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Ampelkoalition vor dem Abpfiff: Wie lange kann das noch gutgehen?


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Tagesanbruch
Ampel vor dem Abpfiff

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 25.09.2023Lesedauer: 6 Min.
Es läuft nicht gut für Olaf Scholz und seine Regierungsmannschaft.Vergrößern des Bildes
Es läuft nicht gut für Olaf Scholz und seine Regierungsmannschaft. (Quelle: Andreas Arnold/dpa)

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Für Fußballer gibt es in der Halbzeit Pausentee und eine Ansage des Trainers: Führt die Mannschaft, spornt er sie an. Liegt sie hinten, setzt es eine Standpauke. Damit die Spieler in der zweiten Hälfte Gas geben und das Spiel noch drehen.

Können die Ampelkoalitionäre ihr Spiel noch drehen? Zwei Jahre ist die Bundestagswahl morgen her, SPD, Grüne und FDP bildeten ein Team, das sie hochtrabend "Fortschrittsbündnis" nannten. Von Grund auf erneuern wollten sie das Land nach den zähen Merkel-Jahren und der Corona-Weltkrise. Stattdessen eiert die rot-grün-gelbe Regierungsmannschaft zur Halbzeit der Legislaturperiode angeschlagen über den Platz. Nach politischen Kriterien bemessen liegt das Team von Bundestrainer … pardon -kanzler Olaf Scholz mit 2:6 Toren hinten. Auf den erfolgreichen Beginn folgte der Absturz. So fielen die Tore:

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1:0: In der Sozialpolitik erhöhten die Koalitionäre den Mindestlohn und verwandelten Hartz IV ins Bürgergeld. Das freut viele Geringverdiener.

2:0: Nach Putins Angriff gaben Scholz und sein Team die richtigen Antworten – Schulterschluss mit den USA und den EU-Partnern, Bundeswehr-Aufrüstung, Gas- und Strompreisbremse. Gut gemacht.

Doch dann hagelte es ein Gegentor nach dem anderen:

2:1: Beim Mammutprojekt Klimaschutz braucht das Scholz-Team eigentlich gar keinen Gegner, denn es spielt gegen sich selbst. Riesenzoff ums Heizungsgesetz und Verwässerung der Sektorenziele: ein klassisches Eigentor.

2:2: In der Verkehrspolitik reichte es zwar für das Deutschlandticket – doch beim E-Tankstellennetz, der Bahn-, Autobahn- und Brückensanierung geht es kaum voran. Millionen Pendler ärgern sich jeden Tag darüber.

2:3: Das Einwanderungsrecht haben die Ampelleute zwar erleichtert, auch wurden mehr als eine Million Ukrainer unkompliziert aufgenommen. Doch gegen die irreguläre Migration findet die Regierung bislang kein wirksames Mittel, weder an den nationalen Grenzen noch mit den EU-Partnern. Kein anderes Thema besorgt die Bundesbürger gegenwärtig so sehr wie dieses.

2:4: Für den deutschen Bildungsnotstand werden gern die Bundesländer verantwortlich gemacht – aber nur die Bundesregierung könnte den Gordischen Knoten durchschlagen, indem sie einen nationalen Krisenplan entwirft. Werden die Schulen in der viertgrößten Wirtschaftsnation der Welt endlich zeitgemäß ausgestattet? Fehlanzeige.

2:5: Die Worte Digitalisierung und Deutschland sind mittlerweile Antonyme. Die Misere ist so groß, dass sich kein weiteres Wort darüber lohnt.

Die Quittung für ihren Rückstand und ihren mannschaftsinternen Dauerzoff bekommen die Ampelleute in den Umfragen serviert. Die jüngste stammt vom Wochenende und ist besonders bitter: Auf gerade mal noch 37 Prozent Zustimmung kommen die drei Regierungsparteien – der niedrigste Stand seit der Bundestagswahl. Damals lagen sie bei 52 Prozent. Das Publikum buht und verlässt in Scharen das Stadion.

Doch das Spiel geht weiter – und zack, bekommt das Scholz-Team den nächsten Dämpfer verpasst, schon steht es 2:6: 400.000 neue Wohnungen pro Jahr hatten die Ampelleute versprochen, 100.000 davon sollten Sozialwohnungen sein. So wollten sie den grassierenden Wohnraummangel vor allem in Großstädten bekämpfen. Der Plan ist gescheitert. Zwei Jahre nach dem Ampel-Anpfiff ist das Problem größer als je zuvor.

Bundesweit fehlen mehr als 700.000 Wohnungen – so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Am stärksten betroffen sind die Metropolen Berlin, Hamburg und Köln, aber auch in 70 weiteren Städten herrscht akute Wohnungsnot. Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten warnte schon zu Beginn des Jahres vor einem "ungeahnten Desaster auf dem Wohnungsmarkt". Seither hat sich die Situation verschlimmert; in diesem Jahr werden wohl höchstens 200.000 neue Wohnungen entstehen.

Besonders dramatisch ist das Fehlen von Sozialwohnungen: Ende der 1980er-Jahre gab es noch vier Millionen – heute sind es nur noch gut eine Million. Dabei hätten mehr als elf Millionen Haushalte aufgrund niedriger Einkommen Anspruch darauf.

Die Gründe für den Mangel sind vielfältig. Die Bevölkerung wächst. Immer mehr Menschen ziehen in Städte. Bauen wird durch einen Dschungel aus bürokratischen Vorschriften erschwert. Durch die Inflation sind Materialpreise in die Höhe geschossen, die hohen Zinsen tun das ihre. Politische Fehlentscheidungen kommen hinzu: Viele Kommunen haben ihren Wohnbestand in den vergangenen Jahrzehnten privatisiert und Spekulanten Tür und Tor geöffnet. Heute können sich Durchschnittsverdiener eine Wohnung in den Innenstädten von München, Hamburg, Frankfurt oder Düsseldorf kaum noch leisten. Auch der Zuzug der Flüchtlinge hat die Lage verschärft: Vor allem Ukrainer ziehen lieber nach Berlin oder Hannover als nach Schwerin oder Salzgitter, wo es noch freie Wohnungen gibt.

Die meisten dieser Gründe hat die Ampelkoalition nicht zu verantworten. Ankreiden kann man ihr aber, dass sie nicht längst einen Notfallplan erarbeitet hat, um das rasant zunehmende Problem einzudämmen. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hat bis jetzt keinen Fuß auf den Platz bekommen, irrlichtert zwischen Kabine und Tribüne umher, statt in den Strafraum zu stürmen. Gerade einmal 14,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2026 konnte sie Finanzminister Christian Lindner (FDP) für den Bau von Sozialwohnungen abtrotzen. De facto bräuchte es eher 50 Milliarden, wie Mieterverbände vorrechnen.

In ihrer Not greifen viele Städte zu unkonventionellen Mitteln: In Hamburg sollen Bürger leerstehende Wohnungen in einem Petz-Portal melden. Frankfurt und Darmstadt verhängen Bußgelder von bis zu 25.000 Euro, wenn Vermieter ihre Objekte nur als Ferienwohnungen anbieten, statt Leute dauerhaft einziehen zu lassen.

Kann die Ampelkoalition ihren politischen Rückstand noch aufholen? Heute hat sie die Chance, wenigstens mal ein Tor zu schießen: Olaf Scholz lädt am Vormittag zum Wohnungsbaugipfel ins Kanzleramt. Gemeinsam mit seinen wichtigsten Ministern und der Wohnungswirtschaft will der Chef des Dreierteams "schnell mehr bezahlbaren Wohnraum" ermöglichen. Es heißt, dabei sollten auch unkonventionelle Ideen auf den Tisch kommen. Gestern Abend berichtete der "Spiegel" zudem, die Bundesregierung habe ein Maßnahmenpaket beschlossen, um die kriselnde Baukonjunktur anzukurbeln. Dringend notwendig wäre es. Sonst wird der Rückstand der Ampel-Mannschaft bald zweistellig. Oder das rot-grün-gelbe Spiel wird noch vor dem Ende der zweiten Halbzeit abgepfiffen.


Was heute noch ansteht

Die Lage im Kosovo ist angespannt. In den fast ausschließlich von Serben bewohnten Norden des Landes ist eine militärisch ausgerüstete Kampftruppe eingedrungen. Sie lieferte sich ein Gefecht mit kosovarischen Polizisten, ein Beamter wurde getötet. Ministerpräsident Albin Kurti macht Serbien verantwortlich. Beobachter fürchten, dass der ethnische Konflikt wiederaufflammt.

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Die deutsche Wirtschaft ächzt unter Inflation und hohen Energiepreisen. Im Ifo-Geschäftsklimaindex erfahren wir heute, wie die 7.000 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, des Bauhauptgewerbes, des Groß- und Einzelhandels die Aussichten fürs kommende halbe Jahr einschätzen.


Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beginnt eine mehrtägige Reise ins Baltikum. Dort ist die Furcht vor weiteren russischen Aggressionen besonders groß. In Litauen will Deutschland 4.000 Bundeswehr-Soldaten stationieren.


Gurke des Tages

Die Aktivisten der "Letzten Generation" wollen nicht mehr nur Autofahrer blockieren, sondern nun auch Jogger. Beim Berlin-Marathon starteten sie eine Protestaktion – dank reaktionsschnellen Polizisten erfolglos, wie meine Kollegen Rahel Zahlmann und Axel Krüger zeigen.


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Wie nennt man Leute, die andere beim Wettlauf stören? Ist doch klar wie Kloßbrühe.


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Die amerikanische Gesellschaft ist tief gespalten, Washingtons globale Macht schwächelt. Trotzdem sollte man die USA nicht abschreiben, warnt der Historiker Karl Schlögel im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Das historische Bild

Harte Kerle bevölkerten einst den Wilden Westen. Doch auch starke Frauen schrieben dort Geschichte – so wie die Meisterschützin Annie Oakley.


Zum Schluss

Wer den Wohnungsmangel lösen will, muss kreativ sein!

Ich wünsche Ihnen einen kreativen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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