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US-Wahl 2024: Donald Trump steht laut Historiker für "brutale Härte"


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Historiker Schlögel über die USA
"Es wird extrem dramatisch werden"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 26.09.2023Lesedauer: 8 Min.
Donald Trump: Der frühere US-Präsident will wieder ins Weiße Haus.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Der frühere US-Präsident will wieder ins Weiße Haus. (Quelle: Jose Luis Magana/AP/dpa)
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Die USA sind die einzige Supermacht – noch. Denn China steigt auf, die US-Gesellschaft ist nicht erst seit Donald Trump zerstritten. Doch der Historiker Karl Schlögel warnt davor, die USA zu unterschätzen.

Mit dem Amerikanischen Jahrhundert prägten die USA eine ganze Ära, doch diese ist längst vergangen. Russland bekriegt mittlerweile die Ukraine, China fordert den Westen heraus, und Donald Trump strebt erneut ins Weiße Haus. Zudem ist die Gesellschaft der Vereinigten Staaten nach wie vor tief gespalten. Müssen wir die USA abschreiben? Nein, sagt Karl Schlögel, einer der führenden deutschen Historiker und Kenner der Vereinigten Staaten. Denn eine besondere Kraft der USA sei längst nicht erschöpft.

t-online: Professor Schlögel, seit Jahrzehnten erforschen Sie die Geschichte Osteuropas, nun haben Sie ein Buch über die Vereinigten Staaten von Amerika geschrieben. Wieso?

Karl Schlögel: Es gab nie den Vorsatz, ein Amerika-Buch zu schreiben, es hat sich einfach an einem bestimmten Punkt ergeben. Diese Region der Welt ist mir allerdings auch nicht unvertraut; neben meinen zahlreichen Aufenthalten in Mittel- und Osteuropa war ich immer wieder parallel in den USA, das erste Mal 1970. Zuvor bin ich allerdings 1966 und 1969 schon in der Sowjetunion gewesen.

Damals, vor gut einem halben Jahrhundert, waren Sie ein linker Aktivist, der Faszination für die sogenannte Kulturrevolution in China hegte. Warum zog es Sie auf die andere Seite des Atlantiks?

Man hätte mich ohne Weiteres als linksradikalen Studenten bezeichnen können. Wer es zu der Zeit des Vietnamkrieges ernst meinte mit dem Kampf gegen den Imperialismus, ging eben in die USA: in "the belly of the beast", den "Bauch der Bestie".

Wie haben Sie die USA damals erlebt?

Es hat mich in die Zentren der Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung gezogen, trotz Vietnamkrieg und Rassismus war dieses Amerika von großer Faszination. Die USA sind ein ungeheuer forderndes, großartiges und großzügiges Land – das war mein Eindruck, der bis heute eigentlich nie erschüttert worden ist. In einer Art Langzeitbeobachtung habe ich die Vereinigten Staaten daraufhin immer wieder besucht. Mein Buch "American Matrix" ist der Versuch, eine Art Summe aus den Beobachtungen all dieser Jahre zu formulieren.

Karl Schlögel, Jahrgang 1948, lehrte bis zu seiner Emeritierung 2013 Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sein Buch "Terror und Traum. Moskau 1937" wurde mit dem Preis des Historischen Kollegs ausgezeichnet, ferner ist der Historiker Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung. Gerade ist Schlögels neues Buch "American Matrix. Besichtigung einer Epoche" erschienen.

Herausgekommen ist eine Studie über das sogenannte Amerikanische Jahrhundert und die "Soft Power", die "weiche Macht", der Vereinigten Staaten.

Immer habe ich die Fähigkeit der USA bewundert, in historisch bemerkenswert kurzer Zeit einen gesellschaftlichen Raum zu produzieren, eine Zivilisation, die global ausstrahlte und große Teile unserer Welt bis heute prägt. Mein Buch ist, wenn Sie so wollen, der Versuch, sich an meiner eigenen Amerika-Faszination abzuarbeiten.

Wer eine Geschichte der Vereinigten Staaten entlang von Chronologie und politischen Ereignissen erwartet, wird allerdings enttäuscht werden.

Ich bin überzeugt, dass sich eine Geschichte, auch eine große Geschichte, nicht nur entlang klassischer Zugänge wie der chronologischen Abläufe, Etappen, politischen Institutionen und so fort schreiben lässt, sondern ebenso, indem man eine historische Landschaft liest. "Im Raume lesen wir die Zeit", das ist mein Terminus technicus dafür. Ich habe versucht, die amerikanische Geschichte durch die Interpretation ihres Raumes zu lesen. Dazu gehören Städte und Landschaften, aber auch Gemeinplätze, die meist nicht der Rede wert sind, weil sie sich von selbst verstehen, aber für das Funktionieren von Gesellschaften zentral sind – Flughäfen, Buslinien, Supermärkte. Leider kommen sie aber in der Geschichtsschreibung oft nicht vor oder sind abgedrängt in Spezialdisziplinen.

Haben Sie ein Beispiel?

Die Geschichte der Eisenbahn wäre ein solcher Fall. Es gibt ganze Bibliotheken, die sich mit ihrer Geschichte beschäftigen, aber meist reduziert auf eine bloße Verkehrsgeschichte. Die Eisenbahn aus dieser engen Spezialisten-Ecke herauszubringen und ihre Geschichte selbst als ein Dokument von Nationsbildung zu beschreiben, als Produktion eines neuen, transkontinentalen Raums, den es vorher nicht gegeben hat, das war meine Absicht.

Der Bau der Eisenbahn auf dem nordamerikanischen Kontinent war für die Ureinwohner eine Katastrophe.

Richtig. Selbstverständlich zeigt sich, dass es sich dabei nicht nur um eine Geschichte des Fortschritts und der Aufklärung handelt, sondern ebenso und von allem Anfang an um eine Geschichte der Gewalt. Denn nichts weiter war die Landnahme. Ausgangspunkt für die rund 30 Kapitel des Buches waren die ersten Eindrücke, die ich einst als junger Mensch in den USA gewonnen hatte, denen ich dann aber in historischen Essays nachgegangen bin, und die in meinem Fall geschärft waren durch meine Sowjetunion- und Russland-Erfahrung.

Tatsächlich sind die Verbindungen zwischen den USA und der Sowjetunion ausgeprägter, als es bisweilen bekannt ist.

Der Verbindungen gibt es viele. Mit dem Palast der Sowjets sollte in den Dreißigerjahren in der Sowjetunion das höchste Gebäude der Welt entstehen. Woran nahm die sowjetische Führung Maß? Am Empire State Building in New York City. Letztlich blieb der Palast der Sowjets aber nur ein Traum. Der Architekt Wjatscheslaw Oltarschewski wiederum, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für Planung und Errichtung der Hochhäuser in Moskau verantwortlich zeichnete, hatte zuvor gewissermaßen beim Bau von Wolkenkratzern in New York gelernt. Ich fand es faszinierend, dass etwa bei der Planung des Rockefeller Center von amerikanischen wie sowjetischen Architekten und Ingenieuren eine gemeinsame ästhetische Sprache entwickelt worden ist, die meist unerkannt dann aus New York nach Moskau führte.

In die Sowjetunion ging auch Oltarschewski 1935 zurück – und sollte es bereuen.

Oltarschewski wurde nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion verhaftet, verurteilt und kam in das Arbeitslager Workuta. Der genaue Grund für die Verhaftung ist unbekannt. Möglicherweise spielten neben Kontakten zu verurteilten und hingerichteten "Hochverrätern" wie Nikolai Bucharin während Stalins "Großem Terror" auch Oltarschewskis Verbindungen in die USA eine gewisse Rolle.

35 Jahre vor Ihnen besuchten mit Ilja Ilf und Jewgeni Petrow zwei sowjetische Schriftsteller die USA. Ihr Reisebericht "Das eingeschossige Amerika" erschien dann 1937, dem Jahr, in dem Josef Stalin den "Großen Terror" entfachte. Wie war das möglich?

Es war das düsterste Jahr in Stalins langer Herrschaft, ja. Umso erstaunlicher war die Publikation des Reiseberichts in Riesenauflagen, wenn man bedenkt, dass Ilf und Petrow ihrer Begeisterung für Pragmatismus, Komfort und die Leistung der Servicekultur Amerikas freien Lauf ließen.

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Gleichwohl resümierte das Duo trotz aller Begeisterung: "Aber leben möchten wir dort nicht".

Ja. Es gab ja die dunkle Seite, die Arbeitslosigkeit, die Rassendiskriminierung und so fort. Die Sowjetunion verstand sich doch immer als Gegenentwurf, und die Kluft zwischen beiden Systemen ist bei allen äußerlichen Verwandtschaften – wie zum Beispiel der Technik-Faszination, den Großprojekten der Industrialisierung oder sogar in Baustilen – doch fundamental.

Nun ist die Sowjetunion untergegangen, ihre Macht verweht, allerdings wird auch der Abgesang auf die Vereinigten Staaten immer lauter nach der Präsidentschaft Donald Trumps und dem Aufstieg Chinas. Was halten Sie davon?

Es ging mir nicht um eine Beweisführung, dass Amerika größer, besser, überlegen ist. Mich interessiert weder der Amerikan-Ismus noch der Anti-Amerikan-Ismus, sondern ich bin der Frage nachgegangen, die mich bis heute beschäftigt. Wie es kam, dass ausgerechnet dieses Land, die von ihm hervorgebrachte Lebensform – way of life – in historisch so kurzer Zeit eine so große Prägekraft gewonnen hat, weltweit Standards gesetzt hat, kurz: Was die amerikanische Zivilisation so stark, so attraktiv gemacht hat, dass sie sich fast anstrengungslos als global bewunderte und angestrebte Lebensform durchgesetzt hat. Ich habe mich in dem Buch nicht mit der Außenpolitik, mit den zahlreichen – und oft verhängnisvollen – amerikanischen Kriegen beschäftigt, sondern mit der Frage, wie diese Zivilisation tickt, was sie zusammenhält, worin ihre Soft Power besteht.

Ähnliches haben Sie zuvor für die Sowjetunion getan.

So ähnlich, wie ich es in meinem 2017 erschienen Buch "Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt" versucht habe. Also keine Kapitel über US-Flottenbasen, sondern eher die Frage zu beantworten, weshalb Holiday Inn in gewisser Weise das Vorbild des Hotel- und Übernachtungswesens weltweit geworden ist. Oder auch, warum sich der Highway nicht nur als Infrastruktur, sondern fast als eine Verkehrs- und Lebensform weit über die Grenzen der USA hinaus durchgesetzt hat. Und das gilt für viele Erfindungen und Kulturtechniken, die in Amerika ihren Ursprung haben.

Was denken Sie, ist der Grund?

Weil diese Erfindungen etwas mit Freiheit, Gleichheit, Streben nach Glück zu tun haben, sowohl attraktiv als auch plausibel sind. Das ist das, was ich mit Soft Power meine. Sie mussten nicht mit Gewalt durchgesetzt werden.

Aber noch einmal die Frage: Befindet sich Amerika im Niedergang?

Es wäre meines Erachtens ganz falsch, die USA abzuschreiben. Das Land hat immer wieder die Kraft gefunden, neu auszuholen, sich seinen Problemen zu stellen, unbewältigte Vergangenheiten zur Sprache zu bringen. Wir haben bereits über die Produktion des amerikanischen Raums und die dunkle Seite der euro-amerikanischen Landnahme gesprochen, die einherging mit der Überwältigung, der Ausschaltung – bis hin zu genozidalen Praktiken – der amerikanischen Ureinwohner. Das war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein kein Thema in der Öffentlichkeit. Die Zeit der Verdrängung ist längst vorbei, Amerika mutet sich seine ganze Geschichte zu, und das ist ein Zeichen von Stärke und Selbstsicherheit. Und das stimmt mich optimistisch.

Der erneut ins Weiße Haus strebende Donald Trump wird diesen Prozess sicher nicht unterstützen.

Es gibt ja nicht nur Trump, sondern auch eine hellwache Öffentlichkeit, ein Justizsystem, das einen Präsidenten sogar vor Gericht bringen kann. Er ist wirklich eine Gefahr, und niemand weiß, wie weit er gehen wird. Er ist ein Symptom für die Schwächen des amerikanischen Systems in einer Zeit, wo sich im Lande wie international alles ändert. Trumps Präsidentschaft und seine Wiederbewerbung sind in gewisser Weise der wahre Ausdruck für die innere Verfasstheit Amerikas. Aber das Land bewegt sich doch.

Woran machen Sie das fest?

Wichtige Beispiele für mich: Bis in die 2000er-Jahre mussten die amerikanischen Ureinwohner wie auch die Afroamerikaner warten, bis Museen auf der berühmten National Mall in Washington, D.C., sich ihrer Geschichte widmeten. Es hat lange gedauert, aber mittlerweile sind sie ein Ausdruck dessen, dass sich die amerikanische Gesellschaft die Auseinandersetzung über die düstersten Aspekte der eigenen Geschichte zumutet. Das gibt mir Zuversicht.

Letztlich kratzt die Diskussion an fundamentalen Lebenslügen der Vereinigten Staaten.

Von vielen Lebenslügen hat sich Amerika längst verabschiedet, denn diese Fragen werden inzwischen nicht in irgendwelchen kleinen intellektuellen Zirkeln zur Sprache gebracht, sondern in einer breiten Öffentlichkeit. Nehmen wir die Gründungsväter der amerikanischen Verfassung wie den großen Thomas Jefferson, der die Prinzipien der Aufklärung und der Gleichheit der Menschen predigt und zugleich Sklaven hält, mit ihnen Kinder zeugt, die er aber nicht anerkennt. Ein Land, das sich dieser ganzen Geschichte stellt und sich von Mythen befreit, ist stark.

Bleiben wir beim Phänomen Donald Trump, der anscheinend die Geschichte zurückdrehen will zu einem Zeitpunkt, an dem die von Ihnen beschriebene kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit noch nicht stattfand. Wie hart kann die Auseinandersetzung mit Trump werden?

Trump steht für die brutale Härte, mit der dieser Konflikt ausgetragen wird. Was wir in den USA beobachten, spricht einerseits für eine große Gefährdung und die Möglichkeit von Szenarien, die wir uns nicht vorstellen konnten, wie etwa den bewaffneten Aufruhr. Andererseits spricht es auch für die Offenheit und die Radikalität der amerikanischen Auseinandersetzung.

Welche Menschen zieht Trump mit seiner Politik an?

Es ist für mich eine Wortmeldung von Teilen der Gesellschaft, die sich mit den Umbrüchen, in die Amerika hineinsteuert, nicht zurechtfinden, die sich gegen die unvermeidlichen demografischen, kulturellen Veränderungen stemmen, die lange Zeit aber ignoriert und im politisch-medialen Raum nicht vorgekommen sind. Ganz sicher muss man auch von einem Versagen der politischen Eliten – gleich welcher Partei – sprechen. Der Wahlkampf wird daher extrem aufschlussreich und dramatisch werden.

Ihr Buch handelt vom Amerikanischen Jahrhundert, das inzwischen geendet hat. Wird es in irgendeiner Form eine Neuauflage erleben?

Das Ende des Amerikanischen Jahrhunderts ist nicht das Ende des Amerikanischen Traums. Die Innovationskraft und die Basiskräfte der amerikanischen Gesellschaft haben sich ebenso wenig erschöpft wie die Fähigkeit, sich neu zu erfinden. Wir werden uns noch wundern über die Fähigkeit Amerikas, sich neu in einer veränderten Welt aufzustellen. Ich war auch immer wieder in China unterwegs und habe die Skyline von Shanghai bestaunt. Aber dass es Shanghai mit der Soft Power, mit der Kreativität von New York oder Los Angeles aufnehmen kann, glaube ich nicht.

Professor Schlögel, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Karl Schlögel via Videokonferenz
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