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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen Wirtschaftskriminelle Die Unbestechlichen
Sie bringen Topmanager vor Gericht, jagen Steuersünder in der Schweiz, verfolgen die Spur dubioser U-Boot-Verkäufe: Kaum eine Staatsanwaltschaft ist so gefürchtet wie die in Bochum. Ein Besuch bei Spezialisten.
Der Kampf um Hunderte Millionen Euro entscheidet sich in einem langen Gang in der dritten Etage eines klobigen Baus: Hier holt sich der Staat das Geld zurück, um Straßen und Kindergärten zu bauen, Selbstständigen in der Corona-Krise und Schulen bei der Digitalisierung zu helfen oder mit Subventionen Arbeitsplätze zu sichern. Allerdings handelt es sich nicht um das Bochumer Finanzamt, sondern um die Staatsanwaltschaft.
Die Staatsanwälte, die hier arbeiten, sind nicht irgendwelche Juristen. Sie kümmern sich um besonders umfangreiche Straftaten aus den Bereichen Wirtschaftskriminalität und Korruption. Im Juristendeutsch heißt das Schwerpunktstaatsanwaltschaft. Davon gibt es in Deutschland viele, aber die Bochumer hat in der Öffentlichkeit einen Ruf wie Donnerhall. Kundige Ermittler seien es, die aggressiver vorgehen als anderswo üblich. Vor großen Namen mache man hier nicht halt.
Geldströme, die verborgen bleiben sollen
In den Akten der Bochumer ist die Jagd auf zwielichtige Geschäftsleute dokumentiert, auf Anleger und Investoren mit illegalen Absichten, auf kriminelle Netzwerke, auf Prominente und Politiker ebenso wie auf Mittelständler mit dunklem Geheimnis. Immer wieder folgen die Ermittler den Geldströmen, die eigentlich verborgen bleiben sollen: Sie brachten den Fußball-Wettskandal um Ante Šapina vor Gericht, sie führten auch Ermittlungen um mögliche Schmiergeldzahlungen bei U-Boot-Verkäufen nach Israel.
Es ist eine aufwendige, oft mühselige Jagd. Sie erfordert Erfahrung, Expertise, Eigeninitiative, einen langen Atem für teilweise jahrelange Verfahren und manchmal Arbeit bis in die Nacht. Im Justizzentrum Bochum kommt das alles zusammen.
"Wir sind einfach Ermittler"
Wie also ist es, in einer der gefürchtetsten Staatsanwaltschaften der Republik zu arbeiten?
Wer den Ermittlern einen Besuch abstattet, erhält den Ratschlag, den Ruf nicht überzubewerten. Dass hier Spezialisten arbeiten, klar. Kein Widerspruch. Aber dass hier besonders hart vorgegangen wird? So einfach ist es nicht. "Wie überall gilt auch bei uns die Unschuldsvermutung", sagt Daniela Friese und betont den Satz mit einer kurzen Pause. "Wir sind einfach Ermittler."
Die Oberstaatsanwältin hat im vergangenen Jahr die Leitung der Schwerpunktstaatsanwaltschaft übernommen. Seit über 17 Jahren arbeitet die 57-Jährige in der Behörde. Mit ihrem Kollegen Dr. Helmut Fuhrmann hat sie unter anderem Arcandor-Chef Thomas Middelhoff angeklagt und dann hinter Gitter gebracht. 27 Fälle von Untreue und drei Fälle von Steuerhinterziehung wurden ihm nachgewiesen. Der einst so schillernde Manager hat sogar das zum Geschäft gemacht: "Schuldig" ist der Titel seines Buchs.
Die Bochumer Staatsanwälte könnten auch ein Buch schreiben. Ein sehr dickes sogar. Denn Middelhoffs Verurteilung war das Ergebnis harter Ermittlungsarbeit, die enormen organisatorischen Aufwand bedeutet. "In derartigen Großverfahren finden nicht selten 30 bis 40 Durchsuchungen gleichzeitig statt, Zoll, Polizei und Steuerfahndung sind eingebunden", sagt Friese.
Unzählige Unterlagen werden beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft ist direkt mit vor Ort, sichtet Dokumente und beteiligt sich an der Auswertung von Beweismitteln. Die Bochumer sind sehr früh selbst mit den Ermittlungen befasst. Manchmal betreten sie dabei juristisches Neuland: Sachverhalte also, mit denen Gerichte bislang noch gar nicht befasst waren. "Bei uns darf man keine Scheu haben, rechtlich noch nicht Entschiedenes anzugehen."
Enorme Gewinnabschöpfungen bei Banken
Deswegen ist spezielles Fachwissen erforderlich: Wirtschaftswesen, Bilanzen, Steuer- und Insolvenzrecht, Gesellschaftsrecht und Handelsrecht. Viele Ermittler arbeiten bereits seit Jahren oder Jahrzehnten in der Abteilung. Unterstützt werden sie mittlerweile durch Wirtschaftsreferenten, Informatiker und Buchhalter. Gemeinsam haben sie enorme Summen von Steuerflüchtigen und ihren Banken eingetrieben.
Häufig, wenn der deutsche Staat etwa die berühmten Steuersünder-CDs von Whistleblowern im Ausland ankaufte, standen die Bochumer Staatsanwälte vor einem Berg von Arbeit. Einer von ihnen ist Timo Dörffer, der seit 14 Jahren in der Schwerpunktabteilung Akten wälzt. Ist er auch einer von denen, die der damalige Finanzminister Peer Steinbrück vor über zehn Jahren als Kavallerie in die Schweiz schicken wollte, im Kampf um das Bankgeheimnis?
Tausende Beschuldigte in Steuer-CD-Verfahren
"So würde ich das nicht sehen", sagt Dörffer. Mit dem berühmt gewordenen Satz habe Steinbrück wohl eher die Steuerfahndung gemeint. "Wir werden nicht geschickt, wir müssen ermitteln, wenn wir Kenntnis von einem Verdacht erlangen." Und die CDs der Datenhändler gaben reichlich Anlass für Ermittlungen.
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Unter Dörffers Ägide nahmen die Bochumer die Fährte der Steuersünder in der Schweiz, in Liechtenstein und Luxemburg auf und schöpften von den beteiligten Banken enorme Gewinne ab. "Ich habe irgendwann aufgehört die Verfahren zu zählen, die aus den Steuer-CDs hervorgegangen sind", sagt er. "Es sind bis heute 7.000 bis 8.000 Beschuldigte gewesen."
Die Steuersünder zu ermitteln, war aufwendig. Oft gab es für die Steuerfahndung nur eine Kontonummer, vielleicht einen Namen, vielleicht einen dazugehörigen Kontostand. Doch Kunden und Banken wurden nervös. Die Angst vor Strafverfolgung wuchs. "Die Banken haben ihre Kunden plötzlich intensiv in die Selbstanzeige getrieben", sagt Dörffer. "Ich kenne Geschichten, da wurde den Leuten das Konto gekündigt und auf einmal standen sie mit Koffern voll Geld in Zürich auf der Straße." Der Schritt, sich den Behörden zu stellen, wurde so wohl erheblich erleichtert.
Milliarden für den Staat
Die Arbeit der Staatsanwälte hat sich gelohnt. Bundesweit kam der Staat durch die Ermittlungen vermutlich zu Mehreinnahmen in Höhe von Milliarden Euro, schätzt die Staatsanwaltschaft. Denn schließlich mussten nicht nur diejenigen ihre Steuerschuld begleichen und Strafen zahlen, die ihr Geld auf Nummernkonten im Ausland geparkt hatten. Auch die Banken wurden zur Kasse gebeten.
Die Summen hatten es in sich: Die UBS Schweiz stimmte einer Gewinnabschöpfung von 304 Millionen Euro zu, die Fürstenbank LGT Liechtenstein, wo der damalige Post-Chef Klaus Zumwinkel eine verdeckte Stiftung eingerichtet hatte, machte über 50 Millionen Euro locker. Die verhandelten Summen bildeten nicht nur die nachweislichen Gewinne ab, sondern die geschätzten Gesamteinnahmen durch deutsche Kunden.
"Das war sozusagen eine Win-Win-Situation", sagt Dörffer. Die Behörde konnte mehr Geld abschöpfen, als die einzelnen Verfahren erbracht hätten. Und die Banken stellten Rechtssicherheit her und können nun für gleich gelagerte Straftatbestände aus dem beanstandeten Zeitraum nicht mehr belangt werden. Auch für die Folgejahre hatten die zahlreichen Verfahren und Gewinnabschöpfungen der Staatsanwaltschaft zufolge erhebliche Auswirkungen. In den Steueroasen setzte demnach ein Umdenken ein.
Die politischen Folgen
"Die politische Entscheidung, diese Steuer-CDs zu kaufen, hat enormen Druck aufgebaut", sagt Dörffer. "Ein Auskunftsersuchen per Rechtshilfe in die Schweiz, da hatte man früher kein Glück. Heute bekommen wir die Auskunft." Fast täglich verweigerten Beschuldigte die Herausgabe von Dokumenten – seit Luxemburg die Kooperation auf neue Füße gestellt hat, ist das aber höchstens eine Verzögerungstaktik.
Wenn die Staatsanwälte dort nun um Unterlagen bitten, bekommen sie diese mittlerweile. Auch Durchsuchungen seien möglich. Nummernkonten in der Schweiz, halbseidene Stiftungen als verschleierte Anlageform in Liechtenstein – all das seien deswegen nun Auslaufmodelle. Steuervermeidungsstrategien gebe es zwar weiterhin. "Aber für die Anleger kleinerer Summen ist es schwieriger geworden", sagt Dörffer.
Scheinfirmen und Strohmänner
An anderer Front kämpfen die Ermittler weiter mit einem Betrugsmodell, das nie aus der Mode zu kommen scheint: den Umsatzsteuerkarussellen. Hier haben sie es mit komplizierten, Staatengrenzen überschreitenden Konstrukten von Scheinrechnungen, Scheinfirmen und Strohmännern zu tun, die den Staat um enorme Summen bringen und den freien Markt erheblich verzerren können. Die EU-Kommission schätzt den Schaden auf 50 Milliarden Euro jährlich.
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"Die Gewinne sind in diesem Bereich unglaublich", sagt Staatsanwalt Matthias Rhode. Mit einem Team von Ermittlern kam er bereits vor über 15 Jahren einem Netzwerk von Umsatzsteuerbetrügern auf die Schliche. Mehr als 100 Beschuldigte wurden in mehreren Staaten identifiziert. Die Akte wuchs mit den Abschriften der verdeckten Überwachung von Telefonaten schnell auf über 100.000 Blatt. Gehandelt wurden Sportwagen und Luxuskarossen. Am Schluss standen mehrjährige Haftstrafen für mehrere Angeklagte. Doch das System ist nicht auf teure Luxusartikel begrenzt.
Verbindungen zur organisierten Kriminalität
"Früher waren es oft Handys und Prozessoren, die gehandelt wurden, später waren es unter anderem Betonmischer, Getränke oder Klopapier." Es handele sich bei den Konstrukten um einen "sehr kreativen und anpassungsfähigen Bereich", in dem die Grenzen zwischen Wirtschaftskriminalität und organisierter Kriminalität verschwimmen. Im Verfahren um das Karussell mit Luxuskarossen stand auch der Verdacht einer kriminellen Vereinigung im Raum, ähnlich wie im Verfahren um den Fußball-Wettbetrüger Ante Šapina.
Es ist auch diese Erkenntnis, die das Land Nordrhein-Westfalen nun dazu bewogen hat, den Aufgabenbereich der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Bochum zu erweitern. Seit September soll sie mit den anderen Schwerpunktabteilungen in Bielefeld und Köln die neu geschaffene Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS) bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf unterstützen. Besonders ihre Erfahrung, kriminelle Vermögen abzuschöpfen, soll dabei neue Bedeutung erlangen. In der Bekämpfung der Clan-Kriminalität geht es den Familiennetzwerken nicht nur an Rhein und Ruhr, sondern in ganz Deutschland neuerdings ans Geld.
Künftig werden laut Justizministerium überregionale kriminelle Organisationen und Finanzquellen für Terroristen ins Blickfeld der Bochumer geraten können. Justizminister Peter Biesenbach gibt als Zielgruppe beispielsweise "mafiöse Strukturen, Drogenbanden, Automatensprenger, aber auch Wirtschaftskriminelle mit den weißen Kragen" aus.
Und so werden die Aktenberge in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter wachsen. Zusätzlich zu den Umsatzsteuerkarussellen und Bitcoin-Betrügereien, zusätzlich zum Strafverfahren gegen den Ex-Geheimagenten Werner Mauss. Die Spezialisten für die komplexen Finanzermittlungen, sie stehen möglicherweise vor vielen weiteren Nachtschichten. In einem langen Gang im dritten Stock eines klobigen Baus.
- Eigene Recherchen
- NRW: "Minister Biesenbach stellt Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS) vor"
- NRW: "Massive Verstärkung der NRW-Staatsanwaltschaften im Kampf gegen das organisierte Verbrechen" (pdf)