Deutsche über Abtreibungen uneins "Es wird Zeit, im 21. Jahrhundert anzukommen"
Ist Abtreibung Mord oder ein Recht der Frau, über ihren eigenen Körper zu bestimmen? Das umstrittene Thema bringt sehr unterschiedliche Meinungen hervor.
Eine Abtreibung ist derzeit nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar, es sei denn, sie findet innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. Nicht strafbar ist ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er nach einer Vergewaltigung vorgenommen wird.
Seit Jahren wird darüber gestritten, Schwangerschaftsabbrüche für Frauen zu erleichtern und den Paragrafen aus dem Gesetzbuch zu streichen. Das wäre auch im Sinne vieler t-online-Leser. Zahlreiche andere hingegen verteidigen die Illegalität.
"Es wird Zeit, im 21. Jahrhundert anzukommen"
Sylvia Müller schreibt: "Ich bin unbedingt dafür, Frauen die Entscheidung über ihren eigenen Körper zuzubilligen. Die Zwölf-Wochen-Regelung finde ich gut. Es wird Zeit, in dieser Hinsicht im 21. Jahrhundert anzukommen. Der Paragraf 218 gehört in den Orkus der Geschichte."
"Das Leben ungeborener Kinder, also die, die noch keine Stimme haben, muss besonders geschützt werden", sagt Sigrid Obst. "Mit der Befruchtung der Eizelle beginnt neues Leben, daran kann niemand zweifeln. Legalisiert man Abtreibungen, werden junge Frauen noch leichtfertiger mit diesem Thema umgehen", befürchtet die t-online-Leserin.
Ingo Brings mailt: "Jede Frau sollte das selbst entscheiden dürfen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass betroffene Frauen sich diese Entscheidung leicht machen. Männer sollten sich da gar nicht einmischen, denn sie können sich in eine solche Situation nicht reinversetzen."
"In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren"
"Durch die Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht ein neuer Mensch, der sich kontinuierlich weiterentwickelt, bis er am Ende der Schwangerschaft bereit für ein Leben außerhalb des Mutterleibs ist", sagt Monika Rheinschmitt. "Es gibt keinen Statusübergang von 'Zellklumpen bis zur zwölften Woche' und danach 'kleiner Mensch', solche festgelegten Fristen sind reine Augenwischerei. Der Embryo entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch." Außerdem sieht die t-online-Leserin das Ungeborene nicht als Teil des Körpers der Frau, sondern als eigenständigen Organismus.
"Selbst wenn eine Frau vergewaltigt wurde, ist das sicherlich eine Katastrophe für sie, aber dafür kann das auf diesem Wege erzeugte Kind nichts. Soll dem Verbrechen der Vergewaltigung noch das Verbrechen eines Mordes hinzugefügt werden?", fragt sie rhetorisch. Es gebe viele Paare, die ungewollt kinderlos seien und aus Vergewaltigungen hervorgegangene Kinder adoptieren würden.
Zudem appelliert Monika Rheinschmitt an die Verantwortung mündiger Bürger: "Da der meiste Geschlechtsverkehr einvernehmlich erfolgt, sollten alle Personen, die sich für sexuelle Handlungen entscheiden, auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen und Verantwortung für das eventuell dabei erzeugte Kind zu übernehmen."
Eine drohende Überbevölkerung sei ihr zufolge ebenfalls "kein Argument für eine freizügige Abtreibungspraxis" – im Gegenteil. Sie spricht sich auch gegen Schwangerschaftsabbrüche aus, "da in Deutschland zu wenige Kinder geboren werden, um die Bevölkerungsanzahl konstant zu halten".
"Weg mit Paragraf 218"
Michaela Herzog meint: "Natürlich brauchen wir mehr Kinder in unserer Gesellschaft, aber das Abtreibungsverbot löst dieses Problem nicht. Kinder soll man mit Liebe empfangen und großziehen, nicht unter Zwang." Blieben Schwangerschaftsabbrüche weiterhin illegal, wäre das ihrer Ansicht nach eine weitergeführte und unzulässige Fremdbestimmung über Frauen.
"Natürlich gehört Paragraf 218 abgeschafft", äußert Karin Sinner-Thelen und fragt verärgert: "Wie wenig Vertrauen haben Politiker, Kirche und ein Teil der Gesellschaft in Frauen, die selbstbestimmt eine Entscheidung zum Abbruch treffen?"
Sie beschäftige sich als Betroffene, Beraterin und ehrenamtlich Engagierte seit den Siebzigerjahren mit der Problematik. "Die meisten Frauen, auch Jugendliche, wissen, was sie wollen. Deshalb sollten sie zeitnah über Möglichkeiten des Abbruchs in ihrer näheren Umgebung verfügen können."
Sie halte es für unglaublich, wie lange Frauen nach Abtreibungsmöglichkeiten suchen müssten, weil immer weniger Ärzte solche anbieten. "Die Situation hat sich in den letzten Jahren verschärft. Das ist beschämend und desaströs. Es ist einfach genug, weg mit Paragraf 218!"
"Es hätte nie einen Grund gegeben, mich zu töten"
Karl berichtet, dass er unter heutigen Umständen wahrscheinlich das Opfer eines Schwangerschaftsabbruchs geworden wäre. Er wurde 1970 als Kind zweier minderjähriger Eltern im damals tief katholischen Saarland geboren. "Wahrscheinlich hat mir nur die Tatsache der starken katholischen Kirchenmoral das Leben gerettet", vermutet er.
"Ich war nie ein überflüssiges Zusatzorgan meiner Mutter, über das sie verfügen durfte. Ich hatte vom Moment meiner Zeugung an ein Recht auf Leben. Ich als Individuum, wie ich heute bin, hätte nie wieder so entstehen können. Ich wurde als Mensch mit dem Recht auf Leben und meiner Würde ausgestattet. Ich habe nie das Leben meiner Mutter gefährdet, war kein Produkt einer Vergewaltigung, sondern nur das Ergebnis von ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Es hätte nie einen gerechtfertigten Grund gegeben, mich zu töten."
Die Mutter des t-online-Lesers habe die Pflicht gehabt, wenigstens neun Monate auszuhalten und ihn danach leben zu lassen. Andernfalls hätte sie ihn um 54 Jahre seines bisherigen Lebens betrogen. "Nach unüberlegtem Spaß das neue Leben nicht egoman umzubringen, sondern nach neun Monaten verantwortungsvoll dem Leben zu übergeben, muss im Rahmen des Denkbaren sein."
Direkt nach der Geburt wurde Karl zur Adoption freigegeben und hatte Glück. Seine neue Mutter sei der liebevollste Mensch der Welt, und ohne seinen nicht-biologischen Vater wäre er nicht derjenige, der er heute ist, sagt er dankend über seine Adoptiveltern.
"Leider kommt in der Diskussion durch die Progressiven selten die Position der Betroffenen, der abgetriebenen oder beinahe abgetriebenen Kinder vor. Ich fühle mich als jemand, der heutzutage sicherer Abtreibungskandidat wäre, dazu berufen und verpflichtet, diese Perspektive einzubringen."
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