Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Lehren für das Superwahljahr 2024 Nordhausen hat die AfD enttarnt
Die Bundesrepublik scheint derzeit im Sog der AfD. Doch eine ostdeutsche Stadt stemmt sich dagegen. Daraus lässt sich für das Superwahljahr 2024 lernen.
Aus Nordhausen berichtet Annika Leister.
Demokraten dürfen sich den 24. September im Kalender ankreuzen. Es ist der Tag, an dem eine ostdeutsche Stadt die AfD überraschend in ihre Schranken weist und der Faschist Björn Höcke wohl in die Tischkante beißt.
Nordhausen, die 41.000-Einwohner-Stadt in Nord-Thüringen, hat bei der Oberbürgermeisterwahl geschafft, wozu viele angesichts der Umfragen derzeit nicht imstande zu sein scheinen: der AfD zu widerstehen.
'Pah, eine so kleine Stadt, ein Oberbürgermeister, ein so knappes Ergebnis, was hat das schon zu bedeuten?' So werden vermutlich viele denken. Und vermutlich werden sie auch in der AfD nach der Niederlage so reden.
Kommunalämter sind für die AfD der Weg zum Kanzleramt
Doch diese kleine Stadt hat Bedeutung, sie hat gerade jetzt großes Gewicht. Schließlich schien der Erfolgskurs der AfD in den vergangenen Wochen nicht mehr zu stoppen zu sein. Trotz Skandalen um rechtsextreme Äußerungen und erschwindelte Lebensläufe ihrer Funktionäre heimste sie Topergebnisse in Umfragen ein, sie ist stärkste Kraft im Osten, zweitstärkste Kraft in ganz Deutschland. Die Bundesrepublik, blind-betört von einer immer offener rechtsextremen Partei.
Diese Partei verwandelte den demoskopischen Erfolg mit einem Landratsposten im thüringischen Sonneberg im Juni zum ersten Mal in reale Macht. Ein Meilenstein für die AfD, der von ihrer Spitze gefeiert wurde wie von anderen Parteien der Einzug ins Kanzleramt. Weil diese Posten für sie ähnliche Bedeutung haben: Schließlich will absehbar niemand mit ihr koalieren, mögen in der CDU auch noch so viele mit ihr flirten.
Deswegen ist das lang angelegte Ziel in der AfD-Zentrale: Deutschland von unten auf rechts krempeln. Zuerst bei Kommunal-, dann bei Landtagswahlen gewinnen, bis schließlich auch auf Bundesebene niemand mehr an ihr vorbeikommt. Der große Befreiungsschlag soll das Superwahljahr 2024 sein, wenn in den ostdeutschen AfD-Hochburgen Thüringen, Sachsen und Brandenburg Kommunal-, Landtags- und Europawahlen anstehen.
Nordhausen war auf diesem Weg eine wichtige Marke. Die Stadt sollte die Erfolgsserie fortsetzen, der AfD kurz nach dem ersten Landrat den ersten Oberbürgermeister in der Republik verschaffen – und schon jetzt den Ton setzen: Alles geht, wir sind im Osten nicht mehr zu stoppen.
Doch Nordhausen machte den Weg nicht frei. Nordhausen bäumte sich auf.
Maximal ungüngstige Verhältnisse
Dabei fiel der erste Wahlgang vor zwei Wochen mit rund 20 Prozentpunkten Vorsprung deutlich für AfD-Kandidat Jörg Prophet aus – sehr viel deutlicher sogar als in Sonneberg. Zudem war Prophets Gegenkandidat Kai Buchmann von Skandalen in seiner Amtszeit angeschlagen und wirkte ausgezehrt. Der parteilose Buchmann machte wenig Wahlkampf, die AfD dagegen fuhr kurz vor der Wahl ihre bekanntesten Köpfe auf, schickte sogar Parteichef Tino Chrupalla und AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah auf die Bühne nach Nordhausen. Maximal ungünstige Verhältnisse sollte man meinen.
Wie also konnte die Wende in Nordhausen gelingen? Was lässt sich daraus für das Superwahljahr 2024 lernen? Was ist Nordhausens Geheimrezept gegen den derzeit so mächtigen AfD-Sog?
Vollumfänglich lässt sich das am Abend nach der Stichwahl noch nicht beantworten, detaillierte Analysen werden folgen. Drei Punkte aber fallen ins Auge – vor allem im Vergleich zu Sonneberg, wo der Landratssieg gelang.
1. Die AfD konnte nicht das Opfer spielen
Positionierten sich in Sonneberg alle anderen Parteien deutlich gegen den AfD-Kandidaten Sesselmann und warben vor der Stichwahl geschlossen für dessen CDU-Konkurrenten, blieben in Nordhausen die Parteien sehr viel leiser. Zu viel Ärger hatten sie mit Amtsinhaber Buchmann, als dass sie für ihn werben mochten.
Was zuerst wie eine Schwäche der Nordhäuser Parteienlandschaft wirkte, verwandelte sich in eine Stärke: So konnte die AfD sich nicht als Opfer der von ihr sogenannten "Altparteien" inszenieren, konnte nicht über die "Einheitsfront" und "undemokratische Zustände" wettern – und vermutlich weniger neue Trotz- und Protestwähler erschließen. In Sonneberg nämlich gingen im zweiten Wahlgang zwar mehr Leute zur Wahl – auch AfD-Mann Sesselmann gewann aber neue Stimmen hinzu. "Jetzt erst recht", dachten sich da wohl einige.
2. Die Parteien leise, die Bürger umso lauter
Zweitens fiel der Protest gegen die AfD nicht aus, nur weil die Parteien die Füße stillhielten. KZ-Gedenkstättenmitarbeiter, Vereine und viele, viele Bürger machten mobil. Mit "Nordhausen Zusammen" gründete sich kurzerhand eine Bürgerinitiative, die in Chatgruppen, auf Demonstrationen und in ihrem persönlichen Umfeld diskutierte, mobilisierte, wachrüttelte.
Das ist so wirksam und glaubhaft, dass auch AfD-Kandidat Jörg Prophet am Sonntagabend seinem Konkurrenten gratulierte und im Gespräch mit t-online schnörkellos einräumte: "Der Souverän hat entschieden."
3. Prophets Tarnung flog im Wahlkampf auf
Drittens ging die Strategie der AfD in Nordhausen nicht auf, sich zu "normalisieren". Da mag Thüringens AfD-Chef Höcke am Sonntagabend noch so sehr twittern, Sieg und Niederlage lägen in Nordhausen eng beieinander. Schließlich zeige doch zumindest auch diese Wahl, dass "Deutschland auf Kurs 'Normalisierung'" sei, so Höcke.
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Das aber ist nicht richtig. Prophet wirkte auf viele rechtschaffen und bürgerlich, bevor er in den Wahlkampf zog. Seit 2019 sitzt er schließlich im Stadtrat, leitete bis vor Kurzem den AfD-Kreisverband Nordhausen, war vielen in der Stadt als Unternehmer und eher konservativer AfDler bekannt.
Mit seiner Kandidatur aber rückte der Kommunalpolitiker in den Fokus der Öffentlichkeit, plötzlich recherchierten die Gedenkstättenmitarbeiter und Medien naturgemäß genauer – und es stellte sich rasch heraus: Prophet schrieb Texte, die ganz im Stile seines rechtsextremen Landeschefs Höcke die deutsche Erinnerungskultur zu verändern versuchen. Weg vom Eingeständnis, dass die Deutschen im Zweiten Weltkrieg mehrheitlich Täter und Mitläufer waren – hin zur Anklage gegen die Alliierten, die deutsche Städte im Kampf gegen Hitlers Truppen bombardierten. Der Verfassungsschutz hatte ihn deswegen schon 2021 im Blick.
Fazit: Deutschland fühlt noch
Auch hier ist der Vergleich mit Sonneberg spannend: Der Sonneberger Wahlsieger Sesselmann blieb nämlich auch unauffällig, als alle genauer hinschauten. Ein ruhiger Zweite-Reihe-Mann, über den bis zuletzt kaum Skandalöses in Erfahrung zu bringen war.
Das ist vielleicht die größte Hoffnung, die das Ergebnis in Nordhausen birgt: Deutschland scheint geschichtsrevisionistischen und rechtsradikalen Männern gegenüber noch nicht so tumb und taub, wie es sich ein Björn Höcke vermutlich wünscht und wie es die AfD mit ihrem extremen Personaltableau braucht, um breitflächig Erfolg zu haben.
Nordhausen ist deswegen in doppelter Weise ein Hoffnungsschimmer, indem es zwei grunddemokratische Botschaften sendet: Wir fühlen noch. Und: Die Bürger machen den Unterschied.
- Beobachtungen, Gespräche, Recherchen in Nordhausen und Sonneberg