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SPD-Chefin Saskia Esken: "Für nachfolgende Generationen richtig teuer"


Interview
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SPD-Chefin Saskia Esken
"Das würde für nachfolgende Generationen richtig teuer"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Sara Sievert und Daniel Mützel

Aktualisiert am 07.11.2023Lesedauer: 8 Min.
SPD-Chefin Saskia Esken: "Es herrscht kein Mangel an Geld in diesem Land."Vergrößern des Bildes
SPD-Chefin Saskia Esken: "Es herrscht kein Mangel an Geld in diesem Land." (Quelle: Robert Recker/t-online)

Steigende Asylzahlen, Inflation, Krieg in Europa und Nahost: Deutschland steckt in der Krise. Im Interview erklärt SPD-Chefin Saskia Esken, wie das Aufweichen der Schuldenbremse helfen soll – und was sie mit "Krisenprofiteuren" vorhat.

Die Migrationspolitik hat das Land fest im Griff: Fast täglich überbieten sich Politiker mit neuen Vorschlägen, wie sie die Asylzahlen eindämmen wollen. Zugleich schlagen die Konjunkturflaute und die Inflation aufs Gemüt der Deutschen, und der Krieg im Nahen Osten verschärft auch die gesellschaftlichen Konflikte hierzulande.

Die Ampel hat versprochen, sich der Probleme anzunehmen. Bislang aber fällt die Regierung eher durch Streit als durch einen klaren Kompass auf. SPD-Chefin Saskia Esken erklärt im t-online-Interview, warum der deutsche Sozialstaat Flüchtlinge kaum anzieht, wie ein Aussetzen der Schuldenbremse kommenden Generationen zugutekommt – und warum Kanzler Scholz CDU-Chef Friedrich Merz zwar nicht zum Regieren braucht, dafür aber für etwas anderes.

t-online: Frau Esken, vor zwei Jahren haben Sie und Lars Klingbeil ein "sozialdemokratisches Jahrzehnt" eingeläutet. Seitdem hat die SPD den Großteil der Landtagswahlen verloren – darunter ehemalige Hochburgen wie Nordrhein-Westfalen und Hessen. Im Bund steht Ihre Partei zwischen 15 und 17 Prozent. Was ist schiefgelaufen?

Saskia Esken: Ich bleibe dabei: Wir brauchen ein sozialdemokratisches Jahrzehnt. Nicht weil wir uns das so wünschen, sondern weil die heutige Zeit mit all ihren Krisen und Herausforderungen sozialdemokratische Antworten verlangt. Und wir werden auch weiterhin die Antworten geben, die dafür notwendig sind. Wenn wir den Zusammenhalt in der Gesellschaft wieder stärken wollen, müssen wir sozialdemokratisch handeln.

Sie sehen die große Unzufriedenheit in der Gesellschaft nicht?

Natürlich sehen wir, dass die Menschen durch den jahrelangen Krisenmodus erschöpft und verunsichert sind. Die Pandemie, der Überfall Russlands auf die Ukraine, der islamistische Terror und die Entwicklung von Autokratien und rechtsradikalen Netzwerken weltweit. Das sind alles Dinge, die zu Recht Ängste verursachen. Es ist die Aufgabe der Politik und insbesondere die Aufgabe der SPD, den Menschen jetzt Sicherheit zu geben. Gerade wenn wir sehen, wie die AfD versucht, die Krisen für sich zu nutzen.

Mit Blick auf die Umfragen ist die AfD damit recht erfolgreich. Sehen Sie für diesen Aufwind auch eine Verantwortung bei sich?

Die AfD ist eine rechtsradikale Partei, die nicht im Interesse der Menschen handelt. Unsere Aufgabe ist es, weiterhin deutlich zu machen, dass die politischen Scheinkonzepte der AfD nicht den Menschen dienen, deren Interessen sie zu vertreten vorgeben. Die Ideologie der AfD ist eine Gefahr für unsere Demokratie und für unseren Wohlstand. Sie hat den Menschen keine Zukunftsaussichten zu bieten, sondern nur Populismus und Sündenböcke.

Auf dem SPD-Parteitag im Dezember soll der Leitantrag die Lösungsansätze Ihrer Partei für Deutschland skizzieren. Ein zentraler Punkt ist das erneute Aussetzen und die langfristige Reform der Schuldenbremse. Ist dieser Vorschlag mit dem Bundeskanzler abgesprochen?

Das temporäre Aussetzen der Schuldenbremse ist dann möglich, wenn wir eine krisenhafte Situation haben. So steht es in der Verfassung. Viele in der SPD sind der Überzeugung, dass die Krise noch lange nicht überwunden ist. Darüber tauschen wir uns innerhalb der Partei und auch innerhalb der Koalition intensiv aus.

Dafür muss die Schuldenbremse aber noch nicht reformiert werden.

Ja, aber eine grundlegende Reform der Schuldenbremse ist ebenfalls notwendig. Denn in ihrer derzeitigen Ausgestaltung ist sie nicht dazu geeignet, unser Land nach vorne zu entwickeln und große, notwendige Investitionen auf den Weg zu bringen. Die Schuldenbremse ist eine Bremse für den notwendigen Wandel. Gerade im Ausbau der erneuerbaren Energien, der lange vernachlässigt wurde, aber auch im Bereich von Verkehr, Gesundheit und Bildung wurde die Infrastruktur zu lange vernachlässigt.

Nehmen Sie unsere Schulen. Dort gibt es einen Sanierungsstau von mindestens 50 Milliarden Euro. Das können die Länder nicht aus den laufenden Haushalten und auch nicht alleine stemmen. Da müssen Bund und Länder sich zusammentun.

Jetzt haben Sie aber noch nicht gesagt, ob das mit Olaf Scholz abgestimmt ist.

Ich verrate Ihnen das Geheimnis unserer guten Zusammenarbeit zwischen Partei, Fraktion und Regierung: Wir sprechen sehr regelmäßig, sehr vertrauensvoll und sehr offen miteinander und wir akzeptieren uns in unseren unterschiedlichen Rollen. Sie können sich also sicher sein, dass Olaf Scholz immer im Bilde ist, was an der Parteispitze gedacht wird.

Deutschland hat jetzt schon eine Rekordverschuldung. Schätzungen zufolge müssen ab 2028 zusätzliche zehn Milliarden Euro pro Jahr allein für die Rückzahlung der Corona-Kredite getilgt werden. Braucht es nicht irgendwann mal einen Deckel?

Die Sorge kann ich verstehen, doch sie darf nicht dazu führen, dass wir im Krisenfall untätig bleiben oder dass wir unsere Infrastruktur kaputtsparen. Denn beides würde für nachfolgende Generationen richtig teuer. Der Ukraine-Krieg, die Inflation, der Krieg im Nahen Osten, der nicht folgenlos bleiben wird: Wir haben es mit einer Vielzahl an Krisen zu tun, die nicht ohne zusätzliche Mittel aus dem Normalhaushalt bewältigt werden können.

Die andere Frage ist grundsätzlicher Natur, denn da geht es um die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand: Wenn wir nicht in die Zukunft unseres Landes, in den klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft, die Infrastruktur und die Bildung unserer Kinder investieren, erzeugen wir erst richtig Schulden für die Zukunft und belasten die kommenden Generationen.

In Ihrer Aufzählung fehlen die Investitionen in die Verteidigung und Sicherheit Deutschlands. Sind die nicht wichtig?

Für die Bundeswehr haben wir ein umfangreiches Sondervermögen eingerichtet, das nun Zug um Zug eingesetzt wird. Aber es ist richtig, dass wir uns langfristig auch hier Gedanken über die Finanzierung machen müssen. Wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist, dann werden wir andere Wege finden müssen. Wir stehen zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Das ist auch eine Zusicherung uns selbst gegenüber. Wir müssen für Sicherheit sorgen, für unsere Bevölkerung, für die Demokratie, für Europa.

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Wie genau können andere Wege der Finanzierung aussehen?

Sogar in den Krisenjahren haben wir gesehen, dass die sehr hohen privaten Vermögen und auch die sehr hohen Einkommen in Deutschland noch mal wesentlich gestiegen sind, während andere mit ihrer Existenz zu kämpfen hatten. Es gibt also auch Gewinner dieser Krisen. Ich bin überzeugt: Wenn wir diese sehr hohen Vermögen und sehr hohen Einkommen in gerechter Art und Weise höher besteuern und zudem gut erklären, wofür das Geld benötigt wird – zum Beispiel für eine gerechte und gelingende Bildung für alle unsere Kinder – dann sind auch die Krisenprofiteure dazu bereit, einen höheren Beitrag zu leisten.

Wird das denn reichen? Allein der Mehrbedarf für die Bundeswehr wird von der Wehrbeauftragten Eva Högl auf bis zu 300 Milliarden Euro geschätzt, um die Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen.

Ich habe vor einigen Tagen in der ARD gehört, in Deutschland lägen neun Billionen Euro auf der hohen Kante und man müsse dafür sorgen, dass die jetzt mal investiert werden. Ich bin gerne bereit dazu, das möglich zu machen. Es herrscht kein Mangel an Geld in diesem Land. Wir müssen es nur in die richtige Richtung kanalisieren. Das Problem ist, dass in Deutschland eine sehr hohe Zurückhaltung herrscht, Kapital zu investieren. Deswegen schlagen wir einen Deutschlandfonds vor, um sichere Investitionen gewährleisten zu können – für privates und für staatliches Kapital.

Was in dem Leitantrag auch nicht zur Sprache kommt, ist das Thema Migration. Spielt das für die SPD keine Rolle?

An Lösungsansätzen für mehr Humanität und Ordnung in der Fluchtmigration arbeiten wir jeden Tag. In unserem Leitantrag geht es darum, unser Land zukunftsfähig aufzustellen. Womit wir uns deshalb beschäftigen, das ist der große Fach- und Arbeitskräftebedarf unserer Wirtschaft. Denn der wird ohne Migration kaum zu bewältigen sein. Der Fachkräftemangel in Deutschland ist die größte Achillesferse unserer wirtschaftlichen Entwicklung.

Was haben Sie gedacht, als Sie die Worte "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben" von Olaf Scholz gelesen haben?

Ich habe nicht nur die Überschrift, sondern das ganze Interview gelesen, und das kann ich auch allen anderen nur empfehlen. Ich bin ohnehin sehr regelmäßig mit dem Bundeskanzler im Gespräch. Seine Worte haben mich also nicht überrascht. Wir haben gemeinsam einen migrationspolitischen Maßnahmenkatalog entwickelt. Bei der Fluchtmigration geht es jetzt darum, schneller zu entscheiden, wer bleiben und dann auch in Arbeit kommen und integriert werden kann. Und wer unser Land zügig wieder verlassen muss. Für all das schaffen wir gerade den Rahmen.

Die Union kritisiert immer wieder, dass viele Migranten nach Deutschland kommen, weil sie hier – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – hohe Sozialleistungen erhalten. Ist der deutsche Sozialstaat ein "Pull-Faktor"?

Nein, da widerspricht auch die Wissenschaft. Die meisten Migranten entscheiden sich vor allem für die Länder, in denen bereits Menschen aus ihrer eigenen Community oder Familienangehörige leben. Das wissen wir aus früheren Migrationsbewegungen, etwa aus Syrien, aber auch von der Zuwanderung der sogenannten Gastarbeiter-Generation. Das spielt eine viel größere Rolle als der vermeintliche "Pull-Faktor" Sozialstaat. Die meisten Geflüchteten, die ich kenne, würden sehr gerne arbeiten und auf eigenen Beinen stehen, und es gibt viele Unternehmen, die sie gerne beschäftigen würden. Unsere Bürokratie steht dem derzeit viel zu oft im Weg, das werden wir ändern.

Es gibt Forderungen aus der SPD, Migrationszentren außerhalb Europas zu schaffen, in denen Asylverfahren bearbeitet werden. Auch Ihr Co-Parteichef Lars Klingbeil hat sich offen dafür gezeigt. Sie auch?

Es gibt viele Modelle, die derzeit diskutiert werden und über die man sich Gedanken machen kann. Der Bundeskanzler hat allerdings höflich darauf verwiesen, dass sich erst einmal Herkunftsländer finden müssten, die überhaupt bereit wären, solche Migrationszentren einzurichten und zu verwalten. Es stellen sich zudem erhebliche rechtliche Fragen. Ich verstehe und teile aber durchaus die Intention, das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden und die Schleuserkriminalität auszutrocknen.

Kanzler Scholz hat sich unterdessen schon mehrfach mit CDU-Chef Friedrich Merz im Kanzleramt getroffen, um über das Thema Migration zu sprechen. Können Sie ein Comeback der Großen Koalition ausschließen?

Die Ampel verfügt ja über eine komfortable Mehrheit im Bundestag. Insofern brauchen wir Friedrich Merz und seine Fraktion nicht, um im Bundestag Gesetze zu beschließen. Ich finde es aber wichtig, dass die Bevölkerung sieht, dass alle demokratischen Kräfte einbezogen werden, wenn es um die Probleme mit der Fluchtmigration geht, aber auch darum, Migration in den Arbeitsmarkt zu organisieren. Beides muss vor Ort gut umgesetzt werden. Friedrich Merz ist der Parteivorsitzende zahlreicher Oberbürgermeister und Landräte, die wir dafür gewinnen müssen.

Aber noch mal: Wozu genau brauchen Sie jetzt Friedrich Merz, wenn die Ampel-Mehrheit funktioniert?

Es geht jetzt darum, eine gemeinsame Linie zu finden. Wenn ich mir den 26-Punkte-Katalog des CDU-Vorsitzenden anschaue, dann geht es da nur um Rückführungen und um die Abwehr von Migration. Klar, wir müssen irreguläre Migration in den Griff bekommen, aber wir brauchen gleichzeitig jedes Jahr 400.000 Fachkräfte aus dem Ausland. Wenn wir weiter so über Migration reden, wie wir es die letzten Monate getan haben, droht eine Verrohung unseres Landes und unsere Volkswirtschaft nimmt großen Schaden. Das kann auch die Union nicht wollen.

Was schätzen Sie an Friedrich Merz?

Friedrich Merz ist als Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU jetzt schon seit zwei Jahren recht unumstritten im Amt. Nach der langen Zeit der Auseinandersetzungen um die Frage der Nachfolge von Angela Merkel als Parteivorsitzende hat Friedrich Merz eine gewisse Stabilität in die Partei gebracht. Darüber bin ich froh, denn wir brauchen eine stabile konservative Opposition in unserem Land.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Saskia Esken
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