Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Brutal im Stich gelassen
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
es klang alles gut. Sehr gut sogar. Denn vor einem Jahr kündigte Bettina Stark-Watzinger (FDP) eine Revolution an. Die Bundesbildungsministerin sagte im t-online-Interview: "Wichtig ist, dass wir uns nicht zerstreiten in kleinteiligen Diskussionen, sondern die großen Aufgaben angehen." So wolle sie künftig zur Kultusministerkonferenz gehen – etwas, das ihre Amtsvorgänger vermieden hatten.
Nach Zusammenarbeit klang das, nach Aufbruch. Danach, dass es wirklich vorwärtsgeht, wenn die FDP das Bildungsministerium besetzt. Alles sollte besser werden – das war Stark-Watzingers Botschaft. Ein Jahr ist seitdem vergangen. Und so viel ist heute klar: Wenig hat sich geändert, es geht kaum vorwärts. Die Zusammenarbeit mit den Bundesländern stockt.
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Die Bildungsministerin steht in diesen Tagen im Fokus. Gestern ging Stark-Watzingers Bildungsgipfel zu Ende – ohne konkrete Ergebnisse. Dabei könnte ihr Ressort eine Botschaft ans Land aussenden: Wie man bei den wichtigen Projekten Tempo machen kann, wenn der politische Wille da ist. Wie die junge Generation in den Blick genommen wird. Und dass die Liberalen endlich zeigen, wie pragmatisch sie regieren können.
Stattdessen ist das Ministerium zurzeit ein Symbol politischer Trägheit.
Dabei ist eine Menge zu tun: Bei den Pisa-Studien gibt es seit Jahren maue Ergebnisse für die Bundesrepublik – die nächsten werden Ende des Jahres erwartet. Die Unterschiede in der Bildungspolitik zwischen den Bundesländern werden zu Ungerechtigkeiten: So klaffen die durchschnittlichen Abiturnoten weit auseinander. Mit denen bewerben sich die Abiturienten jedoch um die gleichen Studienplätze.
Der zweite Digitalpakt für Schulen wird ohne eine Evaluation des ersten Pakts (der mit viel Geld aus der Bundeskasse die Digitalisierung vorantreiben sollte, das jedoch kaum in Anspruch genommen wurde) aufgesetzt. Der Ausbau von Ganztagsschulen wurde zwar unterstützt, die Mittel im laufenden Betrieb wurden aber kaum erhöht. Und immer noch ist Bildung in Deutschland enorm stark von der Herkunft der Eltern abhängig: Weniger als 20 Prozent der Schulabgänger mit Eltern ohne Abitur schaffen es an die Universität.
Doch besonders gut zeigt sich die Krise in der Bildungspolitik derzeit bei der Energiepauschale für Studierende. Angekündigt hatte Stark-Watzinger sie im vergangenen September. Die Idee: 200 Euro sollten Studenten und Fachschüler vom Staat erhalten, um die Folgen der hohen Energiepreise abfedern zu können. Immerhin etwa 40 Prozent der Studenten sind armutsgefährdet, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Im September 2022, wie geschrieben, wurde der Entwurf vorgestellt.
Und seit wann ist die Website für die Beantragung der Leistung freigeschaltet? Seit gestern: Mittwoch, 15. März 2023. Sieben Monate nach der Ankündigung.
Rund 3,5 Millionen Menschen haben Anspruch auf die 200 Euro, niemand hat bisher etwas bekommen. Wobei: Einige tausend von ihnen haben an einem Testprogramm teilgenommen, da wurde das Geld teilweise schon ausgezahlt. Doch das ist der einzige Mini-Erfolg, den Stark-Watzinger in Sachen Energiepauschale bislang verbuchen kann. "Dem Staat sind die Bedürfnisse der Studierenden egal", schreibt mein Kollege Tom Hoops in seinem Kommentar dazu. Zumindest bei der Energiepauschale muss man sagen: Stark-Watzinger hat die Studenten brutal im Stich gelassen.
Damit in Zukunft alles besser wird, fand am Dienstag und Mittwoch ein "Bildungsgipfel" des Ministeriums statt. Geladen hatte Stark-Watzinger und zuvor noch vollmundig angekündigt, damit würde sie eine "neue Form und Kultur der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten" etablieren. Sie wolle ein "Team Bildung" ins Leben rufen und bat deshalb auch ihre 16 Länderkollegen aus den Kultusministerien dazu.
Doch die meisten winkten ab, nur zwei von ihnen sind erschienen: Astrid-Sabine Busse aus Berlin und Ties Rabe aus Hamburg. Die Mehrzahl der restlichen Landesminister ließen Stark-Watzinger auflaufen. Sie warfen ihr mangelnde Vorbereitung des Gipfels vor. Der hessische CDU-Kultusminister Alexander Lotz sagte dem Branchendienst "Table Media": "Weder der Termin noch Format und Inhalte waren mit uns abgesprochen." Im Deutschlandfunk hatte Stark-Watzinger noch beschwichtigend erklärt, das alles sei ja erst der Start eines Weges, nicht sein Ende.
Aktuell führt dieser Weg ins Ungewisse. Das ist zu wenig. Ausgerechnet Ties Rabe, der Hamburger SPD-Mann, sagte: "Die Länder allein ohne den Impuls des Bundes werden das Verteilungsproblem nicht lösen." Dabei ging es um das Startchancen-Programm des Bundes, das 2024 beginnen könnte und benachteiligte Schüler unterstützen soll.
Noch deutlicher kann man es kaum sagen: Die Länder bitten die Ministerin um mehr Führung. Auf ihrem eigenen Gipfel.
Natürlich: Die Bildungspolitik in Deutschland ist Ländersache. Und die einzelnen Landesfürsten lassen sich nur sehr ungern aus Berlin vorschreiben, welche Pflichtlektüre in den Deutsch-Leistungskursen gelesen, welche Matheaufgabe ohne Taschenrechner bewältigt werden muss. Doch den Finanzierungsrahmen, den könnte Stark-Watzinger setzen. Geld unkomplizierter zur Verfügung stellen. Den Lehrermangel mit einheitlichen Anreizen bekämpfen. Tragfähige Konzepte für die Chancengleichheit vorlegen.
Im Bildungsressort könnte das funktionieren. Es könnte wirklich ein Aufbruch sein. Ein Signal an das Land: Seht her, hier funktioniert die Digitalisierung. Stattdessen dümpelt die Bildungspolitik vor sich hin. Zersplittert im Föderalismus – ohne die nötige Koordination aus dem Bund.
Nach dem Gipfel erklärte Stark-Watzinger, dass eine "Taskforce" aus Bund, Ländern, Kommunen und Wissenschaft die Arbeit aufnehmen solle. Was jetzt aber besser wird, das sagte sie nicht. So bleibt ihr Gipfel nur eines: eine verpasste Chance.
Was steht an?
Der Begriff wurde erst in der Corona-Pandemie so richtig populär, mittlerweile ist das Gremium bekannt: Am Nachmittag findet eine Ministerpräsidentenkonferenz statt. Dieses Mal geht es aber nicht um Beratungen zu einem Virus, sondern um die Verteilung von Geflüchteten auf die unterschiedlichen Bundesländer – und deren Unterbringung. Weitere Themen sind die Energiepolitik sowie Engpässe bei der Arzneimittelversorgung. Am Nachmittag werden dann die Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) und Hendrik Wüst (CDU) vor die Presse treten und verkünden, worauf sich die Landesfürsten geeinigt haben.
Bundeskanzler Olaf Scholz trifft heute den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Berlin. Es soll bei den Gesprächen um die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Israel gehen. Auch sicherheitspolitische Fragen könnten diskutiert werden. Netanjahu steht in seinem Heimatland unter Druck: Seit Tagen gibt es in Israel Großdemonstrationen gegen eine geplante Justizreform.
Seit vielen Wochen wird in unserem Nachbarland demonstriert: Die Franzosen sind erzürnt darüber, dass Präsident Macron das Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben will. Heute könnte das Parlament über die Rentenreform entscheiden – gegen die etwa zwei Drittel der Franzosen sind. Die Wut auf den Präsidenten dürfte wachsen. Warum es im Land so brodelt, hat meine Kollegin Lisa Becke hier bereits erklärt.
Was lesen?
Die Vorwürfe von Wladimir Putin an den Westen sind hart: Russland sei eingekreist und schwach gehalten worden. Doch das stimmt nicht, sagt der Historiker Gerd Koenen im Gespräch mit meinen Kollegen Florian Harms und Marc von Lüpke. Hier finden Sie den Text dazu.
Der Mord an der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg (NRW) erschüttert viele Menschen: Die mutmaßlichen Täterinnen waren im gleichen Alter. Meine Kollegin Camille Haldner hat mit einer Kinderpsychiaterin ein sehr aufschlussreiches Interview über die Hintergründe der Tat geführt. Den Text finden Sie hier.
Nach der Kollision einer US-Drohne mit einem russischen Kampfjet weisen sich die Supermächte gegenseitig die Schuld zu. Der Militärexperte Ralph Thiele äußert im Gespräch mit meinem Kollegen Hannes Molnár einen Verdacht: War das alles ein perfider Plan Russlands? Die möglichen Hintergründe des Vorfalls sehen Sie im Video.
Das Historische Bild
Der Vietnamkrieg schadete dem Ansehen der USA weltweit – auch weil US-Soldaten 1968 ein Kriegsverbrechen begingen. Hier lesen Sie mehr.
Was amüsiert mich?
Manche finden ihren ganz eigenen Weg, mit der künstlichen Intelligenz umzugehen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen, sonnigen Donnerstag. Morgen schreibt an dieser Stelle mein Kollege Steven Sowa für Sie.
Herzliche Grüße
Ihr
Ihr Tim Kummert
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @TKummert
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Mit Material von dpa.
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