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Migrationspolitik in Deutschland: Grünen reichen die sinnlosen Härten


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Tagesanbruch
Jetzt reicht's


Aktualisiert am 17.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Annalena Baerbock, Robert Habeck: Trägt die grüne Bundestagsfraktion die Asylrechtsverschärfungen mit, die sie in der Regierung aushandeln? (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wenn sich heute Nachmittag die Bundestagsfraktion der Grünen im dritten Stock des Reichstags trifft, wird sich eine Stimmung Bahn brechen, die viele in der Partei seit Wochen hinunterzuschlucken versucht haben. Und die einige nun nicht länger hinunterschlucken wollen. Sie lautet, kurz zusammengefasst: Jetzt reicht's.

Der Grund ist die Asylpolitik. Und zwar die Asylpolitik der eigenen Ampelregierung. Viele Kommunen sind überfordert, die Ausländerbehörden kommen nicht mehr nach, die Wohnungen sind knapp, es fehlt Personal in Kitas und Schulen. Dass etwas passieren muss, bestreitet im Grunde niemand, auch kein Grüner. Doch helfen die ganzen Verschärfungen wirklich?

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Es gibt Grüne, die den Eindruck haben, dass diese Frage kaum noch gestellt wird. Dass es nur noch um ein Immer-Härter geht, egal, ob das zu einem Immer-Besser führt oder nicht. Diese Grünen scheinen entschlossen zu sein, diese Frage nun selbst zu stellen, Widerstand zu leisten, im Zweifel auch gegen die eigene Führungsriege, gegen das eigene Regierungspersonal. Es ist eine Debatte, die darüber mitentscheidet, wie ungemütlich es wird: bei den Grünen, in der Ampelregierung – und in den Kommunen.

Es hat sich etwas aufgestaut bei den Grünen. Schon seit Monaten beschließen sie mit der Ampelregierung in der Migrationspolitik Dinge, die sich nur wenige von ihnen jemals hatten vorstellen können. Im Sommer konnten sich die Grünen auf einem Parteitag in Bad Vilbel zwar gerade so dazu durchringen, dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, der GEAS, zuzustimmen. Doch so richtig zufrieden war niemand. Selbst die Optimisten unter den Realos verteidigen die Reform vor allem mit dem Hinweis darauf, dass alles besser sei als die bisherige Situation an den Grenzen.

Vor einigen Wochen folgte die Diskussion über ein wichtiges Element der GEAS-Reform, die Krisenverordnung. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock stellte sich öffentlichkeitswirksam quer. Sie und viele andere Grüne waren besorgt, dass Staaten wie Italien künftig nur "Krise" rufen müssen, um Migranten weiterhin unregistriert in andere EU-Staaten durchwinken zu können. Dass die Reform also weder mehr Ordnung, noch mehr Humanität bringt. Baerbock und Innenministerin Nancy Faeser verhandelten daher in Brüssel und erreichten: wenig. Verdammt wenig.

Viele Grüne schwiegen trotzdem erst mal weiter. Denn die Partei wähnt sich in einer doppelt schwierigen Lage. Seit die grüne Familienministerin Lisa Paus im Sommer die vereinbarte Streitpause der Ampelkoalition mit ihrer Gesetzesblockade im Kabinett gestört hat, setzen die Grünen viel daran, sich hinter ihrem Vizekanzler Robert Habeck zu versammeln und weitere Konflikte zu vermeiden. Streit, so das Mantra, nutzt dem politischen Gegner und also im Zweifel: der AfD. Und wer will das schon?

Speziell bei der Migration kommt nun eine zweite Schwierigkeit hinzu. Angesichts ächzender Kommunen und einer Opposition, die sich mit Forderungen überbietet, scheint für viele der asylpolitische Doppelwumms das Mittel der Wahl zu sein, auch in der Ampel. "Viel hilft viel" statt "Was brauchen wir wirklich?" Der Diskurs, so sehen es einige Grüne, ist mittlerweile vergiftet. Und Differenzierung stört nur bei der Abschreckung.

Als sich Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner in der vergangenen Woche auf das Migrationspaket 2 einigten, wollte manch Grüner nicht mehr schweigen. Handys filzen und Wohnungen durchsuchen, längerer Ausreisegewahrsam und Leistungskürzungen: Das Paket enthält viele große und kleine Härten. Doch erreicht man dadurch wirklich mehr Abschiebungen? Grüne Fachpolitiker sagen: Nein, weil die an ganz anderen Dingen scheitern. Zum Beispiel daran, dass die Herkunftsstaaten ihre Bürger nicht zurücknehmen.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer sprach am Freitag aus, was viele Grüne so oder so ähnlich denken: "Wir hangeln uns doch seit 30 Jahren von Asylrechtsverschärfung zu Asylrechtsverschärfung und gebracht hat es den Kommunen nichts", sagte sie t-online. "Wo soll das enden?"

Es ist die Sorge vor einer Eskalationsspirale der Grausamkeiten. Einer Flüchtlingspolitik, die eine Härte nach der anderen beschließt, um Handlungsfähigkeit zu simulieren. Nur um irgendwann festzustellen, dass die Probleme noch immer nicht gelöst sind und dann wieder von vorne zu beginnen: mit der nächsten Härte.

Wie groß der Teil der Grünen in der Bundestagsfraktion ist, die so denken, und wie viel Aufstand sie sich wirklich zutrauen, wird sich heute bei der Fraktionssitzung das erste Mal abschätzen lassen. Sicher ist: Sie haben mächtige und prominente Gegner nicht nur bei den Koalitionspartnern von SPD und FDP, sondern auch in den eigenen Reihen. Den Oberrealo Winfried Kretschmann etwa, Baden-Württembergs Ministerpräsidenten. Und natürlich Vizekanzler Robert Habeck.

Kretschmann formulierte am Wochenende auf dem Landesparteitag in Weingarten seine Sorge vor einer ganz anderen Eskalationsspirale: der Eskalationsspirale des Bürgerfrusts. Er verteidigte Habecks Migrationspaket 2 und all die Härten, die es mit sich bringt. "Es ist der Weg im Sinne unseres Landes, im Sinne des sozialen Friedens und im Sinne unserer Demokratie", sagte Kretschmann und riet seinen Grünen, kompromissbereit zu sein.

Unter den skeptischen Grünen kursiert in diesen Tagen ein ganz anderes Wort für die Haltung der Realos um Kretschmann und Habeck in der Migrationspolitik: zynisch.


Termine des Tages

Olaf Scholz in Israel: Der Bundeskanzler wird das Land nach dem Terrorangriff der Hamas als erster Regierungschef besuchen. Anschließend geht es weiter nach Ägypten. Es wird erwartet, dass Scholz den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi trifft.


Sondergipfel der EU: Die Staats- und Regierungschefs schalten sich per Videokonferenz zusammen, um über die Lage in Israel und Gaza zu beraten. Es soll über humanitäre Hilfe für Gaza, Zusammenarbeit mit Akteuren der Region, mögliche Risiken für Europa und Migrationsbewegungen gesprochen werden.

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Putin in Peking: China lädt zum dritten Treffen seiner Infrastrukturinitiative "Neue Seidenstraße". Zum "Belt and Road Forum" in Peking wird auch der russische Präsident Wladimir Putin erwartet.


Steinmeier in Meiningen: Der Bundespräsident verlegt im Rahmen von "Ortszeit Deutschland" bis Donnerstag seinen Amtssitz nach Thüringen, um mit den Meiningern ins Gespräch zu kommen. Heute wird Frank-Walter Steinmeier vom Bürgermeister empfangen, darf sich ins Goldene Buch eintragen und wird im Theater ein Stück von Theresia Walser sehen: "Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel".


Nach tödlichen Schüssen auf zwei Schweden steht Brüssel unter Schock. Für die belgische Hauptstadt wurde gestern Abend die höchste Terrorstufe ausgerufen, der Täter ist noch auf freiem Fuß. Wegen eines "potenziell terroristischen Motivs" zog die Bundesstaatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich. Meine Kollegen halten Sie heute dazu auf dem Laufenden.


Was lesen?

Die alte liberale Weltordnung erodiert. Was könnte sie ersetzen? Fünf Mächte werden künftig die Geschicke des Globus lenken, vermutet Politologe Herfried Münkler im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Nur noch wenige Hilfsorganisationen operieren in Gaza. MedGlobal ist eine von ihnen. Unser USA-Korrespondent Bastian Brauns hat mit dem Leiter der Einrichtung über die humanitäre Lage gesprochen.


Wer mit Öl, Holzpellets, Kohle oder Flüssiggas heizt, sollte sich sputen: Nur noch bis zum 20. Oktober können Sie Geld aus dem Härtefallfonds beantragen. Für wen bis zu 2.000 Euro drin sind, erklärt meine Kollegin Christine Holthoff.


Zum Schluss

Herzliche Grüße

Ihr Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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