für die frohe Botschaft jedenfalls nicht sein. Natürlich könnten wir vor Freude auf und ab hüpfen, dass beispielsweise die Gasspeicher in Deutschland jetzt komplett gefüllt sind. Einfach ist das nicht gewesen. Aber diese Sorte des Erfolgs genügt mir heute nicht. Gas wird also auch weiterhin aus der Röhre kommen: schön. Dass der Wasserhahn immer noch funktioniert: ebenfalls prima. Die Müllabfuhr dito? Freut mich, danke. Aber sensationell? Eine so richtig gute Nachricht? Am Ende gar überraschend? Ist das alles nicht.

Dafür müsste man schon ein bisschen größer auffahren. Rekorde! Durchbrüche! Unerwartete Wendungen! Leider kann man sich so was nicht einfach herbeiwünsch... nanu, was haben wir denn hier? Brillant hohes Wirtschaftswachstum? Massiv verbesserte gesundheitliche Situation? Sensationell ansteigender Bildungsstandard? Na also! Genau so was hatte ich mir erhofft. Und jetzt raten Sie mal, woher uns diese Nachrichten erreichen. Sie kommen aus ... Trommelwirbel ... äh, wie bitte? Aus Afrika?

So ist es. Gleich fünf afrikanischen Ländern, darunter zum Beispiel Ruanda und die Elfenbeinküste, wird für dieses und das nächste Jahr ein Entwicklungstempo prognostiziert, das sie in die Top 10 der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften weltweit befördert. Auf dem Kontinent ist außerdem die Kindersterblichkeit drastisch gesunken, seit Anfang des Jahrtausends hat sie sich sage und schreibe halbiert. In rasanter Weise nach oben geschossen ist dagegen die Zahl von Schulabschlüssen wie der mittleren Reife.

Das ist ein ganz schön großes Feuerwerk. Wenn man diese Dichte der positiven Nachrichten hierzulande mit Überraschung registriert, sagt das nicht viel über Afrika aus – aber etwas über uns: Dass wir nämlich Gefangene unserer Vorurteile sind und deshalb schnell betriebsblind, wenn die Welt sich anders entwickelt, als es das Bild in unserem Kopf suggeriert. Afrika: Das sind doch hungernde Kinder, Slums und greise Diktatoren; ein trauriger Nebenschauplatz der Weltgeschichte, der auf keinen grünen Zweig kommt? Tja, denkste.

Wir müssen in unserem Oberstübchen also dringend mal entrümpeln. Am besten schmeißen wir den größten Brocken gleich als Erstes raus: "Afrika". Eigentlich gibt es das nämlich gar nicht. Es ist bloß ein Konstrukt in unseren Köpfen und schuld daran, dass sich ein wildes Sammelsurium von mehr als 50 Staaten im selben Topf wiederfindet – darunter Gesellschaften, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Zum Beispiel Nigeria: eine fragile Mega-Nation, die mittlerweile nur noch notdürftig zusammengehalten wird und irgendwo zwischen Bürgerkrieg, Bandenkriminalität und Korruption zu verorten ist. Dort gibt es für das fluchtartige Verlassen des Landes sogar eine eigene Vokabel. Nur ein paar Hausnummern weiter befindet sich dagegen Ghana. Dort hat der Bundeskanzler im Gespräch mit jungen Leuten an einer Universität um Fachkräfte geworben, die Deutschland bekanntermaßen dringend braucht, und dabei von einigen Teilnehmern eine freundliche Abfuhr bekommen: "Wir brauchen keinen Retter aus dem Westen." Kurzum: Gewaltige Unterschiede sind auf dem Kontinent die Norm. Was verbindet Staaten wie Mali und Kenia? Dass sie auf derselben riesigen Landmasse liegen. Das war's dann aber auch schon.

Das Bild ist also uneinheitlich. Das sorgt für Konfusion, sobald unser Afrika-Stereotyp auf die Wirklichkeit trifft. Angesichts der aufstrebenden Nationen des Kontinents könnten die verknöcherten Vorstellungen, die in unseren Köpfen herumspuken, unpassender gar nicht sein. Aber anderswo passen sie doch. Denn die hungernden Kinder und die greisen Diktatoren, die gibt es leider auch.

Derartigen Gegensätzen begegnet man noch öfter. Afrikas Boom-Potenzial ist zugleich sein größter Fluch – je nachdem, wohin man schaut. Immer mehr Menschen bevölkern den Kontinent, der dadurch zunehmend jugendlicher daherkommt. Schon 2050 wird jeder vierte Erdenbürger ein Afrikaner sein. Während wir in Europa, aber auch die Gesellschaften Ostasiens der Überalterung entgegendämmern, hat es in Afrika an dynamischem, einsatz- und risikofreudigem Nachwuchs keinen Mangel. Für eine aufstrebende Wirtschaft ist das eine großartige Perspektive. Doch in großen Teilen Afrikas gibt es des Guten leider zu viel. Eine zu rasant wachsende Bevölkerung sorgt nicht für Wachstum, sondern ringt es nieder. Wenn das Bildungssystem nicht hinterherkommt und die Jugendarbeitslosigkeit durch die Decke geht, wird es nichts mit der strahlenden Zukunft.

In Afrika kann man beidem begegnen. Manchmal muss man dazu nur das Stadtviertel wechseln. In Kenias Hauptstadt Nairobi kann man Quartiere besuchen, in denen sich bei Flüchtlingen aus dem verarmten Norden sieben, acht hungrige Kinder um den Familientisch drängen. Ein paar Straßen weiter ist in wohlhabenden Mittelstandsvierteln die Zwei-Kind-Familie zur Norm geworden. In den aufstrebenden Regionen Afrikas ist der Trend zur Kleinfamilie voll im Gange und Teil einer Entwicklung, die rund um den Globus zu beobachten ist. Wo Wachstum und Wohlstand Fuß gefasst haben, bewegt sich die Geburtenrate ganz von selbst aus dem problematischen Bereich heraus und sinkt auf ein Niveau, das dem wirtschaftlichen Aufstieg so richtig Schwung verleiht. So ist es auch überall sonst auf der Welt gelaufen, von Stockholm bis Sydney, von San Francisco bis Shanghai.

Wenn diese frohe Botschaft einen Wermutstropfen enthält, dann höchstens diesen: Leider bleibt der sinkende Kinderreichtum auf dem wünschenswerten Niveau nicht stehen. Üblicherweise geht es munter weiter abwärts, bis man sich dem massiven Bevölkerungsrückgang gegenübersieht, der unsere industrialisierte Welt erfasst hat. Weil das aber nun wirklich keine gute Nachricht ist, lassen wir sie heute einfach mal links liegen. Schließlich wollen wir mal durchatmen. Also: Viva Afrika!

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Ohrenschmaus

Auch in Afrika werden Klassiker neu interpretiert. Hören Sie mal.


Runder Tisch

Am morgigen 9. November ist es 85 Jahre her, dass die Nazis mit breiter Unterstützung der deutschen Bevölkerung jüdische Geschäfte zerstörten, Synagogen anzündeten, Tausende Juden misshandelten oder töteten. Die Reichspogromnacht war das Startsignal zum größten Völkermord in der Geschichte – und es ist schwer erträglich, dass das Gedenken daran in eine Zeit fällt, in der jüdische Einrichtungen wieder besonders hermetisch geschützt werden müssen und auf pro-palästinensischen Demonstrationen antisemitische Parolen geblökt werden.

Der Bundespräsident will deshalb etwas tun: Unter dem Titel "Krieg in Nahost: Für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland" lädt Frank-Walter Steinmeier heute zum Runden Tisch in sein Schloss. Dort sollen Menschen, die für Respekt und Dialog stehen, von ihrer Arbeit berichten. Mit dabei sind Vertreter jüdischer und palästinensischer Gemeinden, Pädagogen und die Holocaustüberlebende Margot Friedländer. So was sollte es öfter geben.


Noch ein Tisch

Nimmt man die Äußerungen Ursula von der Leyens bei ihrem jüngsten Kiew-Besuch zum Maßstab, kann aus Brüssel heute eigentlich nur ein Signal kommen: die Empfehlung zur Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen mit der kriegsgebeutelten Ukraine. Schließlich hatte die Kommissionschefin Präsident Selenskyj attestiert, bei den dafür nötigen Reformvorhaben schon "deutlich über 90 Prozent des Wegs hinter sich" zu haben. Doch selbst wenn der "Fortschrittsbericht" von Frau von der Leyen heute positiv ausfällt, dürfte der Weg in die Europäische Union für das von Russland angegriffene Land noch weit sein: Zum einen müssten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder Mitte Dezember den Beginn der Beitrittsverhandlungen erst einstimmig beschließen. Zum anderen können solche Verhandlungen bekanntlich seeehr lange dauern – Moldau, Georgien, Montenegro, Albanien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Kosovo und die Türkei können ein Lied davon singen.

Das ist aber gar nicht verkehrt. Bevor die EU weiterwachsen kann, sollte sie sich erst mal reformieren.


Geht's auf oder ab?

Vor rund 60 Jahren hatte Ludwig Erhard die Idee, dass es der Politik nicht schaden könne, gelegentlich unabhängige ökonomische Expertise einzuholen. So ward der Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen geboren. Heute ist es wieder so weit: Das Gremium veröffentlicht seine Konjunkturprognose für das laufende und das kommende Jahr und übergibt sie (garniert mit guten Tipps) an Kanzler Olaf Scholz. Zuletzt hatten die Weisen vorhergesagt, ein Aufschwung sei in Deutschland nicht in Sicht. Wäre doch schön, wenn sie sich korrigieren müssen.


Lesetipps

Annalena Baerbock trifft in Japan ihre Kollegen aus den mächtigen G7-Staaten. Dabei geht es um eine große Gefahr, berichtet unser Reporter Patrick Diekmann.




Die Ministerpräsidenten haben sich mit dem Kanzler auf neue Regeln zur Begrenzung der Migration verständigt. Ein großer Wurf? Mein Kollege Florian Schmidt hat eine klare Meinung.


Zum Schluss

Wie deutsche Spitzenpolitik funktioniert:

Bewahren Sie sich bitte Ihren Optimismus. Morgen schreibt Camilla Kohrs den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Freitag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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