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Tornados in Deutschland: "Ein F4-Sturm ist überfällig"


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F5-Monstertornado jederzeit möglich
Es gäbe "viele Tote und Schäden in Milliardenhöhe"


Aktualisiert am 13.07.2024Lesedauer: 7 Min.
Ein Tornado: Schön anzuschauen, aber eine tödliche Gefahr.Vergrößern des Bildes
Ein Tornado: Schön anzuschauen, aber eine tödliche Gefahr. (Quelle: Rüdiger Manig/Deutscher Wetterdienst/dpa-tmn)
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Häuser werden aus Fundamenten gehoben, Autos zu tödlichen Geschossen: In Deutschland gab es schon Tornados der höchsten Kategorie. Wann kommt der nächste?

Ohrenzeugen hörten am 29. Juni 1764 aus der Ferne ein unheimliches Geräusch: wie ein Trommelwirbel, "der in eins weggeschlagen wird", habe das Wüten des Sturmes geklungen. Augenzeugen beschrieben eine "große, auf der Erde einhergehende, wallende und dem Dampfe eines Backofens oder siedenden Topfes gleichende Wolke".

Es war der stärkste bisher in Deutschland registrierte Tornado überhaupt und die Verwüstung immens. Anhand des beschriebenen Schadensbildes stufen Wissenschaftler den Wirbelsturm von Woldegk heute als einen sogenannten F5-Tornado ein. Weltweit wurde noch kein Tornado einer höheren Kategorie der sogenannten Fujita-Skala zugeordnet.

Ein F5-Tornado kann sogar Asphalt von der Straße schälen und erreicht Windgeschwindigkeiten von 419 km/h und mehr. Einer der bisher tödlichsten Tornados dieser höchsten Stufe kostete 158 Menschen das Leben: 2011 riss der Sturm im US-Staat Missouri unter anderem ein mehrstöckiges Krankenhaus aus dem Fundament und versetzte das Gebäude.

Mehrere beatmete Krankenhauspatienten starben, als der Strom ausfiel. Dutzende Menschen wurden in ihren zusammenstürzenden Häusern begraben, vom Wirbelwind aus ihren Zufluchtsorten gesaugt oder in ihren Autos davongefegt. Große Sattelschlepper flogen bis zu 200 Meter weit, ein Bankgebäude trug der Sturm komplett ab – am Ende stand nur noch der Tresorraum aus Beton auf einer ansonsten leeren Fläche.

Dass der F5-Tornado in der Nähe des mecklenburgischen Woldegks im Jahr 1764 weniger verheerend war, hatte mit sehr viel Glück zu tun. Er zog vorrangig über Felder, und weil gerade Feiertag war, befanden sich viele Menschen in der Kirche – und somit abseits der bis zu 900 Meter breiten und 30 Kilometer langen Schneise, die der Sturm schlug. Dennoch: Kinder wurden in einen See geweht, eine Frau von Trümmern erschlagen. Schafe flogen davon, Hagel tötete Gänse. Aus einem See wurden Wassermassen gen Himmel gesaugt und in einem Waldgebiet massive Stümpfe von zuvor gefällten Eichen aus dem Boden gerissen.

"Es sind allein schon die ausgerissenen Baumstümpfe, die deutlich in Richtung F5 gehen", erklärt der Meteorologe und Tornado-Experte Thomas Sävert auf die Frage, wieso der Tornado von Woldegk auf der Fujita-Skala so weit oben geführt wird.

Wie wahrscheinlich ist es, dass noch einmal ein Tornado mit solcher Kraft über Deutschland tobt? Was würde passieren, wenn er dichter besiedelte Gebiete träfe? Und begünstigt eventuell der Klimawandel die Entstehung von Tornados? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Video | Dashcam filmt Fahrt durch Tornado
Quelle: Glomex

Wie entsteht eigentlich ein Tornado?

Tornados bilden sich oft mit sogenannten Superzellen. Das sind rotierende Gewittertürme, die bei einer starken Temperaturabnahme mit der Höhe entstehen, wenn gleichzeitig kräftige Windscherung vorhanden ist. Mit Windscherung ist gemeint, dass der Wind sich in Richtung und Stärke deutlich ändert.

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Superzellen sind ausgesprochen langlebig. Die Windscherung sorgt dafür, dass sich in dem finsteren Wolkengebilde Aufwind- und Abwindbereich trennen. Im Abwindbereich fällt starker Niederschlag, abgekühlte Luft jagt in gefährlichen Fallböen auf die Erde hinab. Der rotierende Aufwindbereich (Mesozyklone genannt) bleibt ungestört davon. Er saugt beständig weiter feuchte und warme Luft in die Zelle hinein und wird so zum Motor des Unwetters: Wo ein normales Gewitter schnell vorüber ist, füttert es die Mesozyklone in einem fort mit Energie.

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Wenn Luftverwirbelungen aus dem Abwindbereich in Bodennähe konzentriert in den Aufwindschlauch geraten und von der Gewitterzelle so gehoben werden, dass sich ein vom Boden bis zur Gewitterwolke reichender Trichter entwickelt, wird die Superzelle zur Mutterzelle eines Tornados.

Zur Person

Thomas Sävert ist Meteorologe und Geophysiker. Sein Interesse für Unwetter wurde früh geweckt: Er wuchs in Schleswig-Holstein in einem Haus auf, das nur von einem Deich von der Nordsee getrennt war und einen halben Meter unter dem Meeresspiegel lag. Heute gilt er als einer der wichtigsten Tornado-Experten in Deutschland. Er betreibt die Webseiten unwetteragentur.de, tornadoliste.de und naturgewalten.de.

Wann wird ein Tornado besonders stark?

"Für einen starken Tornado muss schon sehr viel passen", erläutert Tornado-Experte Sävert. Es brauche sehr feuchte Luft in Bodennähe, große Temperaturunterschiede zwischen der Luft am Boden und derjenigen darüber (die Meteorologen sprechen von Labilität) sowie starke vertikale Windscherung. Noch seien aber viele Fragen offen. Sävert: "Warum sich aus welcher Zelle ein starker oder sogar sehr starker Tornado entwickelt, ist Gegenstand der Forschung."

Kann man die Wahrscheinlichkeit für einen F5-Tornado abschätzen?

Schwer, aber sie könnten häufiger vorkommen als bisher angenommen. Neben dem Tornado von Woldegk 1764 gab es noch einen bestätigten in Sachsen im Jahr 1800. Der Tornado von Hainichen riss Güter mit dicken Mauern ab, warf damaligen Berichten zufolge "Häuser gänzlich nieder und umher" und schleuderte "starke Bäume mehre hundert Schritte fort".

Video | Seltenes Tornado-Schauspiel gefilmt
Quelle: Glomex

Überdies gibt es einen Verdachtsfall: "Wir untersuchen noch einen Tornado aus dem Jahr 1936, bei dem selbst das Pflaster einer Straße und Rüben aus dem angrenzenden Feld herausgerissen wurden", sagt Sävert. Vorerst sei dieser Wirbelsturm als F4 eingestuft worden, er sei aber durchaus ein Kandidat für ein F5-Ereignis.

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Auch ein F4-Tornado mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 418 km/h kann verheerende Schäden anrichten. 1968 jagte einer dieser Tornados mit einem "Krach wie von 1.000 Panzern" aus dem französischen Grenzgebiet aus bis nach Pforzheim, wie eine Zeugin schilderte. Häuser wurden vollständig zerstört, insgesamt 4.335 Gebäude auf deutscher Seite beschädigt. Die Ärzte zählten 200 Verletzte und zwei Tote, was noch glimpflich war: Nach anderen F4-Tornados wurden teils Dutzende Leichen geborgen.

Anhand der bisherigen Häufigkeit von starken Tornados kann man errechnen, wie viele Jahre durchschnittlich zwischen zwei Stürmen der jeweiligen Stärke liegen. Bei F4-Tornados beträgt die sogenannte Jährlichkeit 21 Jahre. Der bisher letzte in Deutschland war 1979 in Bad Liebenwerda. Daraus folgt, wie Marcus Beyer von der Tornado-Expertengruppe des Deutschen Wetterdienstes (DWD) erklärt, "dass statistisch gesehen ein F4 Tornado längst überfällig wäre".

Bei F5-Tornados wird die Jährlichkeit mit 250 Jahren und mehr angegeben. Der Wert sei aber mit Vorsicht zu genießen, so Beyer weiter, da die Datenlage zu dünn sei.

Was waren die bisher tödlichsten Tornados in Deutschland?

  • Die meisten Menschen durch einen bestätigten Tornado seit 1900 starben im Juli 1901 auf dem Zeuthener See im Südosten Berlins. Der Tornado unbekannter Stärke drehte ein Segelboot mehrfach im Kreis, bevor es kenterte. Drei Frauen und vier Kinder, die sich in der Kajüte befanden, ertranken. Die drei Männer an Deck wurden aus dem Wasser gerettet.
  • In der Nacht zum 15. Juni 1980 fräste sich ein Tornado der Kategorie F1 (bis zu 180 km/h) in Wilhelmsthal bei Eisenach durch einen Campingplatz. In Zelten und Wohnwagen fanden die Menschen nur unzureichend Schutz. "Plötzlich kam das Krachen von den Bäumen", erzählte später ein Überlebender dem MDR.

    Einer der ersten Helfer, die am Campingplatz ankamen, beschrieb ein Bild des Grauens: "Es hat jeder geschrien, von links, von rechts." Zwischen den Hilferufenden lagen Leichen. "Gegen 6 Uhr früh haben wir noch ein Pärchen gefunden", berichtete ein Retter. Die beiden 17-Jährigen lagen eng umschlungen in einem Zelt, ein Baum hatte sie erschlagen. Insgesamt starben in jener Juninacht sechs Menschen auf dem Campingplatz am Altenberger See.
  • Auch andere tödliche Tornados in Deutschland lagen weit unterhalb der F5-Stärke: Bei einem F2-Tornado 2006 stürzten zum Beispiel in Hamburg drei Kranführer in ihren Kabinen in die Tiefe, zwei starben. Dies verdeutlicht: Die Gefährlichkeit eines Tornados hängt nicht allein von seiner Stärke ab. Es kommt auch darauf an, wo er die Menschen trifft.
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Was, wenn ein F5-Tornado über dicht besiedeltes Gebiet fegt?

"Das will man sich vielleicht besser gar nicht vorstellen", antwortet Tornado-Experte Sävert. "Die Folgen wären jedenfalls schlimm."

Im Juli 2004 zog ein F2-Tornado durch Duisburg, Oberhausen und Essen. Die Schäden beliefen sich laut Sävert auf rund 100 Millionen Euro, es habe zum Glück nur einige Verletzte gegeben. "Ein F5-Tornado mit dieser Zugbahn würde viele Tote und Schäden in Milliardenhöhe fordern", ist sich der Experte sicher.

Video | Tornado verwüstet ganzes Wohngebiet
Quelle: Glomex

Wächst durch den Klimawandel die Tornado-Gefahr?

Das ist möglich, aber noch unklar. Die Temperatur des Mittelmeeres ist seit den 1980er-Jahren um 0,29 bis 0,44 Grad pro Dekade gestiegen. Warme Luft kann mehr Wasser aufnehmen und über weite Strecken durch Europa transportieren. Durch das vermehrte Auftreten von warmen und feuchten Luftmassen infolge des Klimawandels ist somit zumindest ein für Superzellen nötiger Faktor häufiger gegeben.

Tornado-Experte Sävert betont allerdings: "Die Entstehung von Tornados ist nicht nur an die Temperaturen gebunden, sondern auch an andere Parameter wie die Windverhältnisse."

Gibt es heute mehr Tornados als früher?

Dieser Eindruck kann schnell entstehen. Thomas Sävert verzeichnet auf seiner "Tornadoliste" jedes Jahr viele bestätigte Wirbelstürme, meist sind es zwischen 30 und 60. Und er sagte bereits vor Jahren in einem Interview: "Die Meldungen haben eindeutig zugenommen."

Video | Tornado reißt gesamtes Gebäude ein
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Quelle: reuters

Das muss aber nicht an einer tatsächlichen Häufung liegen, sondern kann auch einem gewachsenen Bewusstsein sowie genaueren Beobachtungen und Beschreibungen geschuldet sein. "Das ist das Problem", erklärt der Experte t-online. "Systematisch erfasst werden Tornados in Deutschland erst seit der Jahrtausendwende mit Gründung der 'Tornadoliste'. Davor befassten sich nur einzelne Interessierte mit dem Thema."

Die bisher vorliegenden Daten lassen laut Sävert noch keinen eindeutigen Trend erkennen, die Schwankungen der Tornadozahlen seien von Jahr zu Jahr enorm. Auch DWD-Tornado-Experte Beyer sieht das so: "Es ist derzeit kein Trend in die eine oder andere Richtung zu erkennen", sagt er.

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Wo in Deutschland ist die Tornadogefahr am größten?

Sävert: "Dies ist noch nicht genau untersucht, dafür reichen die Daten einfach noch nicht aus." Tendenziell träten aber wohl mehr Tornados im Norden und in der Mitte Deutschlands auf. Erst vor wenigen Tagen filmten Augenzeugen einen Wirbelsturm in Telgte bei Münster.

Video | Tornado bei Münster wirbelt Gegenstände durch die Luft
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Quelle: t-online

Wie genau können Tornado-Warnungen sein?

Eine Wetterlage zu erkennen, die Tornados begünstigt, ist gut möglich. Laut Sävert kann sie meist 24 bis 36 Stunden vorher auch schon näher eingegrenzt werden. Eine konkrete Tornado-Warnung für eine bestimmte Region sei aber erst dann möglich, wenn Augenzeugenbeobachtungen vorliegen oder ein Tornado aufgrund aktueller Radarbilder sehr wahrscheinlich ist.

Während einer Gewitterlage würden die Meteorologen nach verdächtigen Strukturen schauen, erläutert Beyer. "Wir suchen quasi nach Gewitterzellen, die rotieren und damit das Potenzial haben, einen Tornado hervorzubringen." Aber einen Tornado selbst könne man mit dem Wetterradar meist nicht erkennen. Hilfreich seien daher auch zeitnahe Meldungen von Augenzeugen, "zum Beispiel über unsere WarnwetterApp oder auch von Stormchasern".

Wie sollte man sich bei einem Tornado verhalten?

Wichtig: Man sollte über Unwetterwarnungen informiert sein. Wer weiß, dass Tornadogefahr zumindest theoretisch besteht, reagiert besonnener. Bei einem aufziehenden Gewitter gilt immer, schon wegen der lebensgefährlichen Blitze: Schutz in einem festen Gebäude suchen.

Wer sich in ein festes Gebäude zurückziehen kann, sollte dort weit weg von allen Türen und Fenstern gehen, sich bestmöglich sogar in einen fensterlosen Raum begeben. Denn dort ist man vor Trümmerteilen sicher, die der Tornado aufwirbelt und die Fenster, Rollläden und sogar Garagen mit Stahltoren durchschlagen können.

Ist man im freien Gelände unterwegs und kann dem Tornado weder ausweichen noch ein festes Gebäude erreichen, sollte man sich eine Mulde im Gelände suchen, die am besten so weit wie möglich von Häusern, Bäumen und Gegenständen entfernt ist, die der Tornado zertrümmern und zu Geschossen werden lassen kann. In die Mulde sollte man sich flach mit dem Gesicht nach unten legen.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an den Tornado-Experten Thomas Sävert
  • Anfrage an Marcus Beyer von der Tornado-Expertengruppe des Deutschen Wetterdienstes
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