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Kastelruther Spatzen: Wer tötete ihren Manager Karl Heinz Gross?


Fall Karl Heinz Gross
Wer tötete den Manager der Kastelruther Spatzen?

05.05.2019Lesedauer: 5 Min.
Kastelruther Spatzen 1998: In diesem Jahr wurde ihr Manager Karl Heinz Gross getötet.Vergrößern des Bildes
Kastelruther Spatzen 1998: In diesem Jahr wurde ihr Manager Karl Heinz Gross getötet. (Quelle: United Archives International/imago-images-bilder)

Ein Verbrechen erschütterte 1998 die "Kastelruther Spatzen":

Wie ein gigantischer Ziegelstein überragt das Schlern-Massiv das Südtiroler Eisacktal. Direkt an seinem Fuß liegt Kastelruth. Von diesem kleinen Ort aus haben die Kastelruther Spatzen seit den Siebzigerjahren das Herz von Publikumsmassen rund um den Globus erobert. Das Septett, längst ein Altherrenklub, singt von Heimat und Familie, von Tradition und von den Bergen. Es sind Begriffe einer heilen Welt, die Millionen Fans mögen.

Doch am Abend des 6. März 1998 bricht ein Stück der Idylle weg. Weit im Norden der Dolomiten geschieht dies, am Ufer der Elbe, in einer schäbigen Ecke des Magdeburger Industriehafens.

Grausiger Fund

Es gießt in Strömen, als sich zwei Lkw-Fahrer an der Zufahrt zu einem Betriebsgelände einer Lagerhalle nähern. Dort finden sie gegen 18.15 Uhr einen blutüberströmten Menschen auf dem nassen Asphalt. Der Verletzte atmet noch. Die Fahrer schützen den Mann mit einer Decke vor dem Regen und alarmieren die Polizei. Die Beamten stellen auf den ersten Blick schwere Kopfverletzungen fest und organisieren den Transport in die Universitätsklinik. Dort diagnostizieren Ärzte mehrfach gebrochene Rippen, schwere Rumpfquetschungen und Schädelbrüche. Sie setzen eine Notoperation an.

Der Eingriff kommt zu spät. Karl Heinz Gross, italienischer Staatsbürger, 39 Jahre alt und vierfacher Familienvater, stirbt gegen 23 Uhr. Die Kastelruther Spatzen, die am Vorabend Tausende Magdeburger in deren Stadthalle begeisterten, haben durch den Gewaltakt ihren Manager verloren. Für die Ermittler im Bundesland Sachsen-Anhalt ist der Fall aufgrund erster Indizien ab jetzt ein Tötungsdelikt. Zeitweise werden bis zu 60 Beamte der Soko "Spatz" nach dem oder den Mördern suchen.

An jedem 6. März treffen sich Familie und Freunde im Südtiroler Kastelruth am Grab von Karl Heinz Gross. Die mächtigen Bergspitzen bieten die Kulisse für die Trauer. Doch auch 21 Jahre später wissen weder Angehörige, noch Fans, noch die Magdeburger Fahnder sehr viel mehr als am Tatabend. Nie wurde ein Täter gefasst. Nie fand man ein Tatmotiv. Nie eine Tatwaffe. Es gab niemanden, der die 50.000 Euro Belohnung der Familie für sachdienliche Hinweise in Anspruch nehmen konnte.

"Er war verärgert"

In den Akten des Falles Gross klafft eine entscheidende Lücke. Bis heute haben die Fahnder keine Vorstellung, was in den rund 100 Minuten zwischen 16.37 Uhr und dem Fundzeitpunkt gegen 18.15 Uhr passiert sein könnte. Regen und Wind haben alle Spuren verwischt und verweht, die sonst Reifen oder Schuhwerk nahe bei Mordopfern hinterlassen. Allerdings: An einer Stelle, auf der Kleidung des Opfers, haben sie genetisches Material sichergestellt. Es könnte eine letzte Chance sein. Hat sich der Täter selbst verraten?

16.37 Uhr, 6. März 1998. Albin Gross, der Bruder von Karl Heinz und Keyboarder der Gruppe, ist nach einer stundenlangen Fahrt 400 Kilometer weiter im Westen im Ruhrgebiet, in Essen, angekommen. Am Abend ist der Auftritt in der Grugahalle geplant, ein Highlight der Tournee. Da ruft ihn Karl Heinz übers Handy an. Er musste in Magdeburg zurückbleiben, weil der Tourbus mit den Fanartikeln defekt war.

Karl Heinz Gross war selbst Busfahrer. Er kennt sich in der Fahrzeugtechnik aus. Er hat den weißen Kastenwagen in eine Werkstatt nahe des Elbhafens der Stadt gebracht, musste aber nach einigen Stunden feststellen, dass die beauftragte Reparatur wegen angeblich fehlender Ersatzteile nicht erledigt wurde. Außerdem: Statt sich das Radlager genauer anzuschauen, wo Gross den Fehler vermutet, hat man am Getriebe herumgeschraubt. Karl Heinz ist sauer und so fällt auch das Telefonat mit dem Bruder aus. "Er war verärgert", erinnert sich Albin in Interviews. Er habe über die Mechaniker geschimpft, mit denen er wohl aneinandergeraten sei. Die beiden Brüder vereinbaren, dass Karl Heinz erst einmal per Bahn nach Essen nachkommen soll.

Der Fundort war nicht der Tatort

Es ist das letzte Gespräch, das die beiden miteinander führen. Das Handy, das die Polizisten bei dem Schwerverletzten finden werden, zeigt um 17 Uhr noch den Versuch des Anrufs bei seiner Frau in Südtirol an. Er geht ins Off. Albin Gross erhält kurz vor Beginn des Auftritts die Mitteilung der Polizei, man habe seinen Bruder ins Krankenhaus bringen müssen. "Ich hatte ein ungutes Gefühl", wird der Keyboarder später gestehen, "aber wir haben das Konzert in Essen durchgezogen." Erst nach dem Auftritt erhält er die Todesnachricht durch einen Arzt der Magdeburger Klinik.

Was den Ermittlern auffällt: Der Fundort des Schwerverletzten auf der Steinkopfinsel liegt zwei bis drei Kilometer von der Werkstatt entfernt. Hierhin kann sich ein Ortsunkundiger nur schwer verirren. Wie ist Karl Heinz Gross dort hingekommen? Und wann? Die Pause zwischen seinem Anruf beim Bruder in Essen und dem Fund des verletzten Körpers wird zum zentralen Rätsel des Falles. Dagegen ergeben die Ermittlungen schnell zwei belastbare Grundannahmen. Dass der Fundort nicht der Tatort sein kann. Und: Die Verletzungen am Körper könnten von einem Unfall stammen. Anders die mit Wucht versetzte Wunde am Schädel. Sie ist davon unabhängig entstanden.

Noch in der Nacht haben damals die Befragungen von über 800 möglichen Zeugen begonnen. Die Mechaniker der Werkstatt waren unter ihnen, mit denen sich der Manager angelegt hatte. Auf sie war naturgemäß ein erster Verdacht gefallen. Die Speditionsmitarbeiter wurden befragt, die zuerst am Fundort waren. Die Band musste in Essen ins Verhör. "Ich konnte keinen Satz sprechen. Alle standen unter Schock und weinten", erinnert sich Albin Gross. Ziel der Untersuchungen war auch ein Fanklub in Sachsen-Anhalt, bei dem es offenbar zu Unterschlagung von Beiträgen gekommen war. Fünf Tatverdächtige siebte die Kripo am Ende aus. "Aber kein Tatverdacht hat sich erhärtet", sagte später ein Ermittler.

Drei Theorien zum Tathergang

Die offiziellen Ermittlungen der Soko "Spatz" sind lange eingestellt. Rechtsmediziner und Sachverständige haben ihre Berichte längst abgegeben. Zum Nachfassen nutzen die Fahnder in Abständen Sendungen wie "Akenzeichen XY ... ungelöst" im ZDF. Doch auch das hat nichts Verwertbares gebracht. Es bleiben bloße Theorien:

Die eine, die Unfallthese: Ein Jeep oder ein Lkw hat Karl Heinz Gross erfasst. Der schuldige Fahrer wollte den Unfall vertuschen, das Unfallopfer deshalb töten und hat den Schwerverletzten im abgelegenen Hafenteil abgelegt.

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Die andere: Gross wurde in einem Streit schwer verletzt. Um diese Tat zu verdunkeln, ist er nachträglich durch ein schweres Fahrzeug gerammt worden.

Eine dritte Möglichkeit: Der Band-Manager wurde zufällig Zeuge eines Verbrechens und als nicht genehmer Zaungast aus dem Weg geräumt. Sicher ist die Polizei nur bei einem: Ein Raubmord kommt nicht infrage. Als man Gross fand, trug er die für die Reparaturkosten gedachten 7.000 D-Mark, Schmuck und ein für die Zeit sehr teures Mobiltelefon noch bei sich.

Neue Spur im alten Fall

2018, zwanzig Jahre später, kommt es in der Heimat der Spatzen zu einer Überraschung. Die "Neue Südtiroler Tageszeitung" in der Provinzhauptstadt Bozen berichtet, der Täter könnte einen genetischen Fingerabdruck hinterlassen haben: Eine DNA-Spur. Polizeilabors konnten durch forensische Analysen von Haaren, Blut oder Sperma seit der Jahrtausendwende bei vielen lange ungeklärten Verbrechen Vergewaltiger oder Mörder überführen.

Tatsächlich verfügt die Kripo über eine solche "Visitenkarte" des Täters. Frank Küssner von der Polizeiinspektion Magdeburg bestätigt dem Nachrichtenportal t-online.de: "Wir haben eine DNA-Spur. Es geht um vier Haare auf dem Mantel von Karl Heinz Gross." Dennoch hilft das bisher nicht weiter: "Diese DNA konnte keiner bekannten Person zugeordnet werden", räumt Küssner ein.


Ist damit jede Hoffnung auf Klärung hin? Eine Sache, die in die Archivablagen kommt? "Der Fall Gross ist jetzt ein Alt-Fall", so Frank Küssner. "Er liegt aber immer noch bei einer Mordkommission.". Ein neuer verwertbarer Hinweis kann die Ermittlungen neu anstoßen. Und eine alte Erfahrung heißt: Irgendein unbekannter Beteiligter kann doch noch reden. "Jeder Mensch hat ein Gewissen", glaubt Albin Gross, der Mann, der seinen Bruder verlor.

Verwendete Quellen
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