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Ukraine-Krieg: Kampf um den Kreml – ein Bericht aus der Hölle


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Tagesanbruch
Kampf um den Kreml

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 13.01.2023Lesedauer: 6 Min.
Generaloberst Oleksandr Syrskyi, Befehlshaber der ukrainischen Armee, in einem Unterstand in Soledar.Vergrößern des Bildes
Generaloberst Oleksandr Syrskyi, Befehlshaber der ukrainischen Armee, in einem Unterstand in Soledar. (Quelle: Roman Chop/AP/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

kleine Orte verbinden sich manchmal mit großen Ereignissen, vor allem im Krieg. Das französische Hafenstädtchen Dünkirchen ging in die Geschichtsbücher ein, als die Briten dort zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 340.000 eingekesselte Soldaten vor den Deutschen retteten: Das "Wunder von Dünkirchen" wurde zum Symbol für Einfallsreichtum und Durchhaltewillen. Auf der anderen Seite der Weltkugel war es fünf Jahre später das Inselchen Iwojima, auf dem sich Japaner und Amerikaner ihre erbittertste Schlacht lieferten. Nach fünf Wochen waren fast alle 21.000 Verteidiger und beinah 7.000 US-Marines tot. Auch dieser Punkt auf der Landkarte wurde zum Symbol – diesmal für die Bereitschaft des japanischen Militärs, buchstäblich bis zum letzten Mann zu kämpfen. Ob das Gemetzel irgendeinen militärischen Nutzen hatte, ist bis heute umstritten.

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Ach, könnten wir es doch bei diesem düsteren Ausflug in die Geschichte belassen, um uns rasch wieder der erfreulicheren Gegenwart zuzuwenden. Aber die kleinen Orte lassen uns nicht los. Bachmut ist so einer: früher eine Industriestadt mit 70.000 Einwohnern, ein Zentrum der Salzproduktion, das in den Minen der nahe gelegenen Ortschaft Soledar abgebaut wurde. Jetzt wohnt dort kaum noch jemand, entvölkert ist die Gegend aber ganz und gar nicht. Zehntausende ukrainische und russische Soldaten liefern sich dort brutale Gefechte Mann gegen Mann. Sie kämpfen auf den Leichen ihrer Kameraden, ihrer Feinde.

Vom "Fleischwolf Bachmut" sprechen Beobachter. Denn seit fast einem halben Jahr versuchen russische Truppen und die Söldner der berüchtigten Privatarmee Wagner mit aller Kraft, die Kleinstadt einzunehmen. Nebenan, in Soledar, ist die Lage in Bewegung geraten: Zur Stunde ist der Ort fast vollständig unter russischer Kontrolle oder sogar komplett eingenommen oder aber doch noch nicht – die Meldungen überschlagen und widersprechen sich, verifizierbar ist nichts. Es besteht die Gefahr, dass danach auch Bachmut in russische Hände fällt. Trotz unklarer Lage sind sich Ukrainer und Russen über eines einig: Bachmut, die "Hölle auf Erden", ist zum Symbol geworden. Fragt sich nur, für was.

Ein Blick auf die Landkarte gibt Anhaltspunkte: Bachmut ist ein Verkehrsknotenpunkt im Donbass. Fährt man von dort nach Nordwesten, gelangt man nach Slowjansk und Kramatorsk – also ins Herz des Landesteils, der sich noch unter der Kontrolle der Ukraine befindet. Dorthin muss Putin seine Panzer schicken, um den südlichen Donbass zu beherrschen und wenigstens einen Teil seiner "Spezialoperation" als Erfolg verbuchen zu können. Ohne Bachmut einzunehmen, wird nichts aus diesem Plan.

Aha, ein strategisch wichtiger Ort also – könnte man meinen. Doch die strategische Bedeutung ist kräftig geschrumpft. Bis zum vergangenen September noch hätten die Russen einen Vorstoß von dort mit einem weiteren von Norden, aus Richtung Isjum, zu einer Zangenbewegung kombinieren können. Das ist vorbei, seit die Ukrainer die Region im Norden zurückerobert haben. Die notwendige zweite Achse für die Offensive fehlt seitdem.

Erheblichen Stellenwert hat Bachmut allerdings in einem anderen Kampf: dem um Einfluss im Kreml. Zur Linken im Ring: Jewgeni Prigoschin, ein Ex-Schwerverbrecher, auch bekannt als "Putins Koch". Ihm gehört die Wagner-Truppe, mit der er für seinen Chef die besonders schmutzige Arbeit erledigt. Mit seinen Söldnern möchte er den russischen Sieg in der Ukraine und noch viel dringender seinen politischen Einfluss beflügeln. Prigoschin ist ein Outsider und in der politischen Elite wenig vernetzt – einer, der für Putin nützlich ist und doch beherrschbar bleibt.

Gegen ihn treten an: die Gegenspieler im Verteidigungsministerium, mit Minister Sergej Schoigu an der Spitze und an dessen Seite Generalstabschef Waleri Gerassimow. Putin spielt die beiden Fraktionen routiniert gegeneinander aus, so funktioniert sein Mafiasystem.

Prigoschin vermarktet sich in diesem Spiel als maskuliner Macher. Außer ihm, posaunt er regelmäßig in russischen Medien, sei keiner in der Lage, eine Offensivoperation erfolgreich durchzuziehen, schon gar nicht die Deppen aus dem Verteidigungsministerium. Soledar hat er kurzerhand für eingenommen erklärt: Schaut her, Wagner hat das alles ganz allein erobert!

Das Ministerium keift zurück: Alles Quatsch, da seien doch die Luftlandetruppen und die Luftwaffe und dies und jenes auch beteiligt! Doch der Sturm auf Bachmut ist Prigoschins Prestigeprojekt, dort sollen seine Wagner-Jungs zeigen, was sie können (und die Armee nicht). Nur zeigen sie das jetzt schon seit einem halben Jahr – und beißen sich immer noch die Zähne aus. Unverrichteter Dinge abzuziehen, ist für Prigoschin schlichtweg nicht drin. Unsinnige Strategie, irrwitzige Verluste, alles egal. Deshalb gibt es den "Fleischwolf Bachmut".

War es ein Fehler der ukrainischen Militärs, sich darauf einzulassen und ihrerseits immer mehr gut ausgebildete Einheiten ins Gefecht und damit viele in den sicheren Tod zu schicken? Darüber wird man später wohl noch lange debattieren. Für Präsident Selenskyj ist Bachmut ebenfalls zum Symbol geworden, nämlich dem des heroischen Widerstands. Doch der Preis ist hoch. Mittlerweile behauptet Angreifer Prigoschin sogar, das sei ohnehin die ganze Zeit sein Plan gewesen: dass die Ukraine in die Falle tappt und in Bachmut ihre besten Soldaten opfert. Natürlich ist das eine Ausrede, um das Versagen seiner Söldner zu kaschieren. Doch ganz von der Hand zu weisen ist der Gedanke nicht.

Bachmut ist ein schrecklicher, aber auch ein seltsamer Ort. Sieg und Niederlage sind dort nicht, was sie scheinen. Falls Bachmut fällt, wird das Russland nicht stärken, sondern den Machtkampf im Kreml verschärfen. Zugleich dürfte eine bittere Niederlage der Ukraine den Druck auf den Westen erhöhen, schnell mit noch mehr Waffen zu helfen, auch Kampfpanzern. Diese Entscheidung hätte für den Verlauf des Krieges eine völlig andere Tragweite als eine Verschiebung der Front im Donbass. Die Weichen für den Krieg werden eben doch nicht in Ortschaften wie Soledar oder Bachmut gestellt. Sondern in Kiew, Washington, Paris, London. Und in Berlin.

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Lambrechts letztes Gefecht?

Christine Lambrecht ist Ministerin auf Abruf. Schon vor einem Jahr hatte sich die Selbstverteidigungsministerin so viele Patzer geleistet, dass meine Kollegin Miriam Hollstein ihr den Beinamen "Frau Fettnapf" verlieh. Seither sind weitere Aussetzer hinzugekommen, über ihr verunglücktes Neujahrsvideo schüttelte die halbe Republik den Kopf. Zuvor musste die SPD-Ressortchefin einräumen, dass bei einer Schießübung 18 von 18 eingesetzten Puma-Schützenpanzern ausgefallen waren – ausgerechnet jenes Modell, das für die Schnelle Eingreiftruppe der Nato vorgesehen war. Daraufhin befahl Frau Lambrecht eilig, dass die Bundeswehr mit dem älteren Marder an die Nato-Ostgrenze rollen soll, und legte die geplanten Puma-Nachkäufe auf Eis.

Mittlerweile sind zwar offenbar die meisten Schäden an den Pannenpanzern repariert. Irgendwie läuft aber trotzdem immer noch nicht alles rund. Deshalb hat die strauchelnde Ministerin heute die Bosse der Rüstungskonzerne Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann zum Krisengespräch einbestellt.

Der Gipfel in der Berliner Stauffenbergstraße könnte kaum heikler sein: Die Ministerin wird die "mangelnde Systemstabilität" der Pumas thematisieren, die Bestellung von 111 weiteren Panzern an technische Verbesserungen knüpfen und vor allem um ihre politische Karriere kämpfen. Dagegen werden die Hersteller wie üblich jede Verantwortung von sich weisen und verlangen, dass die bereits bewilligten Aufträge eingehalten werden. Falls es keine schnelle Einigung gibt, könnte der Geduldsfaden des notorisch entspannten Kanzlers reißen. Und ruckzuck die bisherige Wehrbeauftragte Eva Högl auf dem Ministersessel landen.


Hoch im Norden

Von wegen Ende der Welt: Das nordschwedische Städtchen Kiruna steht gleich zweifach im Blickpunkt. Gestern meldete das staatliche Bergbauunternehmen den Fund des bisher größten europäischen Vorkommens Seltener Erden – rund eine Million Tonnen Metalle, die für viele Hightech-Produktionen unerlässlich sind und in Elektroautos, Windkraftanlagen, Smartphones und Laptops verbaut werden. Eine gute Nachricht im Hinblick auf die europäischen Bestrebungen, unabhängiger von China zu werden, selbst wenn es noch Jahre dauert, bis der Abbau beginnen kann.

Außerdem wird heute am Polarkreis ein neuer Weltraumbahnhof eröffnet. Vom "Spaceport Esrange" aus, der den europäischen Stützpunkt in Französisch-Guayana ergänzen soll, werden künftig Satelliten ins All geschossen. Zur Eröffnung fliegt die gesamte EU-Kommission mit Präsidentin Ursula von der Leyen ein. Es geht auch darum, den Schweden zu Beginn ihrer EU-Ratspräsidentschaft den Rücken im Nato-Streit mit der Türkei zu stärken.


Schreckgespenst Katar

Seit Mittwoch läuft die Handball-WM in Schweden und Polen, heute steigt das deutsche Team ins Turnier ein: Im ersten Vorrundenspiel trifft die DHB-Auswahl in Kattowitz auf Asienmeister Katar (ab 18 Uhr live im ZDF). Also auf einen Gegner, an den wir nicht die besten Erinnerungen haben. Dank des eingebürgerten Kubaners Rafael Capote hauten die Katarer sowohl im WM-Viertelfinale 2015 als auch im WM-Achtelfinale 2017 die Deutschen in die Pfanne. Und der Mann spielt immer noch mit! Bundestrainer Alfred Gislason verlangt trotzdem den Gruppensieg.


Was lesen, hören, sehen?

Keiner konnte die E-Gitarre zupfen wie der unvergleichliche Jeff Beck. Nun klampft er leider eine Etage höher. Aber seine Töne bleiben.

Und eine weitere Todesmeldung aus der Nacht erschüttert die Musikwelt: Das einzige Kind von Rock'n'Roll-Legende Elvis Presley ist tot. Tochter Lisa Marie Presley ist mit 54 Jahren in Kalifornien gestorben.



Kommende Woche wird in Ramstein über weitere Waffen für die Ukraine verhandelt. Welches Land was beisteuern könnte, zeigen die Kollegen von tagesschau.de.


Was amüsiert mich?

Ich gestehe: Ich bin ein Dschungelfreund. Aber nur vor der Mattscheibe. Und nur wenn darauf abgehalfterte C-Promis herumhühnern. Heute geht's endlich wieder los!

Ich wünsche Ihnen einen unterhaltsamen – und unfallfreien – Freitag, den 13.

Herzliche Grüße

Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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