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Organisierte Kriminalität: Wie die Polizei gegen Araber-Clans vorgeht


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Organisierte Kriminalität
Wie die Polizei den Clans das Handwerk legen will

Von Dietmar Seher

Aktualisiert am 25.09.2018Lesedauer: 8 Min.
Razzia gegen einen Clan in Berlin: Dreieinhalb Monate nach dem spektakulären Diebstahl der 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum nimmt die Polizei zwei Verdächtige fest.Vergrößern des Bildes
Razzia gegen einen Clan in Berlin: Dreieinhalb Monate nach dem spektakulären Diebstahl der 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum nimmt die Polizei zwei Verdächtige fest. (Quelle: Paul Zinken/dpa-bilder)
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Arabische Familienclans schotten sich ab, häufen illegal Millionen an, haben ihr eigenes Rechtssystem. Experten sagen: Den Patriarchen muss die Machtbasis entzogen werden – vielleicht auch dadurch, dass man ihnen die Kinder wegnimmt?

Die Unterwelt ist in Deutschland international sortiert. Es gibt polnische, russische, litauische Mafia. Italienische natürlich. Doch nur eine kleine Gruppe von Tätern hat nach Einschätzung der Fahnder den höchsten Organisationsgrad und die höchste Professionalisierung. Das sind mit 48 Prozent "Potenzial" organisierter Kriminalität libanesische Kriminelle. Die Zahl nennt das Bundeskriminalamt in seinem jüngsten Lagebild. Das BKA hat im letzten Jahr 14 libanesische Gruppen im Visier gehabt. Meist sind das streng hierarchisch strukturierte Familienclans.

Gegen diese Clan-Kriminalität schlug, nach drei Jahren Ermittlung und Vorbereitung, die Berliner Polizei im Juli so heftig wie bisher nie zu. Sie beschlagnahmte 77 Immobilien der arabischen Großfamilie Remmo. Wert: 10 Millionen Euro. Die Sicherheitsbehörden nutzten ein neues Gesetz. Es gilt seit 2017 und macht die Sicherstellung von Vermögen möglich, wenn es im Zusammenhang mit einer Straftat stehen könnte.

Der Juli-Einsatz war nur der Auftakt. Seither verstärkt sich eine Art Straßenkrieg – innerhalb der Clans, zwischen Clans und zwischen Clans und der deutschen Polizei.

Im Berliner Bezirk Neukölln wurde am 9. September der Intensivtäter Nidal R. durch Schüsse aus Waffen der Revier-Konkurrenz regelrecht hingerichtet. Der 36-jährige starb vor einer Eisdiele am Rand des früheren Flughafens Tempelhof. 2000 Verwandte und Freunde kamen zur Beisetzung auf dem Apostel-Friedhof.

Im gleichen Zeitraum meldeten die Berliner Behörden verstärkt Gebrauch von Schusswaffen. Zwei Männer eines Clans wurden durch Schüsse aus einem Auto schwer verletzt. Der Imbiss eines Clanbosses wurde nachts unter Feuer genommen.

In Essen richtete sich Gewalt direkt gegen Vertreter des Staates: Zwei Polizisten sind Anfang des Monats bei der Kontrolle einer Shisha-Bar gezielt attackiert und zu Boden geworfen worden. Eine 26-jährige Polizistin erlitt Prellungen und Würgemale. Die Einsatzkräfte antworteten mit Razzien.

Wer sind diese Clans? Wie operieren sie?

Bei weitem nicht alle Mitglieder arabischer Großfamilien sind kriminell. Viele gehen geregelten Jobs nach, haben sich integriert. Aber wo die Clans operieren, tun sie das inzwischen nicht mehr nur auf den Feldern der klassischen Rotlicht-Kriminalität wie Drogenhandel, illegale Prostitution, Schutzgeld-Erpressung und Waffenhandel. Sie weiten ihre Aktivität auf den Handel mit Immobilien aus und vor allem auf den Betrug mit Sozialleistungen. Sie richten sich als "Call-Center-Mafia" ein und bringen – Vorbild "Enkeltrick" – ältere Menschen am Telefon um das Ersparte. Oder sie leisten mangelhaft sprachkundigen Flüchtlingen gegen Geld illegale "Hilfestellung" beim Führerscheinerwerb, in dem sie ihnen über Mini-Kameras während der Prüfung die richtigen Antworten übermitteln.

Mehr noch: Weil viele der Großfamilien ihre islamische Ausrichtung, den Zusammenhalt der Familie und ihr eigenes "Rechtssystem" mit bundesweit rund 30 bis 50 Friedensrichtern über das in Deutschland geltende Gesetz stellen, kann es auch zu massiven Verletzungen der Grundrechte kommen – und in diesem Zusammenhang zu Morden. Davor warnt Essens Polizeipräsident Frank Richter: "Wir haben selbst Todesurteile, die von Friedensrichtern gesprochen werden."

Auf besondere Brutalität stießen seine Leute in diesem Mai. In der Ruhrgebiets-Stadt gab es mutmaßlich einen Versuch, ein solches Todesurteil zu vollstrecken. Weil eine über einen "Kaufvertrag" und gegen Geld und Gold zwangsverheiratete 17-Jährige aus einem syrischstämmigen Clan eine heimliche Affäre mit einem jungen Mann einging, lauerte eine achtköpfige Männergruppe dem 19-jährigen Liebhaber auf. Sie stach mit Messern in Bauch und Lunge des Opfers, schlug mit Latten auf ihn ein und skalpierte die halbe Kopfhaut.

Das Opfer überlebte. Es sagte vor der Polizei aus. Es kam zu zwölf Festnahmen und Anklagen wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen. Unter den Festgenommenen war ein Friedensrichter. Bei der Vernehmung sagte ein Beteiligter, es sei "Brauch in Syrien", dass nach einem Ehebruch beide Beteiligten getötet würden.

Wie kamen die Clans ins Land?

In Deutschland leben nach groben Polizeischätzungen zwischen 100.000 und 200.000 Menschen als Mitglieder arabischer Großfamilien. Sie sind in den 1970er und 1980er Jahren meist aus dem Libanon als Asylbewerber gekommen, ein Teil nutzte 1989 und 1990 auch die zwischen Mauerfall und Einheit über elf Monate offene Grenze zwischen DDR und alter Bundesrepublik, um einzuwandern. Andere kamen mit den Flüchtlingswellen in diesem Jahrtausend. Viele von ihnen zählen zu den Mhallami-Kurden, deren Heimat ursprünglich die Provinz Mardin in der Südosttürkei war. Andere sind palästinensischer Herkunft.

Welche Familien stehen besonders unter Verdacht?

Vier Großfamilien sind speziell im Visier der Ermittler. Die Remmo leben in Berlin, Bremen und Essen. Spektakuläre Kriminalfälle werden mit ihnen verbunden: Der Raub einer fast vier Millionen Euro teuren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum und der Überfall auf eine Sparkasse mit neun Millionen Euro Beute. Die aus Palästina stammenden Abou Chaker verdienen Geld im Rotlichtmilieu. Arafat Abou Chaker, früher eng mit dem Rapper Bushido verbandelt, muss sich in Berlin demnächst vor Gericht verantworten. Die libanesichen Miri sind stark in Bremen heimisch. Ihre Claims: Der Handel mit Drogen und die Erpressung von Schutzgeld. Die Al Zeins sind in der Hauptstadt, dann aber verstärkt auch im Ruhrgebiet aktiv.

Warum wurden die Großfamilien kriminell?

Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban ist selbst im Libanon geboren und gehört zu den Beratern des Bundeskriminalamtes. Schon 2008 warnte er in einem Vortrag in der Alten Synagoge in Essen: "Flüchtlinge aus dem Libanon führen seit Jahren die Kriminalitätsstatitistiken an." Dazu nannte er Zahlen aus Berlin: Männliche junge Libanesen seien 14-mal häufiger inhaftiert, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Und: "Unverhältnismäßig viele Serientäter, 46 Prozent, stammen aus arabischen Familien, zumeist Libanesen, Mhallami-Kurden und Palästinenser."

Ghadban ist Autor des Buches "Arabische Clans: Die unterschätzte Gefahr", das im Econ-Verlag erscheint und am 12. Oktober in den Handel kommt. Darin macht er klar, dass einerseits eine deutsche Illusion über ein funktionierendes "Multikulti", andererseits eine mangelnde Integration in Deutschland zu einer starken Abkapselung der Großfamilien geführt hat, die engen familiären Zusammenhalt und Unterstützung bieten und in denen der Patriarch das alleinige Sagen hat. Frühere Bundesregierungen hatten abgestritten, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. Die Folge: Die Flüchtlinge wurden nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Viele junge Leute verlassen ohne Abschluss die Schulen. Der größte Teil bezieht immer noch Sozialleistungen. Der Aufenthaltsstatus ist meist ungeklärt.

"Das ist ein soziales Problem, das in Essen seit 30 Jahren existiert", sagt Polizeipräsident Richter. Auch Daniel Kretzschmar, der Berliner Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, sieht das so: "Die Strukturen der Großfamilien gehen auf Beziehungen zurück, die schon bestanden, bevor diese Menschen als Geflüchtete zu uns kamen. Verschlafen hat Deutschland damals die Erkenntnis, dass die dauerhafte Duldung ohne Arbeitserlaubnis fast schon zwangsläufig zu einer Parallelgesellschaft führen muss."

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Wo sind die kriminellen Gruppierungen aktiv?

Sie sind auf Regionen Nord-, West- und Ostdeutschlands konzentriert. Die Hochburgen der Großfamilien sind die Bezirke Kreuzberg und Neukölln der Bundeshauptstadt, die Hafenstadt Bremen und die nördlichen Stadtteile von Großstädten im Ruhrgebiet, vor allem von Essen, Duisburg und Dortmund. Auch Niedersachsen meldet auffällige Daten. Von 2016 auf 2017 hat sich hier die Zahl der Einsätze gegen Clans verdoppelt. Von 143 auf 248. Es gab 878 Ermittlungsverfahren.

Geht die Polizei verstärkt gegen Clans vor?

Ja. Das nicht nur in Berlin, wo die 77 Immobilen beschlagnahmt wurden und es in Folge des Mordes an Nidal R. zu zahlreichen Durchsuchungen kam. Ein Blick in die Polizeiberichte der letzten Tage zeigt zum Beispiel eine Kehrtwende der Strategie in NRW. Am Abend des 21. September rollte die Dortmunder Polizei Shisha-Bars und Szenelokale auf. Sechs Verdächtige wurden festgenommen. Die Fahnder beschlagnahmten 20 Kilo unverzollten Tabak und zwei Nobelkarossen. Den Festgenommenen wird Sozialleistungsbetrug, Verstoß gegen Waffengesetze und Bauvorschriften vorgeworfen.

Am gleichen Tag rückten 350 Einsatzkräften in Bremen und Niedersachsen aus. Ziel: Das Netzwerk eines 29-jährigen Bremer Clan-Mitglieds, das über Call-Center in der Türkei Senioren in Deutschland ausplündert. Die Anrufer melden sich als Polizisten und überreden die alten Leute, Vermögen "zum Schutz vor Kriminellen" in Aufbewahrung zu geben. Alleine zwischen Juli und August sollen sie so eine Viertelmillion Euro kassiert haben. Bei der Razzia wurden Immobilien, Sportwagen, Gold, Bargeld und ein komplettes Waffenlager beschlagnahmt. Ein Wert von insgesamt 1,8 Millionen Euro. 14 Beschuldigte wurden festgenommen.

Helfen alte Polizei-Taktiken noch?

Die alten Polizeitaktiken scheitern im Einsatz gegen kriminelle Großfamilien. Der Grund: Der Respekt fehlt. Deutsche Polizei und deutsche Justiz werden in ihren Kreisen nicht ernst genommen. Eine Gefängnisstrafe gilt als Ehre. Der Clan nimmt Haftentlassene sofort wieder auf. Thomas Jungbluth vom Landeskriminalamt NRW: "Die ganze Situation ist sehr abgeschottet, auch für die Polizei." Was bedeutet: V-Leute sind kaum zu platzieren. Das erschwert jegliche Beweisführung.

Was macht die Polizei statt dessen?

Polizeibehörden verstärken die Präsenz in betroffenen Stadtvierteln, durchsuchen in kurzen Abständen mit hunderten Beamten Geschäftsräume wie Shisha-Bars und Spielhallen, die den Clans oft als Geldwaschanlagen dienen. Begleitet werden die Einsatzkräfte von Steuerfahndern und Fachbeamten der Sozialämter oder vom Brandschutz. Die legen Shisha-Bars sofort wegen Brandschutzmängeln still, wie am letzten Wochenende in Essen. Experten sind einig: Kriminellen Clans muss der wirtschaftliche Boden entzogen werden, nur dieser gibt den Clan-Patriarchen die Macht über die Mitglieder.

Funktioniert die Sicherstellung von Vermögen?

Das Instrument der Vermögensabschöpfung ist neu. 2017 wurden bei konservativ geschätzten 16 Millionen Euro Schaden, die libanesische Täter laut BKA angerichtet haben sollen, nur knapp 800.000 Euro beschlagnahmt. Der Berliner Daniel Kretzschmar vom Bund Deutscher Kriminalbeamter ist, was das Vermögen betrifft, wohl deshalb auch vorsichtig: Er verweist darauf, dass auch die neuen Regeln zur Vermögensabschöpfung die eigentliche Beweispflicht für eine illegale Herkunft von Geld oder Autos oder Immobilien am Ende immer noch beim Staat, also bei der Justiz, belassen.

In Italien zum Beispiel ist das anders. Im Kampf gegen die Mafia sieht das italienische Recht vor, dass Tatverdächtige die legale Herkunft ihres nicht erklärbaren Vermögens selbst nachweisen müssen. Kretzschmar sieht so eine Regelung als das wirklich "scharfe Schwert". Der Clan-Kenner Ralph Ghadban sagt es ähnlich: "Ein Vermögen in Höhe von 10.000 Euro, das bei einem Hartz-IV-Empfänger gefunden wird, soll die Polizei unmittelbar beschlagnahmen können ohne vorherige Absprache mit der Justiz." Dagegen könnten juristische Einwände sprechen. Das Eigentum ist in unserem Grundgesetz besonders geschützt.

Sollten die Kinder aus den Clan-Familien geholt werden?

Die arabischen Großfamilien sind kinderreich. Bis zu 14 Kinder hat eine kleine Familie innerhalb der Clans. Viele werden dort zu Kriminalität und mangelndem Respekt gegenüber dem deutschen Staat erzogen. Der Berlin-Neuköllner Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) sagt deshalb: "Wir müssen daran denken, solche Kinder langfristig aus den Familien in eine Einrichtung zu bringen. Mindestens ein Jahr raus aus Berlin, an einem geheimen Ort außerhalb des Einflussbereichs der Clans."

Auch der Kriminalist Kretzschmer hält "die Inobhutnahme von gefährdeten Kindern" durch die Jugendämter für nötig. Doch: Geht das? Das Bundesverfassungsgericht setzt dem enge Grenzen. In mehreren Urteilen aus den letzten Jahren hat Karlsruhe grundsätzlich klar gemacht: Vorrang hat das Recht der Eltern, zu erziehen.

Drohen neue Gefahren in der Zukunft?

Islamwissenschaftler und Buchautor Ralph Ghadban fürchtet, die Clan-Strukturen könnten sich auf Jesiden und Albaner und auch auf Flüchtlinge ausdehnen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind. Deren gute Integration in die deutsche Gesellschaft sei deshalb vorrangig. Vor allem die der Frauen. "Sie sind die Hauptleidtragenden in diesen Strukturen, ihre massive Unterdrückung bildet die Grundlage zur Erhaltung der Großfamilien. Wenn sie sich befreien, fällt das System zusammen."

Verwendete Quellen
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