"Eklatante Ungereimtheiten" Verteidigung fordert Einstellung des Chemnitz-Prozesses
Im Prozess um die tödliche Messerattacke von Chemnitz beantragt die Verteidigung des angeklagten Syrers die Einstellung des Verfahrens und eine Aufhebung des Haftbefehls. Es mangele an handfesten Beweisen.
Der Totschlagprozess gegen einen Asylbewerber aus Syrien beginnt wie erwartet mit einem Antrag der Verteidigung. Sie hat Zweifel daran, dass das Verfahren fair abläuft, weil die Stimmung in Sachsen damals wie heute aufgeheizt ist.
Tatzeit, Tatort und Motiv seien bisher unklar. Die Verteidigung sprach von "eklatanten Ungereimtheiten". Der 23 Jahre alte Asylbewerber soll laut Anklage gemeinsam mit einem auf der Flucht befindlichen Iraker im August 2018 in Chemnitz einen 35-jährigen Deutschen mit Messerstichen getötet und einen weiteren Mann schwer verletzt haben. Der Angeklagte hatte die Tat stets bestritten. "Unser Mandant ist unschuldig", so die beiden Verteidiger des Angeklagten.
Fragenkatalog an die Richter
Noch vor Verlesen der Anklage legte Verteidigerin Ricarda Lang in Dresden einen Fragenkatalog vor, der die Einstellung der Berufs- und Laienrichter erhellen soll. Lang will unter anderem wissen, ob die Richter Mitglieder oder Unterstützer der AfD oder der islamfeindlichen Pegida-Bewegung sind, ob sie an Demonstrationen infolge der Messerattacke teilnahmen und wie sie zu Flüchtlingen insgesamt stehen. "Die Einstellung der Richter zur Flüchtlingsfrage ist entscheidend für ein faires Verfahren", sagte Lang.
Die Verteidigerin ging in einer Art Chronologie auf die Ereignisse in Chemnitz ein, die nach dem Tod des 35 Jahre alten Daniel H. am 26. August 2018 unter anderem in ausländerfeindlichen Ausschreitungen sowie Angriffen auf Flüchtlinge und ausländische Restaurants in der Stadt gipfelten. Der Beschuldigte, der 2015 als Flüchtling nach Deutschland kam, entspreche dem "erklärten Feindbild" jener Menschen, die die AfD unterstützen, sagte Lang. Sie ging auch auf eine Äußerung der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) ein. Diese habe die Hoffnung geäußert, dass der Beschuldigte verurteilt wird, ohne das Verfahren zu kennen. Es gebe den Verdacht, dass von politischer Seite Einfluss auf das Verfahren genommen werde.
Äußerst knappe Anklage
Das Gericht setzte die Verhandlung bis zu einer Entscheidung über den Antrag fort. Danach wurde die äußerst knappe Anklage verlesen. Demnach wird der 23 Jahre alte Syrer beschuldigt, gemeinsam mit einem auf der Flucht befindlichen Iraker Ende August 2018 den 35-jährigen Deutschen mit mehreren Messerstichen getötet und einen anderen Mann lebensbedrohlich verletzt zu haben. "Er wird beschuldigt, einen Menschen getötet zu haben, ohne Mörder zu sein", hieß es. Angeklagt sind Totschlag, versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung. Der Angeklagte bestreitet die Tat.
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Als Nebenkläger sind neben der Mutter und der Schwester des Opfers auch der beim damaligen Tatgeschehen schwer verletzte Mann zugelassen. Das Gericht hat über 50 Zeugen geladen. Für den Prozess sind bis zum 29. Oktober insgesamt 24 Verhandlungstage angesetzt. Im Vorfeld war die Verteidigung des Angeklagten vor dem Bundesgerichtshof mit dem Antrag gescheitert, den Prozess außerhalb von Sachsen, Thüringen und Brandenburg durchzuführen. Verteidigerin Lang hatte das vor allem mit der Stimmung in den drei Ländern begründet, in denen in diesem Jahr Landtagswahlen stattfinden. Die AfD hatte seinerzeit in Chemnitz nach der tödlichen Messerattacke zu Demonstrationen aufgerufen.
Zuschauer und Medienvertreter mussten am Montagvormittag eine Sicherheitsschleuse passieren, um in den Saal zu gelangen. Das Verfahren vom Landgericht Chemnitz wurde aus Sicherheitsgründen und wegen des großen öffentlichen Interesses in den Sicherheitssaal des Dresdner Oberlandesgerichtes verlegt.
- Nachrichtenagentur dpa