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Vatikan: Als Emanuela und Mirella für immer verschwanden


Verbindung zum Vatikan?
Als Emanuela und Mirella für immer verschwanden

28.11.2018Lesedauer: 4 Min.
Mirella und Emanuela (v.l.): Die beiden 15- und 16-jährigen Mädchen verschwanden 1983 aus Rom.Vergrößern des Bildes
Mirella und Emanuela (v.l.): Die beiden 15- und 16-jährigen Mädchen verschwanden 1983 aus Rom. (Quelle: t-online.de/imago-images-bilder)
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Seit 1983 werden in Rom zwei junge Mädchen vermisst. Sie hatten Beziehungen in den Vatikan. Spekulationen reißen nicht ab: Was hat die Kirche mit der Entführung zu tun?

Mit wachsender Spannung haben die Bürger der italienischen Hauptstadt in den ersten Novembertagen die Geschehnisse vor der Villa Georgina verfolgt. Römische Polizisten hoben im Garten der apostolischen Nuntiatur in der Via Po Erde aus. Sie bargen Schädel und Skelettteile, die bei Bauarbeiten gefunden worden waren. Forensiker unterzogen die Knochen einer DNA-Analyse.

Am Ende war klar: Es wird eine Mordermittlung eingeleitet. Aber die Funde sind Opfern zuzuordnen, die vor dem Jahr 1964 umgekommen sein müssen. Die Gerüchte, sie könnten die sterblichen Überreste von Mirella Gregori,16, und Emanuela Orlandi,15, sein, sind falsch. Roms geheimnisvollster Kriminalfall und die Verwicklungen des Vatikans darin bleiben ungeklärt – so, wie sie es seit dem spurlosen Verschwinden der Mädchen 1983 sind.

Sündenfälle im Gottesstaat

Der Vatikan ist der kriminellste Staat der Welt, legt man den Fallzahl-pro-Einwohner-Maßstab an, der üblicherweise die Sicherheit der Staaten auf der Erde misst. Die Täter stammen meist aus den Reihen der 18 Millionen jährlichen Besucher, sind mehrheitlich Handtaschendiebe und verdrücken sich regelmäßig über die vor den alten Mauern verlaufende Grenze nach Italien.



Auf dem 0,44 Quadratkilometer großen Territorium mit seinen rund 800 Staatsbürgern legen aber auch hausgemachte Delikte zu: Korruption, Geldwäsche und Kinderpornografie nennt Gian Piero Milano, der vatikanische Generalstaatsanwalt. 1998 kam es zum gewaltsamen Tod von Alois Estermann, dem Chef der Schweizergarde, und seiner Frau Gladys Romero. Der Gardist Cedric Tournay soll der Mörder gewesen sein und Suizid begangen haben. Was hoch umstritten blieb. Doch Entführungen? Ein gezielter Mord an jungen Mädchen vielleicht? Ist so etwas im Umfeld einer Institution möglich, die qua Amt die Nächstenliebe predigt?

Verschwunden im grünen BMW: Emanuela Orlandi

Der 22. Juni 1983. Emanuela Orlandi ist die Tochter eines vatikanischen Beamten, die jüngste Bürgerin der Vatikanstadt. Sie ist hübsch, schlank und trägt ihr kastanienbraunes Haar schulterlang. Sie spielt Querflöte und will an diesem Frühsommertag zur Musikschule. Ihren Bruder Pietro bittet sie, sie mit dem Motorrad hinzubringen. Der hat keine Lust.

Emanuela kommt zu spät zum Unterricht. Jemand habe sie unterwegs angesprochen und ein Jobangebot beim Konzern Avon gemacht, erzählt sie ihrer Schwester begeistert, als sie später zu Hause anruft: Die Präsentation von Kosmetikprodukten bei einer Modeschau im Palazzo Barberini – gegen gutes Geld natürlich. Zeugen berichten überdies, sie hätten sie mit einem etwa 30-jährigen Mann zusammen stehen sehen. Sie sei in einen grünen BMW gestiegen. Der Fahrer des BMW wird nie ermittelt. Nach Hause kehrt sie an diesem Abend auch nicht zurück. Sie ist nie mehr zurückgekommen.

"Mario" und "Pierreluigi" melden sich

Suchmeldungen erscheinen in den Tagen darauf. 3.000 Plakate mit dem Bild der Vermissten hängen in der Stadt. Der Papst schaltet sich ein. Er bittet die Entführer, das Mädchen freizulassen. Für die verzweifelte Familie beginnt ein Albtraum. Anrufe gehen ein. Ein "Pierreluigi" ist am Apparat, dann ein "Mario". Emanuela soll ihnen vom Avon-Angebot erzählt haben. Barbara oder Barbarella habe sie sich da genannt.

Am 5. Juli schließlich meldet sich jemand, der seinen Namen nicht nennt. Die Tochter sei in der Hand der "Türkischen antichristlichen Befreiungsfront Türkesch". Der Unbekannte verlangt die Freilassung von Mehmet Ali Agca aus italienischer Haft. Der Austausch solle am 20. Juli erfolgen. Es gehen zwei Erpresserschreiben ein. Sie sind in Frankfurt am Main und im schweizerischen Olten abgeschickt worden.

Mehmet Ali Agca ist der Mann, der zwei Jahre zuvor auf dem Petersplatz den Papst schwer verletzt hat. Johannes Paul II. hat die Schüsse aus geringster Entfernung nur knapp überlebt. Ali Agcas Tatmotive sind eher rätselhaft, wechseln von Vernehmung zu Vernehmung.

Einen Austausch aber? Den lehnt er strikt ab. Und die Organisation namens "Türkesch"? Gibt es gar nicht, glauben die Ermittler.

Ex-Priester Amorth: Orlandi wurde ermordet

Was haben sie denn geglaubt? Zunächst, dass Mädchenhändler am Werk waren.

40 Tage zuvor, am 7. Mai 1983, war Mirella Gregori verschwunden. Sie war ein Jahr älter als Emanuela. Auch sie hatte Kontakte in den Vatikan. Auch von ihr fehlt bis heute jede Spur. Die beiden Fälle vermischen sich in den Jahren darauf in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend zu einem einzigen, mit Spekulationen beladenen Komplex. Nur die Verdächtigten wechseln in geradezu absurden Volten.

Gab es ein "Verbrechen mit sexuellem Hintergrund", inszeniert durch vatikanische Pädophilenkreise und als "Nachschub" für wilde Partys gedacht, wie der Ex-Priester Gabriele Amorth sagt? Orlandi sei ermordet, ihre Leiche beseitigt worden.

Stasi und Mafia unter Verdacht

Hat die Staatssicherheit der früheren DDR die Entführungen gesteuert, um von der kommunistischen, "bulgarischen Spur" abzulenken, die hinter Ali Agcas Anschlag auf den antikommunistischen Papst vermutet wurde? Dafür will der Untersuchungsrichter Ilario Martella Belege in Stasi-Unterlagen gefunden haben. Er hat einen deutschen Benediktinerpater und Informellen Mitarbeiter der Stasi in Verdacht.

Hat die italienische Mafia Emanuela Orlandi entführt, um vom Heiligen Stuhl Geld zu erpressen, wie Staatsanwalt Giancarlo Capaldo aufgrund von Zeugenaussagen annimmt? 2012 hat man das Grab des Mafiosi Enrico de Pedis geöffnet, um zu prüfen, ob hier auch die Gebeine von Emanuela liegen könnten. Ohne jedes belastbare Ergebnis.

Vatikan sorgte für gezielte Desinformationen

Erst 2017 wurde dem Autor Emiliano Fittipaldi eine angebliche Kostenaufstellung des Vatikans zugespielt, nach der Orlandi bis 1997 in einem Internat in England gelebt habe. Dann sei dort ein Eintrag gewesen: "Transfer in den Vatikan für die Vollführung finaler Prozeduren" – was wie ein kaum verkappter Hinweis auf eine geplante Hinrichtung klingt.

Der Heilige Stuhl stritt die Echtheit sofort ab. Doch die Spekulationen, die nicht abreißen wollen, erklären sich vor allem durch die hohe Mauer, die die Kirche selbst gegenüber den Ermittlungsbehörden aufbaut. Schon 1994 sagte Vincenzo Parisi, der Vizechef des italienischen Geheimdienstes: "Die gesamte Angelegenheit Orlandi war durch eine ständige Verweigerungshaltung vonseiten des Heiligen Stuhls gekennzeichnet." Parisi glaubt: Der Vatikan habe selbst in Kontakt mit den Entführern gestanden. Er habe nichts davon weitergegeben. "Es hat zahlreiche Vertuschungsmanöver gegeben" – ja, selbst gezielte Desinformation.

Verwendete Quellen
  • Stern: Entführung im Vatikan – Wo ist Emanuela Orlandi?
  • Wiener Zeitung: Knochen in Rom stammen nicht von Orlandi
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