Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Asylstreit Sind sie das Problem?
Die Grünen haben mal wieder die Ampel blockiert, diesmal bei der EU-Asylreform. Am Ende machte Scholz eine Ansage. Die Grünen beugten sich. Nur: War das die Sache wert?
Dienstagabend dieser Woche. Bei einem Fest in einer Berliner Redaktion schieben sich Journalisten und namhafte Politiker durch die Flure: Fraktionsvorsitzende, Parteichefs, Bundesminister. Sogar der Bundeskanzler schlängelt sich im Laufe des Abends noch durch die Menge. Als er Bijan Djir-Sarai und Ricarda Lang sieht, bleibt er stehen.
Scholz nimmt die Hand des FDP-Politikers, legt sie auf die der Grünen-Chefin und sagt: "Darf ich vorstellen: Bijan-Djir Sarai, Generalsekretär der FDP. Ricarda Lang Parteivorsitzende der Grünen. Ihr koaliert übrigens miteinander." Später sagt er den beiden Ampelpolitikern, die sich gut kennen, noch ironisch: "Ihr könnt auch Du zueinander sagen."
Alle lachen. Die Anspannung löst sich für einen Moment. Dabei wissen sowohl Scholz als auch Lang und Djir-Sarai, dass die Streitereien von Grünen und Gelben in der Ampel in Wahrheit überhaupt nicht lustig sind.
Scholz setzt sich durch
Erst ein paar Tage ist es her, dass der FDP-Generalsekretär die Grünen als "Sicherheitsrisiko für das Land" beschimpfte. Durch realitätsferne Positionen erschwerten sie konsequentes Regierungshandeln und parteiübergreifende Lösungen. Ein harter Vorwurf, ausgerechnet vom eigenen Koalitionspartner.
Djir-Sarai bezog sich darauf, dass Teile der Grünen einer geplanten Verschärfung der europäischen Asylregeln nicht zustimmen wollten, allen voran die Außenministerin Annalena Baerbock. Kurzzeitig war deshalb unklar, ob Deutschland die entsprechende Verordnung beim EU-Innenministertreffen blockieren würde.
Am Mittwoch, nur einen Tag nach dem Flurfest, sprach der Kanzler schließlich ein Machtwort. Im Kabinett machte Scholz deutlich, dass Deutschland dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) zustimmen werde – inklusive der von den Grünen viel kritisierten Krisenverordnung. Keine Widerworte. SPD-Innenministerin Nancy Faeser und Baerbock sollten die Details besprechen. Faeser könne versuchen, immerhin ein paar Verbesserungen für die Grünen zu verhandeln.
Aber zugestimmt werde in jedem Fall.
Zu dem Zeitpunkt hatte die Blockade der GEAS bereits zu viel Unmut geführt. Bei der Opposition, klar. Bei der FDP, ebenfalls klar. Aber auch bei der SPD und sogar in der Europäischen Union zeigte man sich irritiert. Deutschland verhindere, dass es vorangehe, so die Kritik.
Auch bei der Erweiterung sicherer Herkunftsstaaten oder dem Schutz europäischer Außengrenzen kamen die Sozialdemokraten und die Liberalen schneller zusammen. Die Erzählung, die sowohl aus den Reihen der FDP als auch bei der SPD gestreut wird: mit den Grünen sei es eben nicht so einfach, Kompromisse zu finden.
Fehlt der Partei der nötige Pragmatismus um – gerade in Krisenzeiten – zu regieren?
Grün ist die Blockade
Es ist keine vorteilhafte Rolle, in der sich die Grünen einmal mehr wiederfinden. Das sehen einige selbst so. Wieder stehen sie öffentlich als diejenigen da, die den ganzen Ampel-Laden aufhalten. Als die Blockierer. Dabei sind sie selbst gerne die ersten, die der FDP Blockade vorwerfen. Das Heizungsgesetz lässt grüßen.
Doch auch die Grünen können blockieren. Mitte vergangenen Jahres war es so, als es um eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke ging. Und zwar für mehr als dreieinhalb Monate, die es dann wurden. Ende des Jahres war es wieder so, als FDP und SPD auch Autobahnen schneller planen wollten – und nicht nur Bahnstrecken und Windräder. Nun werden als Kompromiss zumindest Engpässe schneller beseitigt.
Der vorläufige Höhepunkt für die Grünen aber ist noch keine sechs Wochen her. Und er hat Spuren hinterlassen. Eine Blockade wie die der grünen Familienministerin Lisa Paus soll es nicht mehr geben. Paus hatte das Wachstumschancengesetz im Kabinett blockiert, obwohl Vizekanzler Robert Habeck der FDP längst die grüne Zustimmung zugesichert hatte. Und zwar nicht wegen sachlicher Bedenken gegen Wachstum oder Chancen, sondern um ihre Kindergrundsicherung durchzubekommen.
Sachfremd, unabgestimmt, chaotisch: So sollte es nie wieder laufen. Die Grünen bauten um, schlossen die Reihen, gelobten Besserung. Bei der Kabinettsklausur in Meseberg vor wenigen Wochen versprach die Ampel einen neuen Umgang miteinander. Und jetzt schon wieder Blockade?
Die Bauchschmerzen der Grünen
Warum sich die Grünen erneut dem Vorwurf aussetzen, den Laden aufzuhalten, ist nicht zu verstehen ohne den grünen Blick auf die europäische Asylreform, die Krisenverordnung – und die Außenministerin Annalena Baerbock.
Große Teile der Partei hadern mit der GEAS. Die Reform verspricht zwar, erstmals eine halbwegs gerechte Verteilung von Flüchtlingen in Europa zu schaffen. Zugleich ermöglicht sie aber Lager an den Außengrenzen, mit haftähnlichen Bedingungen, wie Kritiker sagen. Und schnelle Grenzverfahren für Menschen mit geringen Bleibechancen. Um Ordnung zu erreichen, bleibe Humanität auf der Strecke, so der Vorwurf.
Mit großen Bauchschmerzen, wie damals viele betonten, rauften sich die Grünen im Juli auf einem kleinen Parteitag in Bad Vilbel zusammen und versammelten sich hinter der Reform. Damit überhaupt mal irgendwas vorangeht in der EU. Und wohl auch ein bisschen, um nicht als Blockierer dazustehen.
Allerdings gaben die Grünen auf diesem Parteitag ihrer Regierungsmannschaft einen eindeutigen Auftrag mit. Sie sollten sich bitteschön für Verbesserungen der Reform einsetzen, für mehr Humanität. Vor allem für Familien mit Kindern. Schon damals war klar, dass das ziemlich viel verlangt sein dürfte. Weil diverse andere EU-Staaten Abschreckung wollen, keine Humanität.
Nicht zufällig ist es Baerbock
Besonders Annalena Baerbock, die bei Grünen eigentlich äußerst beliebt ist, wurde damals heftig kritisiert: Falsche Entscheidung, schlecht verhandelt, Fakten verdreht, wichtige Fachpolitiker ignoriert – so schallte es ihr nicht nur hinter vorgehaltener Hand entgegen. Von der Basis kamen Rücktrittsforderung. So kannte Baerbock das noch nicht.
Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass sich gerade Baerbock nun öffentlichkeitswirksam quergestellt hat. Sie braucht ihre Partei noch, um Kanzlerkandidatin zu werden. Und aus Sicht vieler Grüner hat die Krisenverordnung tatsächlich das Potenzial, die möglichen Verbesserungen der GEAS zunichtezumachen. Und damit nicht nur weniger Humanität, sondern auch weniger Ordnung zu schaffen.
Das grüne Argument der vergangenen Tage geht so: Regierungen wie die postfaschistische in Italien wollen eigentlich gar nicht, dass sich an den Außengrenzen etwas ändert. Und mit der Krisenverordnung können sie die Flüchtlinge nicht nur länger in den Lagern festhalten. Sie können sie auch in andere Staaten durchwinken, so wie sie es jetzt schon machen. Nur dann eben ganz legal.
Das Argument der SPD, dass Italien den Krisenfall nicht allein ausrufen könne, sondern die EU-Kommission prüfen muss und 15 EU-Staaten im Rat zustimmen müssen, überzeugt die meisten Grünen wenig. Bei derzeitiger Debattenlage seien diese 15 Staaten schnell gefunden, heißt es. Und dann ist Krise.
Ist es das wert?
Donnerstagnachmittag verkündete die SPD-Innenministerin, dass Deutschland den GEAS zustimmen wird. Faeser sagt nach dem Treffen der 27 EU-Innenminister: "Obwohl wir noch weiteren Änderungsbedarf hätten, werden wir heute unserer Verantwortung gerecht. Wir werden heute diesem – wie wir finden – von Spanien hervorragend ausgehandeltem Kompromiss zustimmen."
Auch wenn die Details noch gar nicht stehen und weiterverhandelt wird – den Grünen bleibt jetzt nichts anderes mehr übrig, als das Ergebnis zu akzeptieren. Und damit auch zu akzeptieren, dass Faeser zugleich verkündet, es habe leider keine Mehrheit für bessere Bedingungen für Familien mit Kindern gegeben. Also für die Hauptforderung der Grünen vom Krisenparteitag in Bad Vilbel.
War das die Blockade wert?
Im Kanzleramt ist man von den ständigen Konflikten mit der Partei genervt, heißt es aus Koalitionskreisen. Besonders die Tatsache, dass die Außenministerin dem Bundeskanzler in aller Regelmäßigkeit widerspricht, störe Scholz.
Schön ist das nicht. Vor allem aber müssen die Grünen sich fragen, ob ihre Kämpfe sich am Ende lohnen – oder ob der Schaden, den sie in der Öffentlichkeit davontragen, nicht schwerwiegender ist.
- Eigene Recherche
- tagesschau.de: Bundesregierung will EU-Krisenverordnung zustimmen