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Die Explosion im deutschen Fußball


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Tagesanbruch
Die Explosion

  • David Digili
MeinungVon David Digili

Aktualisiert am 08.03.2023Lesedauer: 7 Min.
Rekordspiel: Die Bundesligapartie zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Bayern am 16. September 2022 lockte 23.200 Zuschauer ins Stadion.Vergrößern des Bildes
Rekordspiel: Die Bundesligapartie zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Bayern am 16. September 2022 lockte 23.200 Zuschauer ins Stadion. (Quelle: Peter Hartenfelser/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

und? Was ist Ihre heimliche Leidenschaft? Der geschätzte Kollege Bebermeier schrieb in seinem Tagesanbruch gestern von "Fetischen" der FDP – so weit möchte ich bei uns im Sportressort nicht gehen, aber: Jeder von uns hat mindestens eine etwas obskure Vorliebe, die Grenzen zwischen Besessenheit und Wahn verlaufen da fließend. Ein lieber Kollege beispielsweise schwärmt so überbordend von der sportlichen Klasse der Tennis-Weltranglistenersten Iga Świątek, dass man fast gar nicht anders kann, als der eigentlich entwaffnend sympathischen Polin möglichst viele Niederlagen zu wünschen. Denn dann würde er nicht mehr unaufhörlich auf ihr nächstes Match hinweisen.

Ein anderer Kollege erinnert uns bei jeder Gelegenheit derart eindringlich an die sportlichen Verdienste seines Radsport-Helden Täve Schur, dass sich der große Fußballer Pelé selbst dann strecken müsste, hätte er zu seinen drei Weltmeistertiteln noch die Relativitätstheorie entwickelt, die 9. Sinfonie komponiert und als erster Mensch den Mond bereist.

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Und ich stelle gern bei jedem Sachverhalt einen auch mal äußerst weit hergeholten Bezug zum Wrestling her. Jene Sportart, die gern poetisch umschrieben wird als "Seifenoper im Ring". Wrestling sind Showkämpfe zwischen besonders in früheren Zeiten grotesk überzeichneten Charakteren, aus denen sich auch Hollywoodkarrieren wie die von Filmstar Dwayne Johnson entwickeln können. Johnson war um die Jahrtausendwende als "The Rock" einer der größten Stars des branchengrößten Wrestling-Veranstalters "World Wrestling Entertainment" (WWE).

Warum ich Ihnen all das um diese Jahreszeit und um diese Tageszeit und dann auch noch ausgerechnet am Weltfrauentag erzähle?

Der Deutsche Fußball-Bund meldete dieser Tage freudig, er rechne beim DFB-Pokalfinale der Frauen mit einem neuen Rekord. "Wir wollen auf jeden Fall 30.000 plus x Zuschauer erreichen", erklärte Verbandspräsident Bernd Neuendorf für die Partie im Kölner Rheinenergiestadion. "Das streben wir an. Ich glaube, die Chancen stehen nicht schlecht." Es wäre tatsächlich eine neue Bestmarke für das Endspiel der Fußballerinnen. Das wohlgemerkt am 18. Mai stattfindet, Christi Himmelfahrt (oder für die weniger Bibelfesten: Vatertag), um 16.45 Uhr. Angesichts dieser Platzierung umso bemerkenswerter.

Da drängt sich die Frage auf: Sollten DFB und Fernsehanstalten das Pokalfinale der Frauen nicht besser wirklich als das präsentieren, was es ist? Ein echtes Highlight der Saison, das auch gesteigerte Aufmerksamkeit verdient: Es sollte – und das gerade wegen aller Zuschauerrekorde – zur Primetime laufen. 20.30 Uhr. Im Ersten.

Genau hier scheint zumindest Wrestling, dieser traditionell von muskelbepackten Männern im Ring und allerlei Stereotypen und Klischees dominierte Showsport, weiter zu sein. Es ist zwar erst wenige Jahre her, dass der damalige Talentsucher der WWE die kommenden weiblichen Stars dem Vernehmen nach vorzugsweise aus Unterwäsche- und Bademodenkatalogen rekrutierte. Die Auserwählten – auch mangels sportlicher Ausbildung – waren dementsprechend meist eher optisch attraktives Beiwerk für die damals noch überwiegend männliche, spätpubertierende Zuschauerschaft. Sexismus pur also.

Mittlerweile aber hat sich das drastisch geändert: Die aktuellen weiblichen WWE-Stars kommen aus der Leichtathletik, dem Kampf- oder Kraftsport, werden als selbstbewusst und stark porträtiert. Sie nehmen es auch mal mit den Kerlen auf – und: Ihre Matches, früher höchstens Lückenfüller, gehören zu den Höhepunkten der Shows, von Experten oft sogar als hochklassiger als die Duelle der Männer bewertet. Dabei standen Frauen 2019 zum ersten Mal überhaupt im Hauptmatch von "Wrestlemania", dem alljährlich größten Event der Wrestlingwelt.

Warum sollte es also ausgerechnet in der populärsten Sportart der Welt nicht möglich sein, dem Endspiel im DFB-Pokal der Frauen einen ähnlich prominenten Platz einzuräumen? Zumal der übertragende öffentlich-rechtliche Sender – der in vergangenen Jahren auch schon mal direkt nach Spielende wegschaltete und damit für Ärger sorgte – gar nicht auf die Einschaltquoten schauen müsste? Ohnehin: Schon der Schritt weg vom Endspielort Berlin wurde von vielen als eine Benachteiligung verstanden. Seit 2010 ist Köln ständiger Gastgeber.

Damals gab es auch Kritik an der Entscheidung, das Finale der Frauen nicht mehr unmittelbar vor dem der Männer im gleichen Stadion auszutragen – wie zwischen 1981 und 2009. "Ich finde es sehr schade", sagte Kathrin Nicklas, die dem DFB-Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball angehörte, damals dem "Tagesspiegel". Sie befürchtete: "In Berlin haben viele das Finale gesehen, die noch nie Frauenfußball gesehen haben. An einem anderen Ort bleiben vielleicht die Fans des Frauenfußballs unter sich."

Immerhin: Die Befürchtung einer Selbstisolierung hat sich nicht bestätigt – im Gegenteil.

2023, passend zum WM-Jahr, erlebt der deutsche Frauenfußball ein Hoch: Die Sportmarketingagentur "Two Circles" hat unlängst in einer Studie ermittelt: Die Frauen-Bundesliga hat bereits nach sieben Spieltagen der aktuellen Saison mehr Zuschauerinnen und Zuschauer als in der gesamten letzten Spielzeit. So viele Fans wie nie zuvor kommen in die Stadien: Im Schnitt 3.057 sind es in der Hinrunde pro Partie gewesen, 2021/22 waren es noch übersichtliche 846 – eine Steigerung von 261 Prozent.

Diese explosionsartige Entwicklung sei auch mit den neuen "Highlight-Spielen" erklärbar: Wichtige Partien, die aufgrund größeren Interesses in größeren Stadien stattfinden und auch stärker beworben werden. Sechs solcher "Highlight-Spiele" gab es in der laufenden Saison bisher, mit einem Zuschauerschnitt von 14.927. Rekordhalter: die Partie Eintracht Frankfurt gegen Bayern München (0:0) vom 1. Spieltag, die sogar 23.200 Besucherinnen und Besucher im Stadion sehen wollten. Das Interesse ist da.

Auch hier sind finsterere Zeiten noch nicht allzu lange her: 2007 hatte ich das im Nachhinein zweifelhafte Vergnügen, an einer Veranstaltung teilzunehmen, bei der das Logo der deutschen Bewerbung für die Fußball-WM der Frauen 2011 präsentiert wurde. In einem Berliner Luxushotel versammelte der Deutsche Fußball-Bund alles oder zumindest sehr viel von dem, was damals noch Rang und Namen hatte im deutschen Sport: von Franz Beckenbauer über Günter Netzer bis zu Dr. Thomas Bach, damals noch Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, mittlerweile aufgestiegen zum Chef des Internationalen Olympischen Komitees. Für eine Veranstaltung zu Ehren des Frauenfußballs also sehr viele ältere Herren in Anzügen.

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Dementsprechend geriet auch der Abend. Zwischen dem damaligen DFB-Direktor Wolfgang Niersbach und Franz Beckenbauer entwickelte sich ein kurzer Disput über den Slogan der deutschen Bewerbung, immerhin ja Thema des Abends. "Es heißt: ‚See you again‘", war sich Niersbach sicher. Der Kaiser bockte – kaum hörbar – zurück: "Ach, is eh wurscht!" Niersbach daraufhin empört: "Das kann Dir doch nicht wurscht sein, Franz!"

Der langjährige DFB-Offizielle Niersbach war an jenem Tag besonders gut in Form und trat nicht nur fröhlich in jedes Fettnäpfchen, das ihm in den Weg kam, er stellte sie zuvor auch noch selbst auf diesen Weg. Mal geriet der Berufsfunktionär bei der damaligen Vizepräsidentin seines Arbeitgebers ins Grübeln und meinte: "Hannelore Ratzeburg war eine weibliche Fußball-Vorkämpferin – das weibliche Wort für Pionier fällt mir gerade nicht ein." Dann wieder brüskierte er die damalige Bundestrainerin Silvia Neid und fragte unbedarft: "Silvia, du warst ja schon 1982 dabei – wie geht das?" Neid parierte immerhin souverän: "Danke Wolfgang, das ist ja ein toller Anfang für das Gespräch."

Zum Abschluss der Veranstaltung fiel ein Pulk Reporter über den "Kaiser" und die anderen Gäste mit Fußball-Expertise her – um ausschließlich Fragen zur Situation beim FC Bayern zu stellen. Zur Situation bei den Männern des FC Bayern, wohlgemerkt.

16 Jahre später haben sich die Verhältnisse im Fußball, glücklicherweise, maßgeblich verändert. Dem FC Bayern steht Mitte April übrigens ein Highlight bevor, das schon im Vorfeld die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient: Topspiel gegen den VfL Wolfsburg. Im DFB-Pokal-Halbfinale der Frauen.


Was steht an?

Für den FC Bayern geht es schon jetzt um die Saison. Der deutsche Rekordmeister empfängt im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League das französische Starensemble von Paris Saint-Germain. Nach immer wieder mal wackligen Auftritten wäre ein Weiterkommen gegen PSG ein Teilerfolg für Trainer Julian Nagelsmann. Die Partie können Sie ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online verfolgen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock besucht den Irak – eine schwierige Mission. Mein Kollege Patrick Diekmann begleitet die Ministerin und wird Sie aus dem zerrissenen Land mit den wichtigsten Einblicken versorgen.

Endlich Aufklärung? Ermittler wollen herausgefunden haben, wer das Boot steuerte, mit dessen Hilfe die Nord-Stream-Pipelines zerstört wurden. Die Spuren führen in die Ukraine. Meine Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion werden die Lage aufmerksam verfolgen und Ihnen die wichtigsten Erkenntnisse erklären.


Historisches Bild des Tages

Unzählige Amerikaner kämpften im Vietnamkrieg, ein Konflikt, der den USA mehr und mehr entglitt. Hier lesen Sie, wie die Misere begann.


Was lesen?

Zum Frauentag erhebt die Linke eine umstrittene Forderung: Frauen, die unter starken Regelschmerzen leiden, sollen in Zukunft zu Hause bleiben dürfen. Ohne ärztliches Attest. Mehr dazu lesen Sie hier.

Der Streamingsender DAZN startet den ersten Kanal, der sich 24 Stunden am Tag nur dem Frauensport widmet. "DAZN Rise", so der Name des Senders, startet am 16. März – und wird bald auch die Frauen-Bundesliga zeigen. Alle weiteren Infos lesen Sie hier.

Die ehemalige "Tagesschau"-Sprecherin Linda Zervakis hat viel mehr Geld vom Kanzleramt erhalten, als bislang bekannt war. Wie viel tatsächlich, das war gestern zuerst bei t-online zu lesen.

Zervakis ist nur eine von 200 Journalisten, die in den letzten Jahren Aufträge der Bundesregierung erhielten – also von ihr bezahlt wurden. Insgesamt 1,5 Millionen Euro flossen vom Staat an Vertreter der vierten Gewalt. Die Höhe der Zahlungen legt in vielen Fällen Interessenkonflikte nahe.

Wenn es nach der EU geht, sollen Senioren über 70 bald regelmäßig unter Beweis stellen, dass sie noch sicher Auto fahren können. Mein Kollege Christopher Clausen erklärt, wie solche Checks aussehen können und ob Rentner wirklich die schlechteren Autofahrer sind.


Was amüsiert mich?

Ich wünsche Ihnen einen schönen Mittwoch. Morgen schreibt meine Kollegin Annika Leister den Tagesanbruch für Sie.

Herzliche Grüße,

Ihr

David Digili
Redakteur Sport
Twitter @herrdigili

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Mit Material von dpa.

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