Wer tötete acht Liebespaare? Das Monster von Florenz
Ein Serienkiller tötet in der Toskana der 70er- und 80er-Jahre Liebespärchen auf sehr grausame Weise. Wer oder was steckt hinter dem "Monster von Florenz"? Ein perverser Einzeltäter? Oder doch eine Satanistensekte von Angehörigen einflussreicher Kreise? Bis heute ist das Rätsel nicht gelöst.
Jens Uwe Rusch und Horst Meyer aus dem niedersächsischen Landkreis Diepholz wollen eine Auszeit nehmen. Die 24-Jährigen packen ihren VW Samba-Campingbus voll und brechen Richtung Toskana auf. In Galluzo im Südwesten von Florenz parken sie ihr Fahrzeug mit dem Kennzeichen DH-EK 42 auf einem abgelegenen, von Ginstern umwachsenen Platz. Sie haben in der dunklen Neumondnacht vom 9. auf den 10. September 1983 das Radio eingeschaltet und lesen noch, als mehrere Schüsse die Seitenscheiben des Samba zerfetzen. Die beiden deutschen Camper werden von sieben Kugeln getroffen. Sie sind sofort tot.
Was danach passiert ist, gibt den italienischen Fahndern, die später am Tatort eintreffen, zunächst Rätsel auf. Schnell wird ihnen aber klar: Hier muss der unbekannte Serienkiller am Werk gewesen sein, der seit Jahren Liebespaare in der Toskana geradezu abschlachtet. Ihre These: Der Täter hat nach dem Mord die Samba-Schiebetür geöffnet und erkannt, dass Jens Uwe Rusch trotz seiner schmalen Figur und der langen, blonden Haare kein Mädchen ist. Er hat seinen Irrtum eingesehen und den Rückzug angetreten, ohne das bekannte Ritual zu vollziehen. Ohne, wie sonst, ein Taucher- oder ein Schustermesser anzusetzen und die Genitalien des Opfers herauszuschneiden. Das hat er nur bei den jungen Frauen gemacht.
1983, ein Jahr, geprägt von Anschlägen und politischer Gewalt
Jens Uwe Rusch und Horst Meyer aus Niedersachsen sind wie andere junge Italiener und Franzosen, Opfer der größten Mordserie geworden, die das Land am Mittelmeer heimgesucht hat. Der (oder die?) Mörder, der geschossen hat und die mittelalterliche, weltberühmte Stadt über fast zwei Jahrzehnte in Angst versetzt hielt, muss entweder selbst abartige Verhaltensweisen gezeigt haben, oder er hat die Brutalitäten im Auftrag einflussreicher Kreise verübt, wie es einer der Chefermittler nicht ausschließen will – als Beschaffer menschlicher Körperteile für satanische Rituale. Kann das sein? Diese Geschichte handelt von hilflosen jungen Opfern, von menschlichen Abgründen, Behördenversagen und Eifersüchteleien. Und sie ist ein Stück Zeitgeschehen.
Italien 1983. Das Land ist geprägt von Anschlägen und politischer Gewalt. Linke und rechte Terroristen sprengen, schießen, morden. 1978 war Ministerpräsident Aldo Moro entführt und umgebracht worden. Erst drei Jahre zuvor ist der Hauptbahnhof von Bologna in die Luft geflogen. 88 Menschen haben das nicht überlebt. Die Mafia ermordet skrupellos Polizeichefs und Staatsanwälte. Der Papst kommt nach einem Attentat auf dem Petersplatz knapp mit dem Leben davon. Im Hintergrund agiert die geheimnisvolle Loge P2. Wer hinter welchen Verbrechen steckt, das ist nie ganz klar.
16 Opfer auf dieselbe Weise ermordet
Jetzt wütet das "Monster von Florenz". Seine Brutalität ist so außergewöhnlich wie der Umfang der Straftaten. Es ist seit spätestens 1974 unterwegs. Immer in dunklen Neumondnächten. Immer zwischen Juli und September. Immer in den grünen Hügeln rund um die toskanische Metropole, die für ihre hochgewachsenen Zypressen berühmt sind. Und: immer mit der Beretta Kaliber 22, mit Winchester-Patronen und dem eingekerbten H auf ihrem Hülsenboden.
Fünf Liebespaare hat das "Monster" bis zu diesem Zeitpunkt umgebracht. Zwei weitere werden der Nacht von Galluzo, in der sich der Täter im Geschlecht des einen Opfers geirrt hat, noch folgen. 16 Tote werden es am Ende sein, zählt man einen Doppelmord hinzu, der viel früher 1968 in Signa verübt wurde und der in den Ermittlungen noch eine Rolle spielen wird.
Die Todesliste schockiert: Neun junge Männer. Sieben junge Frauen. Vor allem die Leichen der Frauen sind, so stellen es die Gerichtsmediziner fest, meist nach dem Tod und voller Wut mit dem Messer entstellt worden. Doch keine der Frauen hat der Täter vergewaltigt oder sexuell bedrängt. Sex mit Tötungsabsicht? Das war nicht der Plan.
Florenz hat 370.000 Einwohner. Vier Millionen Besucher aus aller Welt drängeln sich jährlich durch die Gassen zwischen dem Kopfbahnhof Santa Maria Novella und den Boboli-Gärten auf der anderen Arno-Seite. Wer die Werke Michelangelos oder Leonardo da Vincis sehen will, wer Uffizien oder Palazzo Vecchio besuchen möchte, der muss Tickets vorbestellen. Doch das am helllichten Tag so weltoffene Florenz ist in den 70er- und 80er-Jahren nachts noch immer die scheue, prüde, streng katholische Stadt. Wer von ihren jungen Leuten nicht verheiratet ist, der muss, sollen die Eltern nichts von der Beziehung erfahren, zur Zweisamkeit mit dem Auto weit raus ins Hügelige fahren. Dort liegen die Tatorte des "Monsters".
Alle Frauenleichen verstümmelt
Steffania Pettini (18) und Pasquale Gentilcore (19) fahren am 13. September 1974 mit ihrem Fiat 127 nach Borgo San Lorenzo, 30 Kilometer im Norden der Renaissancestadt. Hier hat sie ihr Mörder erschossen. Als ein Passant die Körper der Ermordeten findet, weist der von Pettini 90 Stichwunden um Scham und Brüste auf.
Am 7. Juni 1981 geht ein Polizeihauptmeister mit seinem 10-jährigen Sohn spazieren. Er trifft bei Scandicci auf den roten Fiat Ritmo – und im Wagen auf die Leichen von Giovanno Foggi (30) und seiner Freundin Carmela di Nuccio (21). Die beiden sind von Kugeln durchsiebt. Der jungen Frau fehlt die Scham.
22. Oktober 1981, Calenzano. In ihrem VW sterben die 24-jährige Susanna Cambi und der 26 Jahre alte Freund Stefano Baldi. Die Schüsse durch die Frontscheibe des Fahrzeugs töten die beiden nicht sofort. Der Täter setzt mit dem Messer nach. Auch Cambis Leiche wird verstümmelt aufgefunden.
19. Juni 1982. Bei Montespertoli bringt das "Monster", wie der Mörder längst getauft ist, die Camper Paolo Mainardi und Antonella Migliorini, 22 und 20 Jahre alt, um. Während seine Freundin sofort stirbt, flieht Mainardi verletzt, nimmt aber die falsche Richtung. Im Wald holt der Täter ihn ein und schneidet ihm die Kehle durch.
Nur ein Dreivierteljahr nach dem "Irrtumsmord" an den beiden deutschen Männern aus Niedersachsen am 9. September 1983 werden im Juli 1984 der 21-jährige Claudio Stefanacci und seine 18-jährige Begleiterin Pia Rontini in ihrem Fiat Panda tot aufgefunden. Der Tatort liegt bei Vicchio. Die Brust von Pia Rontini fehlt.
Schlagartig endet die Mordserie
Tötet der Unbekannte in einem Rhythmus? Wartet er, abgesehen von den ersten jahrelangen Lücken, zwischen 10 und 14 Monate, bevor er das nächste Mal zuschlägt? Die Polizei geht verstärkt Streife, viele junge Italiener meiden die Hügel.
8. September 1985. Die beiden Franzosen Jean Michel Kraveichvili (25) und Nadine Mauriot (36) wissen wahrscheinlich nichts von der Gefahr oder ignorieren sie. Ungewarnt treffen sie in San Casciano im Pesatal auf den Unbekannten. Das "Monster" erschießt die Toskana-Touristen und verstümmelt danach die Frau. In dieser Neumondnacht im September stoppt die Furcht einflößende Serie. Schlagartig. Die Franzosen waren die letzten Opfer. Irgendetwas ist passiert.
In den Jahren der "Monster-Morde" hat sich Angst in die Psyche von Florenz gegraben. "Es herrschte Hoffnungslosigkeit", umschrieb später ein leitender Fahnder die Stimmung. Die Wut der Einwohner richtet sich gegen Politiker und Polizisten. Gerüchte bestimmen die Gespräche in der Stadt: Ist es wirklich nur ein Geisteskranker, der da tötet? Oder ist der Täter Arzt? Ein Chirurg? Ein Metzger? Plakate an Säulen warnen: "Junge Leute. Vorsicht!". Die Politik schlägt in ihrer Hilflosigkeit vor, mit Stacheldraht umzäunte und durch bewaffnete Posten geschützte "Liebesparks" zu bilden. Doch die Liebespaare machen ihr eigenes Ding. Sie bilden in den Hügeln mit ihren Fahrzeugen selbst die Wagenburgen: Ein Paar schiebt Wache, während sich die anderen vergnügen dürfen. Dann ist Schichtwechsel.
Ermittlungen führen oft ins Leere
In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre läuft die bisher größte Fahndung der italienischen Geschichte an, in die sich, wie später herauskommt, aus unbekannten Gründen auch Italiens Inlandsgeheimdienst einmischt. Die Polizei befragt bis zu 100.000 Menschen. Sie überprüft 40.000 Beretta-Besitzer. Herausgefiltert werden: Männer, alleinstehend, vielleicht bei der Mutter wohnend. Am Ende bleibt eine Liste mit 89 Namen, die irgendetwas mit den nächtlichen Morden zu tun haben könnten.
Das Problem ist: Die breit angelegte Fahndung führt auch auf falsche Spuren. Eine erste Festnahme hatte es noch weit vor der letzten Tat gegeben. Sie traf den Kraftfahrer Enzo Spatelli. Doch während seiner Untersuchungshaft war die Polizei zum nächsten Doppelmord gerufen worden. Spatelli konnte es nicht sein. Vier weitere Verdächtige kommen im Laufe der Zeit wieder frei. Ein Friseur bringt sich um, weil Bekannte ihn auf einem Phantombild der Polizei wiedererkannt haben wollen.
In die Irre scheint auch die "sardische Spur" zu gehen. Ihr Ausgangspunkt ist die Tat von 1968, der Mord, von dem die Ermittler nicht wissen, ob er überhaupt zum "Monster-Komplex" gehört. Am 22. August des Jahres waren auf einer Landstraße bei Signa westlich von Florenz die Sardin Barbara Locci und ihr Liebhaber Antonio Lo Bianco in ihrem Alfa umgebracht worden. Ein Gericht hatte Loccis eifersüchtigen Ehemann Stefano Mele schuldig gesprochen und für 13 Jahre in Haft geschickt. Die Tatwaffe, eine Pistole vom Kaliber 22, war seither verschollen. Jetzt, mehr als ein Jahrzehnt danach, machen Tathergang und Waffe eine Verbindung zur Killerserie möglich. In den beteiligten Familien gibt es kriminelle Vorleben. Doch Mele hatte längst eingesessen, als der Unbekannte draußen mordete. Was ist mit dem sardischen Umfeld der Opfer? Auch hier führt die Ermittlung ins Leere.
Täter schickt Körperteile an Ermittler
Es nutzt nichts, dass Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro eine Belohnung von umgerechnet 250.000 Euro aussetzt. Die Ermittler stecken fest. Der Täter bleibt über Jahre nicht nur unerkannt. Er leistet sich gerne makabere Scherze mit den Verfolgern. Zweimal bekommen Staatsanwälte Post – mit Körperteilen der weiblichen Opfer. Ein Fahnder hat nach dem Tod Mainardis und Migliorinis nachts per Telefon eine anonyme Drohung erhalten: "Ich kann ein Massaker anrichten".
Ruggero Perugini, der Leiter der Squadra Anti Mostro, wie die "Anti-Monster-Ermittler" sich nennen, ist sicher, dass der Mörder sehr eigene Motive hat: Nicht das Erschießen der Opfer sei der Kern. "Die Schändung ist das Entscheidende". Perugini hat enge Drähte zum amerikanischen FBI. Das hilft 1989 mit einem Gutachten zum Täterprofil und kommt zum Resultat: Der Täter handelt allein. Er leidet womöglich an sexuellen Störungen. Seine Taten kann man als "Lustmorde" bezeichnen. Die Verstümmelung ist das eigentliche Ziel. Die Opfer sind zufällig die Opfer, zur falschen Zeit am falschen Ort, und ihr Mörder kennt die Gegend rund um Florenz gut und dort die Plätze, die die jungen Leute gewöhnlich aufsuchen.
Doch auch nach der Hilfe aus Amerika ist offen: Wer ist der Täter? Wo lebt er? Und in Ansätzen bleibt ein erster schlimmer Zweifel: Handelt er wirklich allein?
Anonymes Schreiben macht auf einen Mann aufmerksam
Dabei liegt ein Hinweis zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre vor. Wenige Tage nach dem letzten Mord 1985 war ein anonymes Schreiben bei der Polizei eingegangen. Irgendwie blieb es seither unbeachtet: "Würden Sie bitte so schnell wie möglich unseren Mitbürger Pacciani Pietro verhören, geboren in Vicchio, wohnhaft Piazza del Populo, Mercatale V.P." In zwei Sätzen wird sein krimineller Lebenslauf wiedergegeben – und am Schluss gewarnt: "Er ist ein hervorragender Schütze".
Endlich, im Juni 1990, kommen die Ermittlungen gegen den 65-Jährigen in Gang. Paccianis Vita ist belastet: Als junger Mann hat er einen Nebenbuhler umgebracht. Seine Frau und die zwei Töchter Rosana und Gabriella kennen ihn gewalttätig. Er kann mit Schusswaffen umgehen und ist dort heimisch, wo auch die Tatorte des "Monsters" waren. Er büßt eine Haftstrafe ab, weil er seine Töchter missbrauchte.
Hausdurchsuchungen ergeben Interessantes: Eine Patrone vom Typ, den auch der Täter einsetzte. Ein deutscher Notizblock, der in der Gegend des niedersächsichen Osnabrück für 4,60 D-Mark gekauft wurde – so, wie nicht wenige andere Asservate immer wieder deutsche Bezüge haben. Auch stellen die Ermittler eine Boticelli-Kopie sicher, auf der ein Mädchen eine Halskette im Mund trägt. Einem der Opfer des Monsters hatte der unbekannte Täter die Halskette in den Mund gestopft.
Vor allem: Pacciani ist seit 1987 im Gefängnis. Es ist ein entscheidendes Indiz. Könnte das der Grund gewesen sein, weshalb die Serie 1985 plötzlich zu Ende war?
Ermittler glauben nicht an Pacciani als Einzeltäter
Im Januar 1994 beginnt die Hauptverhandlung gegen den Mann. Sie wird zum Spektakel. Der US-Schriftsteller Thomas Harris nutzt die Details des Falls, um sich für seine Romane "Das Schweigen der Lämmer" und "Hannibal" zu munitionieren. Der Angeklagte wütet im Gerichtssaal, streitet alle Taten ab und wird dabei von einem Teil der Öffentlichkeit durch Briefe an "Opa Pietro" unterstützt. Eine Fan-Gemeinde bildet sich. "Liebes Monster, ich hab dich gern", schreiben Studentinnen. "Du bist ein wunderbarer Mensch", heißt es im Brief einer Lehrerin.
November 1994. Pacciani wird zu 14 Mal Lebenslang verurteilt. Florenz und seine Fahnder atmen auf. Der Schlussstrich? Wieder kommt es anders. Der Verurteilte geht in die Berufung und wird 1996 freigesprochen. Die Begründung für den Freispruch lässt ganz Italien aufhorchen. Die Berufungsrichter glauben, dass er nicht alleine der Täter gewesen sein kann.
In Tatortnähe wurden mehrfach andere Fahrzeuge gesehen, einige Male auch mehrere herumschleichende Männer. Wer waren sie? Hätte ein in der bäuerlichen Feldarbeit tätiger Mittfünfziger überhaupt die Kraft, zum Beispiel den durchtrainierten und nur in die falsche Richtung geflohenen 22-jährigen Mainardi einzuholen und mit dem Messer umzubringen? Waren, um so einen Mord durchzuführen, nicht mindestens zwei Menschen nötig? Ist das "Monster" also in Wirklichkeit nicht eines, sondern drei, mehr oder viele?
Neuer Ermittler beginnt von ganz vorne
Es ist 1995, zehn Jahre nach der letzten Tat. Inzwischen ist Ruggero Perugini als Verbindungsbeamter in die USA abgeordnet. Ein neuer Chefermittler hat die kalt gewordenen Mordfälle von Florenz übernommen. Der ehrgeizige Michele Giuttari hat sich auf Sizilien Meriten als Mafiajäger verdient und frisst sich durch die "Monster-Akten". Er findet weitere Hinweise ganz im Sinne des Berufungsgerichts, das Pacciani nicht als Einzeltäter gesehen hat.
An mehreren Tatorten hatte man Abdrücke der Schuhgröße 44 gefunden. Paccianis Füße waren kleiner. Da waren Stofffetzen mit Blut der Gruppe B, die weder zu dem Bauern aus Mercatale noch zu den Toten gehörte. Wer hielt die Lampe, um die in den stockdunklen Neumondnächten erfolgten Schnitte präzise zu setzen? Dazu: Schussbahnen deuteten mal auf einen kleinen, dann auf einen viel größeren Schützen. Irgendwie passen für den Commissario die bisherigen Ermittlungsergebnisse nicht zusammen. Er beginnt ganz von vorne.
Nach kurzer Zeit verficht er die These, hinter der brutalen Serie stecke mehr als die perverse Fantasie eines Einzeltäters. Könnten nicht gehobene Kreise der italienischen Gesellschaft den Bauern Pacciani und einige seiner Freunde gesteuert haben? Drahtzieher aus Politik, Justiz, Wirtschaft? Giuttari sieht sich das persönliche Umfeld Paccianis an und weitet die Kreise möglicher Mittäter aus.
Enge Freunde von Pacciani im Visier
Zwei seiner engen Freunde kommen zuerst in Verdacht. Man hat zusammen getrunken. Man hat zusammen Prostituierte besucht. Es ist der Moment, in dem die Mutmaßungen ins Satanische abgleiten: Giuttari hält schwarze Messen für möglich, auch, dass weibliche Körperteile dafür als Opfergaben beschafft worden sein könnten. Die herausgeschnittenen Geschlechtsteile sprechen dafür. Die im Mordfall Cambi/Baldi am Tatort gefundene lackierte kleine Steinpyramide – ein einschlägiges Symbol, das später aus den Asservaten verschwand? Und steckte nicht eine Weinrebe in der Vagina einer der getöteten jungen Frauen?
Giancarlo Lotti und Mario Vanni, Paccianis alte Kumpel, kommen vor Gericht, wo sie sich in Widersprüche verwickeln und wegen der Beteiligung an vier der Morde zu langer Haft verurteilt werden. Der neue Ermittler in Florenz gräbt unbeirrt und gegen den Willen von Vorgesetzten weiter. Er findet aufgrund der Aussagen von Lotti und Vanni in ihrem Prozess Kanäle zu einem Apotheker und dem Arzt Francesco Narducci. Dessen Leiche ist nur Wochen nach der letzten Tat aus dem Trasimenischen See gefischt worden.
Verrennt sich Giuttari? Manches deutet darauf hin. Er lässt sich am Ende auf einen skurrilen Streit mit dem Autor Mario Spezi ein, der die "sardische Spur" von 1968 für vernachlässigt hält. Er lässt Spezi zeitweise sogar verhaften und wird dafür zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. 1998 ziehen ihn die Behörden vom "Monster-Fall" ab.
Seither ruhen die Ermittlungen. Lotti und Vanni sterben 2002 und 2009, ohne über mögliche weitere Hintergründe ausgesagt zu haben. Auch Pacciani hat seine 1996 kurzfristig erhaltene, neue, fragwürdige Freiheit nicht lange genießen können. Am 22. Februar 1998, dem Tag vor dem Urteil gegen Lotti und Vanni, hat man ihn tot in seiner Wohnung aufgefunden. Die Todesursache? Bis heute unklar. So, wie der ganze Fall des "Monsters von Florenz".
Fahnder Giuttari ist überzeugt: "Irgendjemand hat alle drei überlebt".
- Michele Giuttari, "Das Monster von Florenz", 2006
- Mario Spezi, "Die Bestie von Florenz", 2008