Taufsaison am Jordan Heiliges Wasser, vermintes Gelände
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Im Januar ist am Jordan Taufsaison. Tausende Gläubige drängen sich dann an den Ufern des mythischen Flusses. Die Autorin Franziska Knupper und der Fotograf Jonas Opperskalski waren vor einem Jahr dabei.
Fünfzig Jahre lang hat niemand einen Fuß in das Kloster gesetzt. Vorhangfetzen flattern im Wind, eine staubige Matratze liegt im Bettgestell. Zerbrochenes Geschirr türmt sich im Waschbecken, ein Schuh liegt auf dem Boden. Das Gebäude muss in Eile verlassen worden sein. "Dies ist unser Zuhause", erklärt Franziskanerpater Francesco Patton und breitet die Arme aus. Patton ist Kustos, der von den Franziskanern entsandte Leiter der heiligen Stätten im Heiligen Land. Er zieht den Kopf ein und steigt unter einem morschen Türrahmen hindurch auf den Vorplatz des Klosters. Hier wartet eine Menschentraube auf ihn. Alle wollen dabei sein, wenn die Taufstätte Jesu wieder zum Leben erweckt wird.
Die ist nur ein paar Schritte entfernt. Das Kloster liegt in der Nähe der Uferböschung, und man hat einen guten Blick über das Jordantal. Hier beginnt die Wüste Negev. Hier kann man die Trompeten von Jericho fast hören und das Salz des Toten Meers schon schmecken. Eine dicke Staubschicht scheint sich heute über die Senke gelegt zu haben.
Die Luft ist diesig. Hinter einem Holzplateau und viel Schilf lugt der Jordan in Grün, Braun, Türkis hervor. Er ist an dieser Stelle weniger als zehn Meter breit und nicht mehr als ein Rinnsal, mehr stehend als fließend zwischen israelischen und jordanischen Grenzzäunen. Jahrzehntelang haben christliche Gläubige darauf gewartet, dass dieser dicht bewachsene Uferabschnitt – die Jordanier kennen ihn als Al-Maghtas, die Israelis nennen ihn Qasr al-Yahud – wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Denn alle christlichen Konfessionen und Gruppierungen stimmen darin überein, dass dies die Stelle ist, an der Jesus von Johannes getauft wurde.
Die Autorin Franziska Knupper lebt seit Jahren in Israel und ist immer noch beeindruckt, welche Anziehungskraft die Region auf Gläubige aller Religionen ausübt. Die Taufstätte am Jordan ist für sie einer der bisher ungewöhnlichsten heiligen Orte.
"Sobald wir dürfen, werde ich mir eine Matratze schnappen und hier übernachten", flüstert Pater Emad aus Bethlehem. Kustos Patton beantwortet derweil die Fragen der Reporter und blickt auf die Einschusslöcher im Gemäuer des Klosters. "Ich finde, das sollten wir so lassen", sagt er und berührt sie mit dem Finger. "Das sind wichtige Erinnerungen."
3.000 Minen machten Gebiet unzugänglich
Früher gehörte das gesamte Gebiet um die Taufstelle zu Jordanien. Seit dem Sechstagekrieg 1967 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten markiert der Jordan die Grenze. Das Gebiet war gespickt mit Sprengsätzen und deswegen seit über fünf Jahrzehnten nicht zugänglich. Rund 3.000 Minen versteckten sich auf einer Länge von rund 100 Kilometern entlang des Flusses.
Aus dem religiösen Wallfahrtsort wurde militärische Sperrzone. Gelbe Warnhinweise hielten Neugierige fern; hohe Zäune und Stacheldraht umschließen bis heute einige der Kirchen und Kloster, die langsam vom Sand der Negevwüste eingehüllt werden. Das soll sich ändern, entschieden sowohl Israel als auch Jordanien und begannen vor rund zehn Jahren mit der Säuberung des Gebiets, die in diesem Januar endlich abgeschlossen sein soll.
Der Fotograf Jonas Opperskalski wünscht sich, die Grenzen wären offen und man könnte bei entsprechendem Wasserpegel ohne Passkontrolle von einer Seite zur anderen waten.
In den vergangenen Jahrzehnten diente der sogenannte Yardenit unweit des Sees Genezareth als offizielle Taufstelle, sozusagen als "Plan B". Doch die wiedereröffnete Taufstelle am Jordan wird vermutlich das Interesse der meisten Pilger auf sich ziehen. Denn aus Chroniken von Petrus dem Iberer und der galizischen Nonne Aetheria schließen Historiker, dass sich nur am Jordan die Reste des biblischen Betanien befinden können, wo Jesus der Überlieferung nach getauft wurde: "Dies geschah in Betanien jenseits des Jordans, wo Johannes taufte". (Johannes 1,28)
Christliche Taufe war hier jahrhundertelang gängige Praxis
Kein Wunder, dass schon immer jede Konfession ein Stückchen vom heiligen Sand für sich beanspruchte: Acht Kirchen – manche sind 700 Jahre alt – ragen in die karge Wüstenlandschaft. Neben der römisch-katholischen Kirche haben sieben Ostkirchen ihre Gotteshäuser mitten im Minenfeld. Die Bundesrepublik beteiligt sich mit dem Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft an den archäologischen Ausgrabungen. Vom nahe gelegenen Elijah-Hügel bis zum Ufer des Flusses wurden Fundamente von Klöstern, antiken Pilgerunterkünften und gepflasterte Taufbecken freigelegt, die bezeugen, dass die christliche Taufe hier mindestens seit dem vierten Jahrhundert gängige Praxis gewesen sein muss.
Auch heute, am 13. Januar 2019, haben sich auf der jordanischen und der israelischen Seite Tausende Taufwillige zusammengefunden und klettern in Scharen hinunter zum Fluss. Ein Bus nach dem anderen wirbelt Staub auf; Hunderte private Fahrzeuge parken hinter einem Schlagbaum, an dem israelische Soldaten die Papiere der Ankömmlinge kontrollieren. Die Gläubigen kommen aus Russland, den Philippinen, Osteuropa, der Elfenbeinküste, Griechenland, Ägypten, Nahost oder den USA. In einem Festzelt halten palästinensische Christen aus Nazareth eine Messe. Es ist 10 Uhr morgens, und die Sonne läuft sich langsam warm. Im Souvenirshop deckt sich eine Pilgergruppe aus Eritrea mit weißen Taufgewändern ein. Eine Gruppe koptischer Christen wartet auf dem Seitenstreifen – in einigen Minuten soll das Oberhaupt ihrer Kirche eintreffen.
Zehntausende Besucher erwartet
Die Franziskanermönche haben nicht zufällig den Januar für die feierliche Wiedereröffnung ihres Klosters gewählt. In diesem Monat begehen Christen das Epiphaniasfest ("Erscheinung des Herrn"), zu dem Zehntausende Besucher an der Taufstätte erwartet werden. Es wird am 6. Januar gefeiert, der aber in den Ostkirchen, die dem julianischen Kalender folgen, auf den 19. Januar (nach unserem gregorianischen Kalender) fällt.
Die westlichen Kirchen reduzieren das Epiphaniasfest meist auf die Ankunft der Weisen aus dem Morgenland in Bethlehem und feiern es als „Tag der Heiligen Drei Könige“. In den Ostkirchen ist Epiphanias viel bedeutender. Neben der Taufe Jesu wird auch des Heiligen Geistes gedacht, der sich hier am Jordan, begleitet von einer Stimme aus dem Himmel, offenbart haben soll.
Soldaten beobachten gelangweilt die aufgeregten Christen
Zwischen dem 6. und 19. Januar drängen sich sehr viele Menschen an der Taufstätte Jesu, auch an diesem 13. Januar. Es ist der Sonntag nach Epiphanias, für Katholiken der "Tag der Taufe des Herrn". Die Verwaltung der Taufstätte teilt jeder Gruppierung eine bestimmte Zeit für den Besuch zu. Trotzdem wird es eng. Denn der Jordan ist längst nicht so mächtig, wie ihn die Bibel beschreibt: Er soll angeblich fast 300 Meter breit gewesen sein und ein reißender Strom. Heute zweigen Israel und Jordanien bereits im Norden viel Wasser für Landwirtschaft und Trinkwasser ab. Und so stehen sich an der Taufstätte jordanische und israelische Soldaten wenige Meter entfernt direkt gegenüber. Das Gewehr umgehängt, beobachten sie gelangweilt die aufgeregten Christen, die sich von beiden Uferböschungen in Richtung Wasser tasten.
Die jordanische Seite der Taufstätte, Al-Maghtas, wurde bereits 2002 vollständig von Minen befreit und eröffnet. 2015 erklärte die Unesco diese Seite zum Weltkulturerbe. Seitdem fürchtet Israel, dass das jordanische Königreich ihm damit den Rang als Heiliges Land ablaufen könnte. Hinzu kommt, dass die Westseite zwar unter der Kontrolle des israelischen Militärs steht, jedoch streng genommen zum Westjordanland gehört. Damit würde die Taufstätte theoretisch unter die direkte palästinensische Gerichtsbarkeit fallen.
Mittlerweile lassen sich die ersten Besucher mutig ins Wasser gleiten. Das Wasser ist kalt zu dieser Jahreszeit – sie schnappen überrascht nach Luft, rudern keuchend mit den Armen; andere strecken vorsichtig einen Zeh ins kalte Nass und ziehen ihn dann erschrocken zurück. Eine Gruppe russisch-orthodoxer Christen fasst sich bei den Händen, taucht dreimal unter und bekreuzigt sich dabei jedes Mal.
Ein Kind schreit, als der Vater es untertaucht, und eine Mutter herrscht ihre Tochter auf Französisch an, das Wasser ja nicht zu trinken. Ihre Sorge ist berechtigt, der Jordan ist an dieser Stelle nicht nur schmal, sondern auch schmutzig. Zwei Kläranlagen pumpen weiter nördlich fleißig Abwasser in einen Seitenarm.
Heiliges Nass in Flaschen abgefüllt
Das hält viele Christen jedoch nicht davon ab, das heilige Nass in Flaschen abzufüllen: "Wir werden es gut einteilen und noch wochenlang davon zu Hause zehren", sagt die Dame aus Frankreich, die eben noch ihre Tochter getadelt hat. Sie und andere Mitglieder der Roma-Mission "Vie et Lumière" aus Paris sind extra für das Epiphaniasfest nach Israel gekommen und schreiten jetzt gemeinsam mit ihrem Priester ins Wasser. Lautes Wehklagen begleitet sie, ekstatisches Geschrei und immer wieder Gebete – gemurmelt und gesungen in allen Sprachen der Welt.
Als wäre dies nicht genug Trubel, schlängelt sich eine jüdische Reisegruppe mitten durch die Täufer und Getauften und schaut dem Schauspiel etwas verwundert zu. "Wir sind hier, da dieser Ort auch für uns Juden heilig ist", sagt Yoav, der 45-jährige Fremdenführer aus einem Vorort von Tel Aviv. "Hier haben unsere Vorfahren nach dem Exodus zum ersten Mal den Fluss in Richtung Gelobtes Land überquert, und hier ist der Prophet Elija zum Himmel aufgestiegen."
Yoav nimmt Papier und Stift zur Hand und skizziert die biblische Wanderroute der Israeliten vom Sinai bis ins heutige Israel. "Sie müssen sich oft verirrt haben“, sagt er und lacht. „Sonst lässt sich dieser Umweg östlich des Jordans nicht erklären."
Ronen Shimoni befreite das Ufer von den Minen
Während der Fluss sich langsam mit Menschen in weißen Tauftrachten füllt, bedankt sich oberhalb der Böschung Francesco Patton von den Franziskanern mehrfach bei Ronen Shimoni. Denn ohne ihn, so der Ordensmann, wäre dieses Ufer noch immer ein Ort des Krieges. Shimoni ist leitender Projektmanager bei der weltweit tätigen Landminen-Räumorganisation Halo Trust mit Hauptsitz in Großbritannien und einer Niederlassung im palästinensischen Jenin.
Seit 2014 befreit Halo Trust das Westjordanland und Israel von Landminen, seit 2018 unterstützt die Organisation Israelis, Palästinenser, Jordanier und die Kirchen bei ihrem Bemühen, der Taufstätte wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Zunächst hatte Halo Trust eine halbe Million Dollar selbst aufgebracht, mittlerweile arbeiten die Minensucher unter der Schirmherrschaft des israelischen Verteidigungsministeriums und mit Genehmigung des Palestinian Mine Action Center (PMAC).
Vier Kirchen wurden bereits unter Shimonis Aufsicht gesäubert, drei weitere sollen folgen. "Mit dem richtigen Equipment geht das zack, zack", sagt er. Zunächst wird das Gebiet genau dokumentiert. Meist weisen Minenfelder eine Struktur auf, so dass man ahnen kann, in welchem Abstand die Sprengsätze liegen. "Hier befindet sich etwa alle zwei Meter eine Bodenmine", sagt Shimoni. "Das Minenfeld erstreckt sich über rund 60 Hektar und enthält schätzungsweise über 2600 Landminen, hinzu kommen unzählige Sprengfallen."
Jeder Millimeter des Geländes wird dreimal von unterschiedlichen Kontrollgruppen geprüft, um sicherzustellen, dass nichts zurückgelassen wurde. 2018 kamen über 800.000 Besucher zum Taufort. Shimoni glaubt, dass es dreimal so viele werden könnten, sobald die Kirchen uneingeschränkten Zugang zu ihren Gebäuden haben.
- Israelischer Aktivist: "Ich habe Mitleid mit den frustrierten Palästinensern"
- Krankenhaus in Jeruslamen: "Juden und Muslime: Wir kümmern uns um alle"
- Drusen in Israel: Künftig Bürger zweiter Klasse?
Vielleicht aber ist der größte Erfolg von Halo Trust nicht, dass die Mitarbeiter die Minen finden und entschärfen, sondern dass das Unternehmen Vertreter von Institutionen an einen Tisch gebracht hat, die sich sonst aus dem Weg gehen. An der Räumung der Minen arbeiten sieben christliche Konfessionen, das israelische und jordanische Militär, die israelische Natur- und Parkbehörde sowie die Palästinensische Autonomiebehörde gemeinsam. Ausgerechnet der Grenzfluss brachte die streitenden Staaten zusammen. "Es hat etwas gedauert, aber irgendwann kamen alle an Bord", sagt Shimoni.
Egal welche Seite am Ende heiliger oder beliebter ist: "Während der Dreikönigsfeiern", sagt Pater Francesco Patton, der Kustos der Franziskaner, "kommen die Gläubigen aus dem Osten und dem Westen. Und sie treffen sich im Fluss."
Diese Geschichte erscheint in Kooperation mit dem Magazin "chrismon". Die Zeitschrift der evangelischen Kirche liegt jeden Monat mit 1,6 Millionen Exemplaren in großen Tages- und Wochenzeitungen bei – unter anderem "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Die Welt", "Welt kompakt", "Welt am Sonntag" (Norddeutschland), "FAZ" (Frankfurt, Rhein-Main), "Leipziger Volkszeitung" und "Dresdner Neueste Nachrichten". Die erweiterte Ausgabe "chrismon plus" ist im Abonnement sowie im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel erhältlich. Mehr auf: www.chrismon.de
Weiterführende Links auf chrismon.de:
Wer erfand die Taufe? Als Ritual war die religiöse Waschung zur Zeit Jesu weit verbreitet. Woher die Taufe kommt – dazu gibt es allenfalls Vermutungen.
Während sich junge Mütter auf der Geburtsstation die Nägel lackieren lassen, bangt ein Vater auf der Intensivstation um das Leben seines Sohnes. Krankenhaus eben, wie überall. Aber in Ostjerusalem ist es nicht normal, dass orthodoxe Jüdinnen ebenso wie Menschen aus Gaza zu den Patienten gehören – wie im Hospital Saint Joseph.
Kein Kind wird auf seinen Namen getauft. Worauf aber dann? Was passiert eigentlich bei der Taufe? Und was muss alles bedacht, geplant und getan werden? Ein neues Angebot der evangelischen Kirche begleitet Eltern und Paten auf dem Weg zur Taufe – und liefert die wichtigen Infos und Tipps zum jeweils richtigen Zeitpunkt.