Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Falsche Fuffziger
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es ist ja so: In jeder Familie gibt es mal Streit. Der eine sagt etwas, was er gar nicht so meint (oder vielleicht gerade doch). Der andere keift zurück. Und dann?
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Das Gespräch, das die Bayern-Bosse in der vergangenen Woche mit ihrem Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn geführt haben, kann man sich in etwa so vorstellen: "Hallo, Oli. Wir haben dir eine schlechte Nachricht zu überbringen, wir planen künftig ohne dich." Und der Oli wird vielleicht geantwortet haben: "Das könnt ihr doch nicht machen, nach allem, was ich für die Familie getan habe!" Dann wird Vereinspräsident Herbert Hainer gesagt haben: "Wir wollen doch nur das Beste für den Verein." Woraufhin der Oli einen hochroten Kopf bekommt. Und dann geht es erst richtig los.
Wir waren nicht dabei, deshalb muss man sich auf das verlassen, was im Nachhinein kolportiert wurde.
Vonseiten der Vereinsführung heißt es, Oliver Kahn habe sich verbal auf seinen Nachfolger Jan-Christian Dreesen eingeschossen. Kahn widerspricht kurz darauf bei Twitter: "Die Behauptung, dass ich ausgerastet bin, als ich über die Abberufung informiert wurde, stimmt definitiv nicht." Er habe sich lediglich "über diesen Aktionismus gewundert, warum diese Entscheidung nun vorgezogen wurde".
Das Schauspiel, das da beim FC Bayern in den Tagen nach der Abberufung von Kahn und Hasan Salihamidžić aufgeführt wurde, lässt tief blicken. Zu viele unwürdige Details kommen ans Licht: Erst wurde eine Aufsichtsratssitzung vom 23.5. auf den 30.5. verlegt, um die Personaldiskussion vom letzten Spieltag wegzuhalten. Und dann legten die Bosse den Termin auf den Tag vor der Meisterschaft. Offenbar glaubten sie selbst nicht mehr an den Titelgewinn.
Nach dem Gespräch mit Kahn beschloss dann irgendjemand, dass der nicht mehr zum letzten Spiel nach Köln mitfahren wollte oder sollte (die Versionen unterscheiden sich da). Dann sickerte das alles tröpfchenweise an die Medien durch – noch vor Abpfiff des letzten Spieltages. Und anschließend bewarfen sich alle gegenseitig mit verbalem Dreck.
Uli Hoeneß ging sogar so weit, Kahn öffentlich die Befähigung zum Vorstandsvorsitzenden abzusprechen. Typisch Hoeneß. Was soll das? Warum muss der Mann so hinterhertreten?
Der FC Bayern wollte immer eine große Familie sein. "Mia san mia!" – Es gibt einen eigenen Song dazu.
Gegenseitige Anschuldigungen, offen über die Medien ausgetragene Meinungsdifferenzen und Beschuldigungen: In einer normalen Familie würde man jetzt die nächsten Jahre nicht mehr gemeinsam Weihnachten feiern.
Am Ende stehen alle da wie "falsche Fuffziger". Ohne Demut vor den Fans, die Meisterschaft mal eben links liegen gelassen. Andere Mannschaften wären unfassbar dankbar, würden sie überhaupt Deutscher Meister werden. Die Bayern-VIPs zerfleischen sich im selben Moment.
Solche Leute will keiner in der Familie haben.
Doch die FC Bayern München AG ist keine Familie. Sie ist ein Großunternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Es geht ums Geld. Es geht um Sponsorenverträge, Einnahmen aus Fernsehrechten, um millionenschwere Spieler- und Vorstandsgehälter. Da hört bekanntlich der Spaß auf.
Doch ein normales Unternehmen ist der FCB eben auch nicht. Der Verein hat rund 300.000 Mitglieder, 360.000 Fanklub-Mitglieder, fast 4.500 Fanklubs und Millionen von Fans. Menschen, die an die Erzählung vom "Mia san mia" geglaubt haben, für die der Verein ein Vorbild ist. Jetzt muss man sagen: war.
Das "Mia san mia" ist endgültig kaputtgegangen. Der Profifußball verliert schon länger seine Vorbildrolle, da verwundern die Vorgänge beim FC Bayern kaum noch jemand. Das ist bitter, gerade für die vielen jungen Fußballfans. Eigentlich geht es beim Fußball um das Gefühl, als Mannschaft gemeinsam alles schaffen zu können.
Beim FC Bayern kann man die Erkenntnis gewinnen, dass man gemeinsam auch alles kaputtmachen kann. Das Schlimme nur: Die Fans müssen dem grauenhaften Schauspiel machtlos zusehen.
Herzlichen Glückwunsch zur elften gewonnenen Meisterschaft in Folge, bleibt da nur zu sagen.
Was steht an?
Wirtschaftsminister Robert Habeck versucht den Neustart. Am Dienstag will er Abgeordnete der Ampelkoalition treffen, um einen Kompromiss beim Gebäudeenergiegesetz zu finden. Er betonte am Wochenende, er hoffe, dass die Diskussion nun "eine konstruktive, lösungsorientierte" Richtung einschlägt. Anpassungen könnte es beim Starttermin, bei künftig noch zugelassenen Heizungen oder der möglichen staatlichen Förderung geben. Die Zeit drängt, denn die nächste Sitzungswoche beginnt am 12. Juni.
Eigentlich müsste auch der FDP daran gelegen sein, dass die Koalition erfolgreich regieren kann. Ein Kompromiss ist also keinesfalls ausgeschlossen. Wäre er auch in den vergangenen Wochen nicht gewesen, doch die Liberalen versuchten stattdessen, mit etwas Populismus zu punkten. Das funktioniert, solange man die öffentliche Mehrheitsmeinung hinter sich weiß. Allerdings auch nur auf Kosten des anderen Koalitionspartners, wie man an den Umfragewerten Habecks sehen kann. Vom Klimaschutz redet währenddessen natürlich keiner.
Nach dem Wahlsieg von Recep Tayyip Erdoğan steht die Türkei heute vor den gleichen Problemen wie vor der Wahl. Kenner des Landes rechnen damit, dass Erdoğan die Repressionen gegen Minderheiten und Andersdenkende noch ausweiten wird. Auch die wirtschaftlichen Probleme des Landes werden sich vermutlich kaum verbessern. Hierzulande ist die türkischstämmige Gemeinschaft gespaltener denn je. Erdoğan-Fans zeigten am Sonntagabend bei Autokorsos offen das Handzeichen der rechtsradikalen Grauen Wölfe.
Agrarminister Özdemir drückte in Worten aus, was meine türkischstämmigen Nachbarn auch entsetzte: Wie kann es sein, dass Menschen den Autokraten Erdoğan wählen, während sie in einer liberalen Demokratie leben? Özdemir sagte, für ihn seien die Autokorsos keine Feiern, sondern "eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie". Die in Deutschland lebenden Erdoğan-Wähler sind Teil unseres Landes. Und deshalb hat Özdemir recht: Wir müssen den Dialog eröffnen mit denen, die nicht verstanden haben, dass Erdoğan unwählbar ist.
Lesetipps
Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt ist sich sicher: Das harte Vorgehen der bayerischen Justiz gegen die Klimaaktivisten war gerechtfertigt. Im Interview mit meinen Kolleginnen Heike Vowinkel und Miriam Hollstein sagt er, er habe "Respekt gegenüber den Richtern, die inzwischen auch Gefängnisstrafen für diese Straftäter verhängen". Und dann das: Die FDP sei für ihn eine große Enttäuschung.
Die Kollegen unserer Video- und unserer Leser-Redaktion Nicolas Lindken und Mario Thieme haben sich eines schwierigen Themas angenommen: Kirchenaustritt. Wohltuend, mal einige t-online-Leserinnen und -Leser zum Thema zu hören. Sehr persönlich, sehr nah.
Unser Autor Wladimir Kaminer ist sich übrigens sicher: Ein siegreicher Platz für Wladimir Putin ist sicher. Er hat es dorthin geschafft, wo die Nato noch nicht ist.
Ohrenschmaus
Macht sich Ihnen beim FC Bayern auch ein Unwohlsein in der Magengegend breit? Der Songwriter Danger Dan hat dieses Gefühl schon einmal in ein Lied gepackt: "Lauf davon", singt er. "Und fang irgendwo noch mal von vorne an."
Zum Schluss
Ein Albtraum.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Vier-Tage-Woche. Morgen schreibt meine Kollegin Christine Holthoff an dieser Stelle, am Donnerstag ist Florian Harms dann wieder für Sie da.
Herzliche Grüße
Ihr
Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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