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Wie man eine Lüge entlarvt: Ein Kommissar verrät seine Tricks


Wie man einen Lügner entlarvt
Ein Kommissar verrät seine Tricks

Von t-online
20.11.2013Lesedauer: 7 Min.
Verhöre bei der Polizei ziehen sich häufig über viele StundenVergrößern des Bildes
Verhöre bei der Polizei ziehen sich häufig über viele Stunden (Quelle: Symbolbild imago/Caro)

Dieter Bindig arbeitet als menschlicher Lügendetektor: 30 Jahre Erfahrung, eine Spezialausbildung bei der Polizei und viel Fingerspitzengefühl haben den Kriminalhauptkommissar zu einem Verhörspezialisten seiner Dienststelle im bayerischen Fürstenfeldbruck gemacht. t-online.de hat mit ihm gesprochen: Heraus kam eine Anleitung vom Profi in Sachen Menschenkenntnis und ein spannender Einblick in die Verhörstrategien der Polizei.

Das Interview führte Ruth Friedrich

Verhörprofi, das klingt für den Laien erst mal sehr spannend. Was muss man sich darunter vorstellen? Wie wird man das?

Bei mir entschied sich das bereits in meiner frühen Dienstzeit. Ich fing damals beim Bundesgrenzschutz an und bin dann erst zur Polizei gewechselt. Ich habe also nicht die Grundausbildung der Polizei, in der auch Vernehmungstechniken gelehrt werden, absolviert. Ich wurde mehr oder weniger ins kalte Wasser geworfen und bin dadurch bei meinen ersten Vernehmungen ziemlich auf den Bauch gefallen. Das hat mich angetrieben, mich fortzubilden. Ich habe die Techniken älterer Kollegen beobachtet, alte Fälle studiert, mich fortgebildet und natürlich viel gelesen.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit konkret von dem, was wir aus Krimis kennen? Gibt es das "Good Cop, Bad Cop"-Spielchen wirklich und spielen Sie Zeugen manchmal gegeneinander aus?

Wir müssen immer im Rahmen des Rechtlichen bleiben. Einem Zeugen oder mutmaßlichen Täter falsche Informationen geben, um ihm ein Geständnis zu entlocken, dürfen wir zum Beispiel natürlich nicht. Da bietet uns das Gesetz Einhalt. Die eigentliche "heiße Phase" einer Vernehmung, die man aus Krimis so kennt, ist auch nur ein sehr kleiner Teil der gesamten Befragung. Da müssen wir ein Gesamtbild der Person zeichnen, Alter, Beruf, Familiensituation abfragen. Das kann bei einem Kapitaldelikt schon mal fünf oder sechs Stunden dauern. Das, was Sie im Krimi in zwei Minuten sehen, würde in der Realität wahrscheinlich einen halben Tag dauern.

Nach 30 Jahren bei der Polizei hat man ja sicher Einiges gesehen. Was war der spannendste Fall, der in dieser Zeit über Ihren Tisch gegangen ist?

Man stellt sich immer vor, dass der Mord der spannendste Fall bei der Polizei ist, aber in der Realität ist es in den allermeisten Fällen so, dass wir den Täter bereits in den ersten Stunden nach der Tat fassen können. Oft steht er direkt neben der Leiche, sodass es für uns Kommissare nur noch darum geht, den Fall für den Staatsanwalt ordentlich aufzubereiten. Anders als im Krimialltag haben wir also zum Glück nur sehr wenige Fälle, wo wir den Mörder über Jahre suchen müssen.

Ein kleines Beispiel, wo es zuletzt spannend bei uns in Fürstenfeldbruck wurde: Wir hatten ein Tötungsdelikt, wo eine Verkäuferin an ihrem 60. Geburtstag von ihrem Lebensgefährten umgebracht wurde. Der Täter war flüchtig und natürlich war die Suche - wenn man immer wieder hinter ihm her hetzt, immer mehr Anhaltspunkte findet, immer näher rankommt - sehr interessant. Da steckt man tief im Fall drin und dann ist natürlich um 16.15 Uhr nicht Dienstschluss. Am Ende hat er sich selbst gestellt, aber wir waren verdammt nah dran. Kurze Zeit später hätten wir ihn gehabt.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie merken, ein Zeuge windet sich so geschickt in seinem Lügennetz, dass Sie ihn einfach nicht knacken können. Frustriert das? Nimmt man das mit in den Feierabend?

Wenn ich merke, dass jemand lügt, stachelt mich das eher an, ihn doch noch zu überführen, als dass es mich frustriert. Da gibt man nicht so schnell auf, überlegt, warum der Zeuge lügen könnte. Oft kommen wir dann auch zu einem Ergebnis.

Das Thema Abschalten nach Dienstschluss ist natürlich immer da. Gerade wenn intensive Fälle aktiv laufen, dann lebt man im Fall. Dann hat man eine emotionale Bindung dazu und das Private muss auch einfach mal zurückstecken. Das sind aber Einzelfälle. Wenn die heiße Phase vorbei ist, muss man das Dienstliche und das Private trennen. Das gelingt bei mir normalerweise recht gut.

Bleiben wir im Privaten: Sind Sie auch im Alltag ein Lügendetektor? Oder kann man Ihnen etwas vormachen?

Man kann mir sehr wohl etwas vormachen. Man muss sich darüber bewusst sein, dass Lügen zum menschlichen Umgang gehören. Wir lügen täglich bis zu 200 Mal, das fängt beim "Guten Morgen" an - keine Ahnung, ob der wirklich gut ist. Oder die Frage "Wie geht es dir?" - fast keiner will die echte Antwort darauf hören.

Akribisch darauf zu achten, was Wahrheit und was Lüge ist, ist das Gegenteil von dem, was wir in unserem täglichen Leben machen. Das ist anstrengend, das kann man in einem Verhör machen, aber nicht den ganzen Tag. Man kann mir also sehr wohl etwas vormachen. Aber: Natürlich fallen mir die ein oder anderen Gestiken und Mimiken auf, die mir jemand entgegenbringt.

Woran kann ich denn konkret eine Lüge erkennen?

Es ist ein Irrglaube, dass man die Lüge selbst erkennen kann. Das Klischee vom Nasekribbeln, Ohrläppchen anfassen oder nervös auf dem Stuhl herumrutschen ist noch kein Indikator für eine Lüge. Das sind reine Stresssymptome. Allerdings treten Stresssymptome natürlich dann auf, wenn wir lügen. Und hier entsteht der Zusammenhang. Lügen ist eine geistige Höchstleistung. Der Lügner muss sich eine Geschichte ausdenken, muss sich diese genau merken. Vielleicht stelle ich ihm in einer Woche die gleichen Fragen, dann sollte er die gleichen Antworten geben.

Der Lügner hat also heftigen Stress. Und den kann ich sehen. Aber: Auch eine Person, die mir gegenübersitzt und gerade einen wichtigen Termin verpasst, von dem ich nichts weiß, hat Stress. Die reagiert genau so wie der Lügner. Die Gründe für den Stress herauszufinden, ist also Ziel der Vernehmung. Und das geht nur, wenn ich die Person im Kontext betrachte.

Geprüft wird sozusagen das körperliche Verhalten im Zusammenhang mit der Aussage. Wenn jemand eine langweilige Geschichte erzählt und dabei Stress bekommt, werde ich hellhörig. Umgekehrt, wenn jemand eigentlich aufregende Zusammenhänge sehr leblos schildert, muss man sich ebenfalls Gedanken machen.

Kann ich als Privatperson in meinem Alltag denn auch Techniken lernen und anwenden, um Lügen besser zu erkennen?

Im Privatleben ist es sehr schwierig. In der Partnerschaft oder der Familie fast unmöglich. Kinder haben beispielsweise gelernt, mit ihren Eltern umzugehen. Sie wissen, wie sie ihre Eltern anlügen müssen, damit die nichts merken. Sie lernen aus jeder Situation mit den Eltern dazu, verbessern ihre Lügen.

Das hängt einfach damit zusammen, dass Eltern und Kinder durch das soziale Zusammenleben so eine enge Bindung haben, dass sie sich gegenseitig sozusagen "trainiert" haben. Gleiches gilt für Partnerschaften. Man könnte also sagen, Menschen die wir am besten kennen, können wir am leichtesten belügen - bloß haben wir davon nichts. Es zerstört schließlich immer das Vertrauensverhältnis.

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Der Rat, den ich jedem mitgeben kann: Bewusst auf Lügen achten. Zum Beispiel im Beruf: Jeder kennt die Situation, der Chef kommt ins Büro, hat noch kein Wort gesagt, trotzdem merkt jeder, dass die Luft brennt. Oder Zuhause: Der Mann kommt zur Tür herein, schon an der Art, wie er seine Jacke aufhängt, die Tasche abstellt, kann die Frau ablesen, wie es um seine Stimmung steht. Achten Sie auf solche nonverbalen Signale. Nehmen Sie die im Alltag bewusster wahr, so können Sie Ihre Menschenkenntnis auf Dauer verbessern.

Beobachten Sie doch einfach mal in der Straßenbahn oder in der Stadt Passanten. Ein Vergleich zu sich selbst ist ebenfalls hilfreich. Sie wissen am besten, wie Sie sich verhalten, wenn Sie lügen. Vergleichen Sie dieses Verhalten mit dem Ihrer Mitmenschen. Einfach mal im Café sitzen und Menschen im Gespräch beobachten. Üben, die Beobachtung mit dem Text zu verknüpfen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch eine Szene als junger Polizist. Damals sind einer hübschen Frau auf den Leim gegangen, die mit ihren blauen Augen über den fehlenden Führerschein hinwegtäuschen wollte. Was sind denn die typischen Situationen, in denen wir uns täuschen lassen?

Das sind vor allem die Klischees. Jeder kennt das: Auf einer Parkbank sitzt ein Punker. Ohne die Person zu kennen, machen wir einen Bogen um sie. Wir stecken sie einfach in die Schublade: unangenehm, rücksichtslos, auf Krawall gebürstet.

Entsprechend verhalten wir uns, sind selber abweisend und ernten damit genau das Verhalten, das wir erwartet haben - eben weil wir es selbst provozieren. Mein Tipp: Einfach mal die Schubladen offen lassen, ohne Vorurteile auf jemanden zugehen. Das ist nicht einfach, aber man erlebt dabei viele Überraschungen.

Ich selbst bin beispielsweise in einem meiner Verhöre einem Rocker begegnet. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er ein bekennender Buddhist war, der Gewalt kategorisch verabscheute. Mit ihm konnte man besser reden, als mit vielen Nachbarn. Er war völlig offen, ist einfach nur gerne Motorrad gefahren und hat sich entsprechend gekleidet. Hätte ich ihn angesprochen, wie man es dem Klischee entsprechend versucht ist zu tun, hätte ich wahrscheinlich genau die Antworten bekommen, die ich erwartet hätte.

Zusammengefasst: Die eigene Erwartungshaltung wird oft dadurch erfüllt, dass man sie hat. Für meine Polizeiarbeit ist es wichtig, offen zu bleiben und unvoreingenommen auf den Menschen zuzugehen. Im Umkehrschluss muss ich natürlich auch die hübsche Frau nach dem Führerschein fragen.

Wer ist Ihrer Erfahrung nach der prototypische Lügner? Männer, Frauen? Junge, Alte? Manager, Handwerker?

Das ist schwierig. Da die meisten meiner "Klienten" Männer sind, kann ich zu der Geschlechterfrage eigentlich nichts sagen. Mein Umfeld ist da nicht ausgewogen. Nehme ich private Erfahrungen dazu, würde ich sagen, die Häufigkeit bleibt gleich, allerdings lügen Frauen geschickter. Sie können Männer besser um den Finger wickeln. ich denke, dass die Motivation zu täuschen für alle gleich ist. Den Lügner-Prototypen, der besonders aussieht, sich besonders verhält, den gibt es aber sicherlich nicht.

Generell würde ich sagen, wer es gewohnt ist, Informationen zu handeln, Informationen so darzustellen, wie es gut für ihn ist, der kann wahrscheinlich auch besser lügen. Bei einem hochkarätigen Manager würde ich daher eher mal eine Lüge vermuten, als bei einem Handwerker.

Man muss immer auch berücksichtigen, dass Lügen eine gewisse Intelligenz erfordert. Jemanden, der unvorbereitet lügen muss, kann man relativ leicht durch wenige Rückfragen überführen. Jemand der gewohnt ist, Informationen seinen Zielen entsprechend darzustellen, bei dem wird es schwieriger. Der weiß, wie er sich verhalten muss.

Dieter Bindig ist seit über 30 Jahren Polizeibeamter und arbeitet als Kriminalhauptkommisar im K1 - zuständig für Brand-, Sitten-, und Tötungsdelikte. Sein Spezialgebiet sind Verhöre. Er ist speziell geschult in Vernehmungstaktiken. Bindig ist verheiratet und lebt mit seinen drei Töchtern in Fürstenfeldbruck. Sein Buch "Der Verhörspezialist" ist im Herbst 2013 im Knaur-Verlag erschienen.

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