t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikUwe Vorkötter: Elder Statesman

21. Jahrhundert: Warum die ersten 25 Jahre enttäuschten


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Wegweisender Jahreswechsel
Das wollen nicht alle wahrhaben

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

Aktualisiert am 31.12.2024Lesedauer: 5 Min.
Ein Polizist feiert an Silvester 1999 in New Orleans mit Passanten: Das neue Jahrhundert begann mit großen Hoffnungen.Vergrößern des Bildes
Ein Polizist feiert an Silvester 1999 in New Orleans mit Passanten: Das neue Jahrhundert begann mit großen Hoffnungen. (Quelle: Robert Hanashiro/imago-images-bilder)
News folgen

Mit dem Jahr 2024 endet auch das erste Viertel des 21. Jahrhunderts. Ein Jahrhundert, das mit viel Optimismus begann. Doch dann änderte sich alles.

Die Älteren unter uns erinnern sich noch gut an den spektakulären Jahreswechsel ins neue Jahrhundert, ach was, ins neue Jahrtausend: 31. Dezember 1999, die weltweit größte Silvesterparty der Geschichte, der Aufbruch in eine neue Ära. Eine Ära des Friedens, der Freiheit und des Fortschritts. Etwa zehn Jahre zuvor war der Warschauer Pakt zusammengebrochen, die Berliner Mauer war gefallen, Deutschland wieder vereinigt. Die osteuropäischen Länder drängten in die EU, die Armeen rüsteten ab, die Wirtschaft boomte. Ganz neue Firmen wie Yahoo, AOL und Lycos entwickelten ihre Geschäfte im noch jungen Internet.

Wissen Sie noch, welche "Probleme" damals die Schlagzeilen dominierten? Man machte sich einige Sorgen, ob die Computersysteme die Datumsumstellung auf das Jahr 2000 bewältigen könnten. Die Einführung des Euro-Bargelds war in Planung – würde der Abschied von der D-Mark reibungslos über die Bühne gehen? Und in der CDU war die Skepsis mit Händen zu greifen, ob es wirklich eine gute Idee war, diese junge Ostdeutsche namens Angela Merkel zur Nachfolgerin von Helmut Kohl an die Spitze der Partei zu wählen. Vergleichen Sie diese Nachrichtenlage mal mit der von heute.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt.

Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama hatte angesichts der weltpolitischen Umbrüche bereits das "Ende der Geschichte" ausgerufen: Die Marktwirtschaft hatte über die Planwirtschaft gesiegt, die Demokratie über den Kommunismus, Amerika über die Sowjetunion. Danach galt die Zukunft als eine sichere Sache.

Das goldene 21. Jahrhundert dauerte nicht einmal zwei Jahre. Als am 11. September 2001 islamistische Attentäter Passagierflugzeuge kaperten und in die Zwillingstürme des World Trade Center in New York steuerten, war es mit dem Ende der Geschichte schon wieder vorbei. Der Terror zog den Krieg gegen den Terror nach sich, der Krieg gegen den Terror provozierte weiteren Terror. Im Irak und in Afghanistan zeigte sich eine neue Realität: Mit all ihrer überlegenen Waffentechnologie konnten die USA und ihre Verbündeten Saddam Hussein aus dem Amt jagen und Osama bin Laden in seinem pakistanischen Anwesen töten. Aber Frieden, Freiheit und Demokratie konnten sie nicht bringen. Im Gegenteil, der Islamismus wuchs zu einem gefährlichen und unberechenbaren Feind westlicher Werte und des westlichen Lebensstils heran.

Einer ging die Revision der Geschichte an

Und dann stand plötzlich auch die alte Konfrontation zwischen Ost und West wieder auf der Tagesordnung der Politik. Nein, nicht plötzlich, sondern langsam, Schritt für Schritt, ging Wladimir Putin die Revision der Geschichte an. Im Jahr 2000 wurde er zum ersten Mal Präsident, und von Anfang an tat er alles, um die imperiale Tradition der Sowjetunion oder gar des alten Zarenreichs wiederzubeleben. Im Innern des Landes etablierte Putin eine scheindemokratische Oligarchie, nach außen mobilisierte er alte Feindbilder: Amerika, Europa, der Westen.

Polen, Ungarn und Tschechien waren gerade der Nato beigetreten; andere wie Bulgarien, Rumänien und die baltischen Staaten folgten 2004. Allesamt trauten sie Russland nicht über den Weg, aus leidvoller historischer Erfahrung. Putin fühlte sich durch diese Ausdehnung des westlichen Bündnisses nach Osten gedemütigt, verraten, angeblich bedroht. In Tschetschenien führte er fast zehn Jahre lang Krieg, um Russlands Einfluss in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu sichern. Fünf Tage lang führte er Krieg in Georgien, um seinen Machtanspruch im Kaukasus zu dokumentieren. Auch die Ukraine wollte er weder sich selbst noch dem Westen überlassen.

Fataler Fehler von Merkel und Sarkozy?

Angela Merkel hat die vergangenen 25 Jahre politisch nicht nur erlebt, sondern mitbestimmt. In ihren gerade erschienenen Erinnerungen beschreibt sie anschaulich, wie sie 2008 gemeinsam mit Nicolas Sarkozy verhinderte, dass Kiew eine Zusage bekam, in die Nato aufgenommen zu werden. Ihr Motiv: Putin nicht provozieren. Sechs Jahre später schickte der seine Truppen auf die Krim, also auf ukrainisches Staatsgebiet. Der Westen schaute zu. Man ließ sich auf Moskaus Fragen ein: Ist die Ukraine überhaupt ein richtiges Land? Oder doch nur eine ehemalige Sowjetrepublik? Gehörte die Krim nicht schon immer zu Russland? Weitere acht Jahre später rückte die russische Armee auf Kiew vor. Es herrscht jetzt Krieg mitten in Europa. Wieder.

Wladimir Putin ist eine verhängnisvolle Figur des 21. Jahrhunderts. In Deutschland wollen das längst nicht alle wahrhaben.

Unstrittig ist, dass der Kapitalismus über den Sozialismus triumphiert hat. Aber der Kapitalismus neigt zum Exzess, bis an die Grenze der Selbstzerstörung. 2008, die Finanzkrise: Ein Gebäude aus hochriskanten, hochkomplexen und hochgradig unseriösen Spekulationen brach krachend in sich zusammen. Die Existenz des Weltfinanzsystems stand auf dem Spiel. Versagt hatten die größten Banken der Welt, aber sie waren "too big to fail", zu groß zum Scheitern. Die Regierungen retteten die Banken, um das System zu retten, mit irrwitzigen Summen. Ein fatales Signal: Marktwirtschaft ist Machtwirtschaft.

Statt erneuter "Roaring Twenties" kam der Lockdown

Weitere Krisen gefällig? Kein Problem, denken Sie nur an die Migrationskrise des Jahres 2015, deren Folgen wir bis heute nicht verkraftet haben. Die Klimakrise, eine Herausforderung für die Menschheit, spätestens seit Anfang des Jahrhunderts als Problem erkannt – und auch 25 Jahre später ungelöst. Schließlich Corona. In einem kurzen Moment der Zuversicht schien es zu Beginn der 20er-Jahre, als könnte sich die Geschichte der "Roaring Twenties" wiederholen. Im 20. Jahrhundert waren die Zwanziger eine Zeit des Aufbruchs und des Fortschritts. Statt der Roaring Twenties gab es im 21. Jahrhundert dann erst einmal die Lockdown-Twenties.

Finden Sie meine Sicht auf das vergangene Vierteljahrhundert zu skeptisch? Natürlich war es nicht nur eine Zeit von Krieg und Krisen. Als Sie mit großem Feuerwerk in das Jahr 2000 starteten, gab es weder Google noch Facebook oder Twitter. Wir kauften bei Karstadt ein, nicht bei Amazon. Einige von uns telefonierten schon mobil – aber mit Geräten so groß wie ein Ziegelstein, die selten Empfang hatten. Mit dem Smartphone ins Internet? Mit dem Handy beim Bäcker die Brötchen bezahlen? Das alles kam in den Prognosen von damals nicht vor. Der Fortschritt hat das Leben leichter gemacht, aber die Welt nicht unbedingt besser.

Die nationalen Mythen von einst

Heute dominieren düstere Prognosen den Jahreswechsel. Zu den alten Rivalitäten kommen neue, der Systemwettbewerb zwischen Amerika und China verheißt nichts Gutes für die Welt. Die wirtschaftlichen Perspektiven sind trübe. Politisch und ökonomisch erleben wir eine Renaissance des Nationalen: "Make America great again" lautet Donald Trumps zentrales Versprechen. Es weist zurück in vergangene, vermeintlich bessere Zeiten. Trump ist längst nicht der Einzige, der die nationalen Mythen von einst beschwört. Als wäre damit die Zukunft zu gewinnen.

Loading...
Loading...

Aber was heißt das schon? Vor 25 Jahren haben die Experten die politische Zukunft viel zu rosig gesehen. Und die technologische Entwicklung haben sie nicht einmal geahnt. Viel klüger ist die Menschheit seitdem nicht geworden. Wahrscheinlich sind unsere Prognosen wieder falsch. Diesmal kann es eigentlich nur besser werden als erwartet.

 
 
 
 
 
 
 

Dafür gibt es sogar Anhaltspunkte: Der Krieg in der Ukraine wird sich erschöpfen, früher oder später. Im Nahen Osten sind Israel und die Türkei dabei, die Landkarte für die Zeit nach der Hamas und nach der Hisbollah neu zu ordnen. Putin und Trump bestimmen unsere Gegenwart, aber in Wahrheit sind sie doch Männer von gestern; das nächste Vierteljahrhundert werden sie nicht mehr prägen. Wer und was nach ihnen kommt, weiß heute kein Mensch.

Das unterschätzte Glück von Freiheit und Wahl

Das ist kein Plädoyer dafür, fatalistisch abzuwarten, was die Zukunft bringt. Menschen schreiben Geschichte, die passiert nicht einfach. Wir haben das Glück, diese Menschen selbst auswählen zu können. Man nennt es Demokratie. Also schreiben Sie Geschichte, am 23. Februar, bei der vorgezogenen Bundestagswahl.

In diesem Sinne: ein gutes, ein besseres Jahr 2025. Stoßen wir an auf das nächste Vierteljahrhundert!

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website