Im Praktischen Jahr Beim Bruder des Kanzlers arbeiten Medizinstudenten zum Nulltarif
Medizinstudenten im Praktischen Jahr erhalten in der Kieler Uniklinik keine Vergütung. Der Chef des Klinikums ist ausgerechnet der Bruder von Bundeskanzler Olaf Scholz.
Ausgerechnet der Bruder von Bundeskanzler Olaf Scholz soll, wenn es um Entlohnung geht, die Möglichkeiten der Gesetze bei Medizinstudierenden voll ausschöpfen – und zwar nach unten. Jens Scholz ist Vorstandschef des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Studierende, die dort ihr Praktisches Jahr (PJ) absolvieren, bekommen nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung keine Entlohnung. Entsprechende Informationen, unter anderem von Studierenden und den "Kieler Nachrichten", habe die Einrichtung dem Blatt bestätigt.
Ein Nulltarif ist zwar im Rahmen der gesetzlichen Verpflichtungen möglich: Da es sich um ein Praktikum handelt, liegt eine Vergütung im Ermessen der Einrichtung. Viele Kliniken orientieren sich aber an den Bafög-Sätzen. In einem Ranking der Mediziner-Stellenbörse "Praktisch Arzt" steht die Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach mit 934 Euro ganz oben. Selbst auf dem letzten Platz der Tabelle gibt das St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg noch 649 Euro pro Monat.
"Laut Studienordnung müssen wir ein Tertial in einer Uniklinik machen. Ich habe neben meinem PJ am UKSH_KI_HL noch 2 Tage die Woche größtenteils nachts gearbeitet. Irgendwann musste ich den Job ablegen, weil es nicht mehr ging", beschrieb auf Twitter eine Ärztin ihre Erfahrungen.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Nicht mehr als 600 Gramm Salat
Die Begründung der Klinik laut "Bild": Es gebe keine gesetzliche Verpflichtung. Damit ist es nach Angaben der "Kieler Nachrichten" die einzige Einrichtung, die Studierende zum Nulltarif schuften lässt. Und geht sogar noch weiter, was Einsparungen angeht. Nach einem Bericht der "Kieler Nachrichten" konnten sich die angehenden Mediziner bislang an der Salatbar kostenlos etwas zu essen holen. Damit ist wohl Schluss: Eine Obergrenze von 600 Gramm wurde eingeführt. Das Klinikum spricht von einer "ausgewogenen Gleichbehandlung". Der "Bild" sagte ein Sprecher, man habe Beschwerden bekommen, dass einzelne PJler wohl "kiloweise" Salat und Zutaten auf die Teller gepackt hätten.
Studierende im Praktischen Jahr (PJ) würden in Krankenhäusern in der Regel wie Vollzeitkräfte eingesetzt und übernähmen regelmäßig Tätigkeiten, mit denen sie den Klinikablauf unterstützen, beschreibt der Hartmannbund die Situation. "PJ-Studierende dürfen jedoch nicht als kostenlose oder kostengünstige Arbeitskräfte gesehen werden, sondern haben ein Recht auf eine gute Lehre und eine angemessene Aufwandsentschädigung", fordert der Verband der Ärztinnen und Ärzte.
Am 1. Oktober 2022 trat ein zentrales Versprechen der Sozialdemokraten in Kraft: Der Mindestlohn stieg auf 12 Euro pro Stunde. "Millionen von Arbeitnehmern, die jeden Tag hart arbeiten gehen, haben dadurch deutlich mehr Geld in der Tasche", schreibt die Kanzlerpartei auf ihrer Webseite. "Deutschland braucht eine Gesellschaft des Respekts", sind Forderungen nach Lohn und Schutz vor Diskriminierung im SPD-Wahlprogramm überschrieben. Doch der Bruder des SPD-Bundeskanzlers fühlt sich dem offenbar – was seine PJler betrifft – nicht verpflichtet.
- bild.de: "Kanzler-Bruder verweigert Lohn für Studenten-Jobs"
- praktischarzt.de: "PJ Ranking Kliniken – Vergütung praktisches Jahr"
- hartmannbund.de: "Eine bundesweit einheitlich PJ Aufwandsentschädigung. Für Alle!"
- kn-online.de: "Praktisches Jahr am UKSH: Darum gibt es jetzt Wirbel um die Salatbar" (kostenpflichtig)