Deutscher kommt frei 33 Jahre in US-Haft – eine Todesstrafe auf Raten
Er richtete Hilferufe an Merkel und Obama, viele Menschen glauben an die Unschuld des verurteilten Doppelmörders. Nach nahezu drei Jahrzehnten kommt der deutsche Diplomatensohn Jens Söring frei. Der Makel bleibt.
Mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens hat Jens Söring im Gefängnis verbracht. Zu Unrecht, sagen seine Unterstützer. In den USA ist er rechtskräftig wegen Doppelmordes an den Eltern seiner damaligen Freundin verurteilt worden. Mehr als 30 Jahre nach der Tat im US-Bundesstaat Virginia polarisiert der Fall des deutschen Diplomatensohns noch immer. Nun wird die Freilassung des heute 53-Jährigen und seine Rückkehr nach Deutschland erwartet.
Wer einmal damit anfängt, sich in die Geschichte Sörings einzulesen, kann lange nicht mehr damit aufhören. Der Fall liefert heute wie damals jede Menge Erzählstoff: Es geht um Drogen, Sex und die scheinbar grenzenlose Liebe zwischen einer schönen Kanadierin und dem "kindergesichtigen" Deutschen, wie die "Washington Post" Söring einst beschrieb. An die unzähligen Artikel reihen sich Filme und Bücher über den Fall, Söring schrieb selbst darüber. Auf Blogs und Facebook-Seiten ist darüber zu lesen, vielfach in Sörings Sinne. Der beteuert bis heute seine Unschuld.
Rückblick: Im August 1984 lernt Söring Elizabeth Haysom kennen – sie sind bei einem Orientierungsabend für Hochbegabtenstipendiaten der University of Virginia. Söring verliebt sich in die zwei Jahre ältere Frau und wird sie später als "verdammt sexy" beschreiben.
Ein Jahr Flucht endet in London
Im März 1985 werden Haysoms Eltern Derek und Nancy in ihrem Haus in Lynchburg in Virginia mit zahlreichen Messerstichen ermordet. Am Tatort finden die Ermittler blutüberströmte Leichen. Es sei gewesen, als ginge man in ein Schlachthaus, erinnert sich ein Polizist später. Zum Zeitpunkt des Mordes ist Söring 19 Jahre alt. Das Paar nimmt an der Beerdigung der Haysoms teil. Als Elizabeth und Jens unter Verdacht geraten, fliehen sie. Erst ein Jahr nach dem Mord fliegen sie in London wegen Scheckbetrugs auf und werden gefasst.
Nach der Auslieferung in die USA wird Haysom 1987 wegen Anstiftung zum Mord zu zweimal 45 Jahren Haft verurteilt. Söring erhält zwei Jahre später dieselbe Strafe. Großbritannien hatte seiner Auslieferung nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die Todesstrafe nicht verhängt wird.
Wie Söring vor Gericht ins Kreuzverhör genommen wurde, kann man im Dokumentarfilm "Das Versprechen" nachsehen. Der Film wurde 2016 veröffentlicht und rekonstruiert den Fall – er ist ein Plädoyer für Sörings Unschuld. Söring wird als hochintelligenter Diplomatensohn dargestellt, Elizabeth Haysom als Tochter eines reichen Unternehmers, die bisexuell ist und möglicherweise von ihrer Mutter sexuell missbraucht wurde. Söring ist in einem schmucklosen Gefängnisraum zu sehen und beteuert immer wieder seine Unschuld. Seine Haare sind ergraut.
War er es oder war er es nicht?
Der Fall hatte stets viele Fragen aufgeworfen. Söring hatte die Morde zunächst gestanden, später aber das Geständnis widerrufen und erklärt, die psychisch kranke und drogenabhängige Elizabeth habe ihre Eltern getötet. Er habe den Mord für Haysom auf sich genommen und sie vor der Todesstrafe bewahren wollen. "Ich dachte, ich sei ein Held." Haysom erklärte, sie habe Söring zu den Morden nur angestiftet.
"Die Schuldfrage ist meines Erachtens bis heute nicht abschließend geklärt", sagte der CDU-Transatlantik-Koordinator Peter Beyer kürzlich. Er traf Söring zweimal im Gefängnis. "Es sind immer noch viele Fragen offen." Im Deutschlandfunk betonte Beyer, dass die Verurteilung rechtskräftig sei – verweist aber darauf, dass am Tatort gefundene DNA-Spuren nicht zu Söring passten.
Sowohl in den USA als auch in Deutschland kann Söring auf zahlreiche Unterstützer zählen. Die US-Amerikanerin Amanda Knox, die vier Jahre in Italien im Gefängnis saß, bevor sie vom Vorwurf des Mordes an einer britischen Austauschstudentin freigesprochen wurde, sagte vor wenigen Monaten über Söring: "In vielerlei Hinsicht ist er die Version von mir, die nie befreit wurde."
Die Freilassung des 53-Jährigen – und auch Haysoms – ändert nichts an dem Urteil in einem der wohl spektakulärsten transatlantischen Kriminalfälle der vergangenen Jahrzehnte. In ihrer Entscheidung machte die Gnadenkommission im Bundesstaat Virginia klar, dass es keine Grundlage für Sörings Behauptung gebe, unschuldig zu sein. Sowohl er als auch Haysom hätten aber mehr als 33 Jahre für ihre "fürchterlichen Verbrechen" gebüßt und stellten keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Eine Begnadigung lehnte der Gouverneur von Virginia, Ralph Northam, am 25. November ab.
Der "Mythos von Sörings Unschuld"
Der ehemalige US-amerikanische Strafverteidiger Andrew Hammel hat keinen Zweifel an Sörings Schuld. "Bei der Beweislage wäre Söring zweifelsohne auch in Deutschland für schuldig befunden worden", schrieb Hammel kürzlich in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Er spricht von einem "Mythos von Sörings Unschuld", der in den deutschen Medien besonders populär sei.
Mehrfach hat Söring seit seiner Verurteilung als Haupttäter Entlassung auf Bewährung beantragt, mehrfach erfolglos. 2013 äußerte er die Hoffnung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama den Fall zur Sprache bringen würde. In einem Brief schrieb Söring: Eine lebenslängliche Haftstrafe sei in den USA eine Todesstrafe auf Raten. "In den Vereinigten Staaten brüstet man sich mittlerweile damit, dass diese Strafe viel grausamer ist als die schnelle, schmerzlose Giftspritze. Ist sie auch."
In Deutschland kann eine lebenslange Freiheitsstrafe nach frühestens 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Söring schrieb, den Rest seines Lebens bis zum Tod hinter Gittern zu verbringen sei eine Existenz ohne Sinn, ohne Freundschaft, Liebe und Hoffnung.
Die Perspektive hat sich nun gedreht. "So richtig glaube ich es erst, wenn ich im Flugzeug sitze und der Sprit nicht mehr reicht, um umzukehren", zitierte der Freundeskreis Söring vor einigen Tagen auf Twitter. In Frankfurt wollen ihn seine Unterstützer in Empfang nehmen. Eine von ihnen, Petra Hermanns, sagte "Spiegel Online", es stehe schon eine Wohnung für ihn bereit, ein Smartphone sei gekauft.
- Nachrichtenagentur dpa