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Warnung vor "Heißzeit": "So etwas hat die Menschheit noch nicht erlebt"


Forscher warnen vor "Heißzeit"
"Es droht eine Kettenreaktion"

  • David Ruch
InterviewVon David Ruch

07.08.2018Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Dürresommer 2018 in Deutschland: Eine Familie läuft in Düsseldorf über ausgetrocknete Teile des Flussbetts des Rheins.Vergrößern des Bildes
Dürresommer 2018 in Deutschland: Eine Familie läuft in Düsseldorf über ausgetrocknete Teile des Flussbetts des Rheins. (Quelle: Wolfgang Rattay/reuters)

Wiederkehrende Dürren und Saharahitze: Klimaforscher warnen vor einer "Heißzeit" auf der Erde. Was wären die Folgen für uns und was könnten wir tun? t-online.de hat nachgefragt.

Internationale Klimaforscher warnen vor einer dauerhaften "Heißzeit" auf der Erde mit drei bis vier Grad höheren Temperaturen als heute und einem Meeresspiegelanstieg um 10 bis 60 Meter. t-online.de fragte den Geografen und Klimawandelforscher Jürgen Scheffran von der Uni Hamburg, für wie realistisch er dieses Szenario hält, was das für Deutschland und Europa bedeuten könnte, und wie wir uns darauf einstellen könnten.

Herr Scheffran, wie groß sehen Sie die Gefahr?

Jürgen Scheffran: Es ist eine reale Möglichkeit. Es gab auch in der Klimageschichte immer wieder große Veränderungen, teilweise in recht kurzen Zeiträumen über Hunderte von Jahren. Aber was wir aktuell beobachten – die starke Freisetzung von Treibhausgasen und die globale Erwärmung in wenigen Jahrzehnten – das ist auch mit Blick auf Millionen Jahre Erdgeschichte etwas Besonderes und hat es so in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben. Der Anstieg der Temperatur kann Selbstverstärkungen und Dominoeffekte auslösen, die den Anstieg noch beschleunigen und das Erdsystem destabilisieren.

Tritt tatsächlich das ein, was die Forscher befürchten, können wir uns das Pariser Abkommen dann nicht schenken?

Nein. Das Abkommen versucht ja, das Klima zu stabilisieren. Wir hatten in den letzten zehntausend Jahren, in denen sich unsere Zivilisationen entwickelt haben, ein relativ stabiles Klima. Davon hat die Menschheit profitiert. Und selbst da gab es große Dürren über Jahrzehnte, die Völker wie die Maya oder Hethiter vor große Schwierigkeiten gestellt haben. Die Frage ist nun, was passiert, wenn wir diese stabile Zone verlassen. Da würde auch das Pariser Klimaabkommen nicht mehr reichen, da wir dann weit über das Ziel hinausschießen würden. Es droht dann eine Kettenreaktion und das mögliche Eintreten in eine Heißphase der Erde, begleitet von chaotischen Phänomenen.

Was heißt das?

Dass wir in bestimmten Teilen der Erde permanente Trockenphasen und Dürren erleben, gerade auch in der nördlichen Hemisphäre, wo es die größten Landflächen gibt, während die südliche Hemisphäre überwiegend von Ozeanen geprägt ist. Unter Umständen wären wir in Europa, Nordamerika und Zentralasien besonders betroffen. Das könnte dazu führen, dass die gesamte Eisbedeckung in der Arktis verschwindet, dass auch größere Teile des antarktischen Eisschildes schmelzen und dass es zu einem Ansteigen des Meeresspiegels in der Größenordnung von bis zu mehreren Dutzend Metern kommt. Ein solcher Prozess kann sich über viele Jahrhunderte hinziehen und ist in der Erdgeschichte schon beobachtet worden. Da dies jetzt von der Menschheit beeinflusst wird, geht es darum, dass wir nicht weiter an der Destabilisierung mitwirken, sondern an einer Stabilisierung.

Was könnte ein solches Klimaszenario für Europa bedeuten?

Das wird eine große Herausforderung sein. Bisher wurde angenommen, dass Europa wirtschaftlich und politisch stark genug ist, um mit den Problemen umzugehen. Aber wir sehen ja gerade in den vergangenen Jahren, wie politische und ökonomische Krisen in den westlichen Industrieländern das Erstarken von extremen Parteien und Nationalismus begünstigen.

Wären dann auch bewaffnete Konflikte möglich? In der jüngeren Vergangenheit wurde viel über Klimakriege diskutiert.

Wo zunehmende Trockenheit zum Problem wurde, traten bisher eher lokale Konflikte auf, etwa um Land und Wasser, um Viehweiden und den Anbau von Getreide. Für Klimakriege im Sinne zwischenstaatlicher Kriege fehlen bislang die Indizien. Sollte die Erdtemperatur aber tatsächlich um drei oder vier Grad steigen, dürfte der Faktor Klima in Konflikten an Bedeutung gewinnen.

Häufigere Dürren in der nördlichen Hemisphäre – was hätte das für Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion?

Der mittlere Westen der USA produziert in erheblichen Mengen Mais und Soja für den Export. China baut viel Getreide an, Europa produziert viele Lebensmittel, die exportiert werden. Schon in der aktuellen Hitzewelle in Europa erleben wir große Einbußen in der Landwirtschaft. Für ein Jahr kann man das verkraften. Passiert das aber mehrere Jahre hintereinander, dann haben auch wir hier ein Problem. Zugleich aber auch die Länder, in die exportiert wird, wie etwa die nordafrikanischen Staaten, die Netto-Importeure von Lebensmitteln sind, weil sie wenige Anbauflächen haben.

Es könnte sich also nicht zuletzt in Afrika die Lage verschärfen?

Das kann passieren. Die Nahrungsmittelmärkte werden ja im Wesentlichen über die Preise reguliert, und da sind die, die Geld haben, klar im Vorteil. Schon einmal, 2007 und 2008, danach wieder 2010 und 2011, waren die Preise für Getreide auf dem internationalen Markt erheblich gestiegen. Das war kurz vor dem "Arabischen Frühling".


Wie könnten wir uns in Deutschland darauf einstellen, wenn es dauerhaft wärmer würde?

Die Frage der Anpassung ist ja auch Teil des Pariser Klimaabkommens. Da gibt es viele Optionen, wie höhere Deiche oder gegen Trockenheit resistente Getreidesorten. Man kann Böden natürlicher düngen, Landwirtschaft vielfältiger gestalten und nicht nur auf Monokulturen setzen, die bei Veränderungen sehr anfällig sind. In trockenen Gebieten kann diese Getreidesorte angebaut werden, in feuchteren jene Sorte. Solche Anpassungsstrategien sind aus der Geschichte bekannt. Die Menschheit hat schon viele Krisen, auch Klimakrisen, überlebt.

Wie steht denn die Weltgemeinschaft aktuell da im Kampf gegen die Erderwärmung?

Man könnte sagen, es steckt Sand im Getriebe. Die Bundesregierung ist derzeit nicht in der Lage, ihre selbsterklärten Ziele etwa bei den CO2-Emissionen einzuhalten. Die Energiewende stößt auf Widerstände. In anderen Ländern sieht es noch schlimmer aus, von den USA ganz zu schweigen. Die stärksten Fortschritte sind aktuell noch in China zu beobachten, trotz der Abhängigkeit von der Kohle.

Sind die globalen Klimaziele also überhaupt zu erreichen?

Wir erleben leider aktuell viele Konflikte. Handelskriege drohen, Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten nehmen zu. Das führt dazu, dass der Klimaschutz weniger Aufmerksamkeit bekommt. Dennoch ist es wichtig zu betonen: Der Umbau des Energiesystems ist möglich, eine Ökonomie ohne fossile Brennstoffe ist möglich, in der Landwirtschaft gibt es viele Ideen. Die technologischen und gesellschaftlichen Lösungen sind eigentlich alle da. Sie müssen nur umgesetzt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

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