Bekannt aus "Aktenzeichen XY" Verbotene Liebe: Wie eine Familie zu Mördern wurde
Sie liebt einen Mann, den sie laut ihrer Familie nicht lieben darf. Es geht um eine Frage der Ehre – und eine tödliche Jagd beginnt.
Detmold im Jahr 2011. Die aus der Türkei stammende Familie Ö. lebt zu diesem Zeitpunkt bereits seit 25 Jahren in Deutschland und scheint gut integriert zu sein. Doch in ihrer jesidischen Gemeinschaft gelten strenge Regeln. Eine davon besagt, dass Frauen nur innerhalb der Glaubensgemeinschaft heiraten dürfen. Und mit dieser bricht die 18-jährige Tochter Arzu, als sie sich in Alexander, einen Nicht-Jesiden, verliebt. Es ist eine Liebe, die ihre Familie nicht toleriert – und für sie Verrat bedeutet. Dennoch widersetzt sich Arzu immer wieder. Sie will frei sein, ihr eigenes Leben führen.
Prügelattacke wegen Partybesuch
Schon früh spitzen sich die Konflikte daher zu. Als die Teenagerin von einer Party heimkehrt, stellt ihr älterer Bruder Osman fest, dass sie Alkohol getrunken hat, schlägt sie daraufhin zusammen. Und das derart brutal, dass sie am nächsten Tag wegen akuter Schmerzen ihre Hausärztin aufsucht, die sie in die Unfallchirurgie des Krankenhauses überweist. Dort stellen die Mediziner ein Schädelhirntrauma sowie verschiedene Prellungen fest. Arzu muss stationär aufgenommen werden und drei Tage in der Klinik bleiben.
Trotzdem kehrt sie nach Hause zurück – doch die Gewalt findet kein Ende. Im Gegenteil, die Situation eskaliert so sehr, dass die junge Frau zur Polizei flieht. Den Beamten berichtet die 18-Jährige auch von einem Gespräch zwischen ihrem Vater Fendi und Osman, in dem Osman gesagt haben soll, es sei das Beste, sie im Wald zu verscharren.
Sie flieht – doch ihre Schwester ist ihr auf den Fersen
Mit Unterstützung der Behörden taucht Arzu in einem Frauenhaus unter, ändert ihr Aussehen und nimmt einen neuen Namen an. Doch die Familie lässt nicht nach und setzt alles daran, sie zu finden, um die aus ihrer Sicht "verlorene Ehre" wiederherzustellen. Als der Vater schließlich aufgeben will, ist es Arzus ältere Schwester Sirin, die als treibende Kraft die Suche fortsetzt.
Als nach einiger Zeit nichts passiert, wird die 18-Jährige unvorsichtiger. Schließlich überwiegt die Sehnsucht nach Alexander und sie nimmt Kontakt zu ihm auf. Zunächst telefonieren die beiden, dann folgen erste Treffen. Da sie bis dahin unentdeckt geblieben sind, beschließt Arzu, ihren Freund auch in seiner Wohnung zu besuchen.
Am 31. Oktober 2011 spüren ihre Geschwister sie genau dort auf. Gewaltsam dringen sie in die Wohnung ein, schlagen Arzu und Alexander zusammen und verschleppen die 18-Jährige. Danach verliert sich ihre Spur. Die alarmierte Polizei wendet sich an den Vater, der aufgefordert wird, auf seine Kinder mäßigend einzuwirken – doch das Familienoberhaupt zeigt sich unkooperativ und nicht weiter an den Vorkommnissen interessiert. Einen Tag später nehmen die Beamten die Geschwister fest. Zunächst hüllen sich alle mutmaßlich Beteiligten in Schweigen, bis einer der Brüder sich mehr und mehr öffnet. Trotzdem fehlt von Arzu weiterhin jede Spur.
"Aktenzeichen XY" und traurige Gewissheit
Wochenlang suchen die Ermittler nach der jungen Frau. Im Dezember 2011, eineinhalb Monate nach ihrem Verschwinden, wird der Fall in der Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" vorgestellt. Die Polizei hofft auf Hinweise über den Aufenthaltsort der Vermissten. Nach der Ausstrahlung gehen mehr als 60 Hinweise ein, die die Beamten jedoch nicht entscheidend voranbringen.
Im Januar 2012 dann die traurige Gewissheit: Auf einem Golfplatz in Schleswig-Holstein findet ein Mitarbeiter Arzus Leiche. Die Obduktion ergibt, dass sie mit zwei aufgesetzten Schüssen getötet wurde.
Auch der Vater muss sich verantworten
Immer wieder beteuern die Geschwister, dass die Ermordung nicht geplant gewesen sei. Vielmehr habe man Arzu nach Norddeutschland zu Verwandten und dort zur Vernunft bringen wollen. Bei einer Rast wird die 18-Jährige schließlich ermordet. Später gesteht ihr 22-jähriger Bruder Osman, die Schüsse abgegeben zu haben.
Im Prozess 2012 verurteilt das Landgericht Detmold diesen zu lebenslanger Haft. Die älteste Schwester Sirin und ein weiterer Bruder, Kirer, erhalten jeweils zehn Jahre Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Mord. Zwei weitere Geschwister, Kemal und Elvis, werden zu fünfeinhalb Jahren verurteilt. Ein Jahr später wird der Vater der Familie wegen Beihilfe zum Mord durch Unterlassen, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.
Telim Tolan, der damals Vorsitzende des Jesidischen Forums in Oldenburg und des Zentralrates der Jesiden in Deutschland, verurteilt die Tat im Nachgang scharf: "Das war keine Ehrentat", gibt er an. "Das ist nicht unser Verständnis von Ehre, das war unehrenhaft." Doch für Arzus Familie gelten andere Regeln. Statt sie ihre Liebe ausleben zu dürfen, ermordete sie die junge Frau.
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- spotify.de: "Aktenzeichen XY... Unvergessene Verbrechen" – Folge 45: Tödliche Freiheit (Podcast)
- spiegel.de: "Ehrenmord in Detmold: Bruder soll Arzu Ö. ermordet haben"
- taz.de: "Ehrenmord an Arzu Özmen"
- waz.de: "Hinweise im Fall Stolzenau und Arzu nach 'Aktenzeichen XY'"
- spiegel.de: "Ehrenmord in Detmold: Bruder von Arzu Ö. soll lebenslang in Haft"