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Mordfall Peggy Knobloch: Kann diese eine Spur die Wende bringen?


Ungeklärter Mordfall Peggy
Kann diese eine Spur die Wende bringen?

Von Dietmar Seher

Aktualisiert am 25.08.2019Lesedauer: 6 Min.
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Mordfall Peggy in Oberfranken: Fast 20 Jahre sind die Ermittler nicht weitergekommen.Vergrößern des Bildes
Mordfall Peggy in Oberfranken: Fast 20 Jahre sind die Ermittler nicht weitergekommen. (Quelle: Foto: David-Wolfgang Ebener/ap-bilder)

Peggy Knobloch aus Oberfranken verschwand 2001 und wurde 2016 tot aufgefunden. Polizei und Justiz verirren sich seither in Sackgassen. Könnten Pollenspuren demnächst die Wende in dem Fall bringen?

Maddie McCann, die kleine Engländerin, die in Portugal verschwand. Rebecca Reusch aus Berlin. Sie wird seit Monaten gesucht. Tanja Gräff in Trier, in deren tödlichem Sturz vom Felsen über der Mosel die Behörden kein Verbrechen sehen. Es sind solche mysteriösen Vermissten-, Todes- und Mordfälle junger Mädchen und Frauen, die die Menschen tief bewegen. Bei Peggy Knobloch aus Oberfranken, die 2001 entführt und deren Leiche 2016 entdeckt wurde, gärt die Unzufriedenheit über die Tataufklärung durch Polizei und Justiz jetzt seit 18 Jahren.

Doch: Kommt es in den nächsten Wochen in diesem Langzeit-Drama zu einer Wende? Das hofft der Strafrechtsanwalt Jörg Meringer aus Hof. Die bisherige Arbeit der Ermittler nennt er eine "unsägliche Geschichte". Im Mai hat er deshalb die Staatsanwaltschaft in Bayreuth mit einer bisher eher vernachlässigten Fährte konfrontiert. Wohl im September, so sagte er dem Nachrichtenportal t-online.de, werde er bei der Behörde Akteneinsicht erhalten.

Wer ist Holger E.?

Meringers Verdacht: Ein zum Tatzeitpunkt gerade 17 Jahre alter Minderjähriger aus Halle könnte für den Tod der Neunjährigen verantwortlich sein. Er heißt Holger E. Von Anfang an gehörte er zu der Gruppe der Verdächtigen. Dieser Mann könnte, glaubt der Anwalt, doch mehr mit dem Fall zu tun haben als bisher ermittelt wurde.

Der 7. Mai 2001. Der Tag ist für die Jahreszeit zu kalt. Die 9-jährige Peggy Knobloch aus dem fränkischen Lichtenberg macht sich nach Schulschluss direkt auf den Heimweg. Zeugen sehen sie gegen 13.20 Uhr in der Ortsmitte. Andere erinnern sich, wenig später habe sie vor ihrer Haustür am Marktplatz gestanden. Wieder andere wollen sie noch gegen 19 Uhr auf der Straße erkannt haben. Ihre alleinerziehende Mutter, eine Altenpflegerin, arbeitet im Schichtbetrieb und kommt erst gegen 20 Uhr nach Hause. Sie sagt später aus, Peggy sei bei ihrer Rückkehr nicht da gewesen. Nirgendwo ihre Kleidung, nirgendwo der Schulranzen. Das Kind habe die Wohnung wohl gar nicht betreten.

Von der Neunjährigen wird es von diesem Tag an 15 Jahre lang keine einzige Spur geben. Familie, Freunde und Fahnder beschäftigen sich mit den immer gleichen bohrenden Fragen: Was ist mit Peggy passiert? Ist sie ausgerissen? Wurde sie Opfer eines Unfalls? Geriet sie an einen Sexualtäter, der sie missbrauchte und tötete? Wo könnte dann ihre Leiche sein?

Im Juli 2016 fällt einem Pilzsammler, 15 Kilometer entfernt bei Rodacherbrunn in Thüringen, eine Mulde im Wald auf. Dort, unter Strauchwerk abgedeckt, findet er menschliche Knochen und einen Schädel, im Gebüsch eine Armbanduhr. Die Polizei nimmt eine erste Zuordnung der Funde über diese Uhr vor. Drei Tage später zeigt die DNA-Analyse der Skelett-Bestandteile einen Treffer: Es sind die sterblichen Überreste der Lichtenbergerin.

Bayerische Ermittler haben 180 alte, ungeklärte Mordakten auf ihrer Liste. Mit dem Fall der toten Peggy tun sie sich bis heute besonders schwer. Sie haben 4.800 Spuren verfolgt und 90.000 Aktenseiten angelegt. Vier SoKos mit wechselnden Chefs haben sich mit dem Schicksal des Mädchens befasst. Ex-Innenminister Günther Beckstein (CSU) hat persönlich in die personelle Besetzung eingegriffen. Die Suche war Thema im Münchner Landtag. Es gab Vernehmungen, Festnahmen, sogar einen Prozess, eine Verurteilung und am Ende einen Freispruch nach der Wiederaufnahme des Verfahrens. Bisher ist jede vermeintlich heiße Fährte bei der Jagd auf den Mörder im Dickicht von Vermutungen und Beschuldigungen stecken geblieben.

Vor allem: Von 2004 bis 2014, über zehn Jahre, waren die Ermittlungen ganz eingestellt. Die Justiz war überzeugt: Wir haben den Täter: Ulvi K., ein Mann mit Behinderung, der die geistige Leistungsfähigkeit eines 12-Jährigen hat und Kindern sexuell zugetan ist. Heute ist er Mitte 40. Um die Jahrtausendwende hatte er oft mit Peggy gespielt. Peggys Mutter Susanne Knobloch verdächtigte ihn schon wenige Tage nach dem Verschwinden ihrer Tochter. Auf der Polizeiwache wurde K. teils ohne Anwalt verhört. In 40 Vernehmungen bestritt er die vorgeworfene Tat.

Ulvi K.s Betreuerin gab nicht auf

In der 41. saß ihm ein Beamter aus dem Ort gegenüber, mit K. durchaus freundschaftlich verbunden. Kein Band lief mit, als der "Freund" ihn offenbar unkonventionell zum Geständnis aufgefordert haben soll – mit der Andeutung, sonst sei die Freundschaft zu Ende. Für den sensiblen Beschuldigten war das der Anlass, einfach alles zuzugeben. Er habe Peggy am 3. Mai vergewaltigt und sich am 7. Mai bei ihr entschuldigen wollen. Sie sei weggelaufen. An der Burgruine habe er sie festgehalten und dabei zugedrückt. "Sie bewegte sich nicht mehr." 2004 schickten ihn die Richter lebenslang in Haft.

Seine Betreuerin und sein Anwalt Michael Euler erkämpften eine Wiederaufnahme, ein im deutschen Recht seltener Erfolg. 2014 kam es zum zweiten Prozess. Im Katalog der Vorwürfe stimmten weder Ort noch Zeit noch manche Aussagen von Belastungszeugen, stellte sich schnell heraus. Ulvi K., wurde klar, redet viel und dann das, was ihm gerade einfällt. Er wurde freigesprochen.

Viele Verdächtige in Peggys Umfeld

Wer aber ist der Täter? Ein erster Verdacht der Ortsbürger fiel anfangs auf die Nähe der tschechischen Grenze. Einen roten Mercedes mit einem Kennzeichen aus dem Nachbarstaat hatten sie gesehen. Peggy sei eingestiegen. Andere nahmen einen verdächtigen Skoda wahr.

Hinzu kommt: Peggy Knobloch galt als "sehr offen", wie der Cheffahnder ein paar Tage nach dem Verschwinden erklärte. Die Neunjährige war wenig zu Hause, viel unterwegs, besuchte oft die zentrale Gaststätte in Lichtenberg, die "Sonne", und ließ sich auch von fremden Autofahrern mitnehmen. "Das ist ihr vielleicht zum Verhängnis geworden", sagt ein Lichtenberger.

Doch denkbare Tatverdächtige sind eher in der nahen Umgebung, vielleicht sogar im Kreis der Familie zu suchen. Das ist die Erfahrung aller Fahnder. Nach der bundesweiten Kriminalstatistik ist so der Sachverhalt bei vier Fünfteln der einschlägigen Delikte. Auch im Fall Peggy? Nicht nur, dass auf dem Mobiltelefon der Mutter wenige Monate nach der Tat merkwürdige SMS-Botschaften ihres früheren Lebensgefährten gefunden wurden ("Mit 50.000 Euro kann man viel machen auf dieser scheiß Welt"), die Fragen aufwerfen.

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Es hat sich auch herausgestellt, dass die junge, hübsche, blonde, blauäugige Peggy von verurteilten Kinderschändern oder auffälligen Pädophilen geradezu umgeben war. So wurde das Grundstück von Knobloch-Nachbar Robert E., der zuvor seine Enkelin und sein Patenkind missbraucht hatte, bei der Suche nach Peggys Leiche umgegraben. Ohne Ergebnis.

Vier seltsame Pollenspuren

Auch Jörg Meringer, der Strafrechtler aus Hof, der auf eine neue Spur setzt, ist über die Verteidigerrolle in den Fall geraten. Er vertritt Manuel S., einen Verdächtigen, der 2018 festgenommen wurde. S. war schon kurz nach dem Tatzeitpunkt durch die Aussage von K. belastet worden, er habe ihm geholfen. Der Bestatter räumte auch zunächst ein, Peggys Leiche beseitigt zu haben. Doch dann widerrief er.

Meringer ist heute noch erbost über das Verhalten der Polizisten nach der Festnahme im Dezember 2018. Zu früh hätten sie die Identität seines Mandanten in einer Pressekonferenz preisgegeben. Und immer noch stehe dieser unter psychischem Druck, sei "stigmatisiert", alte Schulfreunde würden nach wie vor befragt. Dabei ist auch Manuel S. längst wieder auf freiem Fuß. Ein dringender Tatverdacht fehlt laut Gericht.

Der Mann hat nachweislich pädophile Neigungen

Meringer hingegen schlägt zurück. Er findet das Verhalten von Holger E. aus Halle an der Saale, einem Mann, der nachweislich pädophile Neigungen hat, merkwürdig. Der Jurist fordert die Staatsanwaltschaft auf, vier Pollenspuren zu überprüfen, die bei der Leiche von Peggy Knobloch gefunden wurden. Stammen sie etwa aus der Wohnort-Umgebung von E., damals ein Gehöft bei Halle?

Wer ist dieser E.? Er ist der Halbbruder eines Lichtenbergers aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Knoblochs. 2012 wurde der auch im Fall Peggy schon frühzeitig Verdächtigte wegen des Missbrauchs seiner zwei Jahre alten eigenen Tochter zu sechs Jahren Haft verurteilt. Seinen Halbbruder hatte er öfter besucht. Auch am 7. Mai 2001. "Er hat übers Alibi gelogen. Er hat gesagt, er sei am 7. Mai in der Schule gewesen. Das war nicht der Fall", sagt Meringer.

Zudem habe er bei den Vernehmungen einen Besuch beim Halbbruder verschwiegen, kurz vor dem Tattag über die Osterferien. Viel erfordere ein genaueres Hinschauen, so Meringer. "Holger E. hat ein Amulett um den Hals getragen mit einem Bild von Peggy, in seinem Zimmer war quasi ein Peggy-Schrein errichtet.". Sei das normal? Den Einwand der Ermittler, der damals 17-Jährige aus Halle habe keinen Führerschein gehabt, um in kurzer Zeit nach Bayern zu kommen, hält er für fadenscheinig.

Der Tod von Peggy Knobloch hat auch nach zwei Jahrzehnten nicht aufgehört, die Leute in Lichtenberg zu verunsichern. Der 1.000-Seelen-Ort sei von den vielen Verdachtsmomenten und Volten des Falles paralysiert, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Klaus Adelt. Einer traue hier dem anderen nicht mehr. Peggys Mutter ist schon lange weggezogen.

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