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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschland-Überblick Wölfe verursachen mehr Schaden als je zuvor
Ausgleichszahlungen für von Wölfen gerissene Nutztiere steigen weiter an: vor allem in drei Bundesländern. In einigen wird offen der Abschuss von Tieren gefordert.
Die Bundesländer haben Nutztierhaltern seit Mitte 2019 mehr als je zuvor für vom Wolf gerissene Tiere gezahlt. Das geht aus Zahlen der Umweltministerien hervor, die t-online.de vorliegen. Seit der ersten Sichtung des Wolfs in Deutschland wurden demnach mittlerweile rund 1,7 Millionen Euro an sogenannten Billigkeitsleistungen bewilligt. Das sind 600.000 Euro mehr als bis Mitte 2019. Bis dahin waren knapp 1,1 Millionen Euro ausgezahlt worden, bis Mitte 2018 rund 755.000, wie t-online.de jeweils berichtete.
Starker Anstieg in drei Ländern
Die erneut deutliche Zunahme der Zahlungen geht dabei zum Teil auf sprunghafte Anstiege in einzelnen Bundesländern zurück. So hatte Thüringen bis Mitte 2019 lediglich knapp 27.000 Euro an Billigkeitsleistungen gemeldet – nun wurden insgesamt fast 230.000 Euro ausgezahlt. In Sachsen stiegen die Zahlungen von damals rund 162.000 Euro auf nun knapp 295.000 Euro, in Brandenburg von knapp 335.000 Euro auf knapp 469.000 Euro.
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Der Anstieg der Ausgleichssumme geht mit dem Wachstum der Wolfspopulation und der weiteren Verbreitung einher. Die Bundesländer beziffern die Anzahl der Wölfe derzeit auf maximal 1.220 gegenüber maximal 893 Exemplaren im vergangenen Jahr und maximal 702 Tieren Mitte 2018.
Davon leben die meisten sehr wahrscheinlich in Brandenburg (418), Niedersachsen (270) und Sachsen (240). Erstmals sind nun auch zwei Wölfe in Hessen resident, während Schleswig-Holstein nach dem Unfalltod von Problemwolf "GW924m" derzeit keine standorttreue Wolfspopulation mehr hat.
Die Zahlen geben allerdings nur eine Tendenz wieder: Besonders die Bundesländer mit großen Populationen geben aufgrund wissenschaftlicher Erwägungen nur die Anzahl der Rudel an – ihnen gehören durchschnittlich fünf bis zehn Tiere an. Die Maximalanzahl geht von zehn Tieren pro Rudel aus, um die Größenordnungen einfacher darzustellen. Wahrscheinliche Welpen von Wolfspaaren in NRW und Thüringen sind nicht berücksichtigt.
Rudel macht Jagd auf Pferde
Unabhängig von der Größe der jeweiligen Wolfspopulation gibt es in mehreren Bundesländern derweil Diskussionen um Abschüsse von Wölfen. In Niedersachsen bereitet das Ministerium eine Abschussgenehmigung für einen Leitwolf vor, dessen Rodewalder Rudel Jagd auf Pferde und Rinder macht. Von Wölfinnen in Thüringen und Hessen wird angenommen, dass sie gelernt haben, Herdenschutzzäune zu überwinden.
Ähnliches Jagdverhalten hatte zur Abschussgenehmigung des Problemwolfs in Schleswig-Holstein geführt. Eine Interessenvertretung bäuerlicher Familienbetriebe in Brandenburg fordert sogar eine Abschussquote. "Wenn die Jäger in Brandenburg jedes Jahr 100 Wölfe legal erlegen dürften, würde das Raubtier seine Scheu zurückgewinnen und die Probleme wären zumindest entschärft", sagte der Landessprecher der Initiative, Marco Hintze.
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Wölfe sind streng geschützt und können nur in strikt geregelten Ausnahmefällen getötet werden. Das Umweltministerium in Brandenburg lehnt eine solche Forderung deswegen ab. Vermutlich zurecht: Sogar der bereits genehmigte Abschuss des problematischen Tieres in Thüringen wurde erst kürzlich vor Gericht im Eilverfahren für höchstwahrscheinlich rechtswidrig befunden.
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) brachte aus diesen Gründen zuletzt eine weitere Änderung der Bundesgesetzgebung ins Spiel. Erst im Februar hatte eine Gesetzesnovelle Abhilfe schaffen sollen. Nicht genug, aus Sicht von Lies. Erforderlich sei eine Obergrenze für den Wolf in Deutschland. Der Minister hatte für Niedersachsen bereits eine verschärfte Wolfsverordnung auf den Weg gebracht, die den Abschuss ab September weiter erleichtern soll.
Rechtsfragen und Kosten
Unklar ist, ob diese neue Verordnung auch vor der europäischen Gesetzgebung Bestand haben kann. denn erst kürzlich hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Wölfe auch dann geschützt werden, wenn sie in Dörfer kommen. Niedersachsens Wolfsverordnung weist hingegen faktisch ganze wolfsfreie Zonen aus. Unter anderem sollen Wölfe, die sich Menschen auf 30 Meter nähern, geschossen werden dürfen.
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Und es stellt sich auch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen: Die Jagd auf den Wolf kostet kaum weniger als die Jagd der Wölfe Schaden anrichtet. Seit einem Jahr wurden in Niedersachsen lediglich knapp 20.000 Euro an Billigkeitsleistungen ausgezahlt, insgesamt in allen Jahren rund 188.000 Euro. Wie der NDR berichtet, hat die erfolglose Jagd auf den dortigen Problemwolf bislang fast 150.000 Euro gekostet.
- eigene Recherchen
- mit Material der Nachrichtenagentur dpa