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Fall von 1981: Büßt der Falsche für die Tötung der 10-jährigen Ursula Herrmann?


Sie erstickte in einer Holzkiste
Büßt der Falsche für die Tötung der zehnjährigen Ursula?

22.03.2019Lesedauer: 5 Min.
Die Kiste im Wald und die 10 Jahre alte Ursula Herrmann: Hatten Schüler etwas mit dem Fall zu tun?Vergrößern des BildesDie Kiste im Wald und die 10 Jahre alte Ursula Herrmann: Hatten Schüler etwas mit dem Fall zu tun? (Quelle: picture-alliance/LKA Bayern/t-online.de/dpa)

Die 10 Jahre alte Ursula Herrmann erstickte 1981 in einer Holzkiste. Ein Radiohändler wurde für die Tat verurteilt. Doch der Bruder des Opfers glaubt nicht, dass er der Täter war – und will den Fall neu aufrollen.

Der dreiseitige offene Brief, den ein wütender Michael Herrmann im vergangenen Jahr an die Justiz des Freistaats Bayern und die Medien richtete, hat es in sich. Schon die Überschrift klingt nach Kampfansage: "Der Fall Ursula Herrmann oder die unbefriedigende juristische Aufarbeitung eines Verbrechens". Ein Satz am Ende des Schreibens beinhaltet pure Sprengkraft: "Für mich mehren sich Hinweise auf einen anderen, bisher nur mangelhaft untersuchten Täterkreis."

Michael Herrmann will, so kündigte er darin an, den brutalen Tod seiner kleinen Schwester in einer engen Holzkiste vor 38 Jahren endlich aufklären. Sie war entführt worden. Die Täter wollten Lösegeld von der Familie. Doch Ursula erstickte im hölzernen Gefängnis. Heute, ein dreiviertel Jahr nach dem offenen Brief des Bruders, ist klar, wen er im Visier hat.

Entführung erschütterte das Land

Spuren zu den Tätern, so hat sein Anwalt Joachim Feller bei der Staatsanwaltschaft als Ermittlungshinweis hinterlegt, könnten ins "Landheim Schondorf" führen, in ein Internat nahe am Tatort. Könnten Schüler des Instituts etwas mit dem Fall zu tun haben?

Die Entführung und der Tod der zehnjährigen Ursula Herrmann hat 1981 das Land erschüttert. Am 15. September des Jahres radelte das Mädchen entlang des oberbayerischen Ammersees vom Turnverein in Schondorf nach Hause nach Eching. Gegen 19.35 Uhr an diesem warmen Tag wurde das Kind im "Weingarten" überfallen, einem Waldstück mit viel Dickicht. Der oder die Täter sperrten Ursula in eine enge, nur 1,39 Meter lange Holzkiste mit metallenen Beschlägen. Sie setzten die Kiste, die mit Licht, Lebensmitteln, Western-Heften und Röhren zur Luftzufuhr ausgestattet war, in ein zwei Meter tiefes, zuvor gegrabenes Waldbodenloch.

Die Ausstattung der Kiste zeigt: Die Entführung schien auf Geldbeschaffung angelegt. Das Mädchen sollte wohl überleben. In Briefen, zusammengeklebt aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben, wurden die Eltern aufgefordert, zwei Millionen D-Mark zu zahlen. Doch zur Geldübergabe kam es nicht. Am 4. Oktober fand man die Kiste und darin die tote Ursula. Die Luftzufuhr-Bastelei hatte nicht funktioniert. Das Kind muss wenige Stunden nach der Entführung – bei vorheriger Bewusstlosigkeit – erstickt sein. "Vielleicht eine tröstliche Überlegung, dass das Mädchen keine Luftnot hatte", sagte Gutachter Wolfgang Eisenmenger später.

Nachbar der Herrmanns sitzt für Tat in Haft

Für die Tat büßt seit fast zehn Jahren der aus dem Ruhrgebiet stammende Werner M., heute 68. Er war Nachbar der Herrmanns am Ammersee. Bekannten gegenüber hatte er irgendwann gesagt, man müsse schon mal eine Entführung machen, um an Geld zu kommen. Solche Sätze, Widersprüchlichkeiten in seinen Aussagen und der Besitz eines Tonbandgeräts, das er für die Erpresser-Briefe begleitende "stille Anrufe" nur mit der Erkennungsmelodie des Bayerischen Verkehrsfunks genutzt haben soll, wurden dem Rundfunkhändler zum Verhängnis.

Es brachte ihm fast drei Jahrzehnte nach der Tat die Anklage ein. Zudem hatte ihn ein Zeuge belastet, der M. beim Graben des Loches geholfen haben wollte. Dieser Zeuge widerrief die Aussage zwar schnell und verstarb 2005. Dennoch: 2010 wurde Werner M. in einem Indizienprozess wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge zu lebenslanger Haft verurteilt.

Bruder des Mädchens glaubt an Unschuld von Werner M.

Der Musikpädagoge Michael Herrmann, der Bruder des getöteten Mädchens, hat mit der Zeit 25.000 Seiten Akten gelesen. Er hat dabei immer mehr Zweifel an der Täterschaft des Verurteilten bekommen: "Viel spricht dafür, dass seit zehn Jahren ein Unschuldiger im Gefängnis sitzt. Die Menschen, die den Tod meiner Schwester zu verantworten haben, leben in Freiheit", sagt er.

Er führte einen Zivilprozess gegen den Einsitzenden um Schadenersatz – allerdings nur, um eine Wiederholung der Beweisaufnahme zu erzwingen. Er gab in Eigenregie Untersuchungen in Auftrag, um bisher mutmaßlich vernachlässigten Verdachtsmomenten nachzugehen. Mit ihnen werden sich jetzt Kripo und Staatsanwälte in Oberbayern beschäftigen müssen. Werden die von Herrmann bedachten Indizienstränge heutige Entscheider überzeugen können?

Das Kabel: Am Tatort fanden die Ermittler einen 80 Meter langen Klingeldraht. Er schien einer Kommunikationsverbindung gedient zu haben. Sie ließen ihn liegen, das Asservat verschwand zunächst spurlos. Erst zwei Jahre später fanden sie es in einem Zimmer des naheliegenden Internats wieder. In dem Zimmer lebten zwei Schüler. Sie sagten damals, sie hätten das Kabel im Wald gefunden, auf der Suche nach Eulen. Die Ermittler glaubten ihnen.

Der Abdruck: Der Bruder der toten Ursula gab bei einer Londoner Expertin die 1981 eingegangenen Erpresserbriefe zur Untersuchung. Sie stellte auf den Rückseiten Abdrucke eines mathematischen "Baumes" fest, einer Grafik, die Oberstufenschüler im Mathematikunterricht nutzen. Für Michael Herrmann ist das eine wichtige Spur in die Lehranstalt hinein.

Die Werkstatt: Der Bau der Kiste, in der Ursula Herrmann starb, war nicht unkompliziert und zudem zeitraubend. Wahrscheinlich wurde an ihr bereits seit dem Frühsommer 1981 gearbeitet. Rund 100 Löcher waren in die Zuleitungen gebohrt. Sie wurde durch zehn Metallverschlüsse zusammengehalten – offenbar spezielle, die in einer Schlosserei gefertigt wurden. Zum Internat gehörten Schreinerei und Schlosserei genau wie die Ausbildung der Schüler in diesen Fachbereichen.

Wollte jemand Ermittlungen verhindern?

In der Diskussion vor Ort spielen seit geraumer Zeit weitere Merkwürdigkeiten eine Rolle. Der Vater eines der Schüler betrieb im benachbarten Kaufering zur Tatzeit eine Straßenmarkierungsfirma. 1.700 baunahe Firmen in Bayern waren nach der Entdeckung der Leiche von der Polizei angeschrieben worden, ob sie etwas mit Bitumenproben zu tun haben, die man an der Kiste fand. In den Akten entdeckte Michael Herrmann: Ausgerechnet das nahe Bauunternehmen des Vaters könnte eine solche Anfrage nicht bekommen haben.

Wollte irgendwer Ermittlungen verhindern? Michael Herrmann sagte dem Bayerischen Rundfunk: "Man hätte weiterforschen müssen. Aber ich glaube, die Forschungen beim Landheim, da wusste man schon von der Polizei, das ist nicht gern gesehen."

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Die Wiederaufnahme eines bereits durch Urteil abgeschlossenen Strafverfahrens ist schwer. Erst in wenigen Tötungsfällen gelang es bisher. Mehr als 30 Jahre nach der Tat geht das nur, wenn der Fall nicht verjährt ist. Es muss Mord vorliegen. Die Verurteilung von M. erfolgte ausdrücklich nicht wegen Mordes.

Herrmann greift deswegen zum juristischen Schachzug: In der Kiste fand man keinerlei Spur eines Überlebenskampfes seiner Schwester. Ursula sei schon bei der Entführung durch eine Überdosis Betäubungsmittel sediert worden. In der vermuteten Überdosierung liege ein bedingter Vorsatz. Der könne juristisch Mord bedeuten.


Die Augsburger Staatsanwälte wollen sich einige Wochen Zeit nehmen, um die eingereichten Unterlagen sorgfältig zu prüfen – um dann, 38 Jahre nach der Entführung der zehnjährigen Schülerin, erneut zu entscheiden. Bayerns Innenminister und Namensvetter der Familie, Joachim Herrmann, verspricht: Es wird ein faires Verfahren.

Verwendete Quellen
  • Offener Brief von Michael Herrmann
  • Artikel in der "Abendzeitung"
  • Artikel in der "Augsburger Allgemeinen"
  • Artikel des Bayerischen Rundfunks
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