Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Putins Angriffe in der Ostsee Deutschland muss endlich aufwachen
Beschädigte Unterseekabel in der Ostsee verdeutlichen die kontinuierlichen hybriden Angriffe Russlands. Deutschland muss endlich auch handeln – Vorbild können die baltischen Staaten sein.
In der Weihnachtszeit wünschen wir uns Frieden. Ein frommer Wunsch, gerade wenn man sich vor Augen führt, dass Putins Krieg in der Ukraine uns näher ist, als viele glauben möchten. So wurde an Weihnachten erneut ein Unterseekabel in der Ostsee zwischen Estland und Finnland beschädigt.
Die Störung und Zerstörung auch deutscher Infrastruktur ist längst zu einem Ziel von Putins Krieg gegen den Westen geworden. Das zeigt eindrücklich eine neue Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Wissenschaftlern des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) an der Universität Bonn.
Strategische Infrastruktur wird durch Angriffe Russlands bedroht
Die Ostsee wird trotz des anhaltenden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine immer häufiger zum Angriffsziel russischer hybrider Attacken. Der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur von der liberalen Reformpartei hatte am Donnerstag die estnische Marine in die Nähe des Verbindungskabels geschickt, um die "Energieverbindung mit Finnland zu verteidigen und zu schützen".
Große Teile der strategischen Infrastruktur, die für Wirtschaft, Verkehrs- und Ressourcenflüsse von Deutschland und anderen Ostseeländern von entscheidender Bedeutung sind, werden aktuell durch hybride Angriffe Russlands bedroht.
Während die deutsche Bundesregierung nicht einmal den selbst auferlegten Verpflichtungen der sogenannten Zeitenwende nachkommt, fehlt auch insgesamt die Wahrnehmung der Dringlichkeit. Nirgendwo an der Ostflanke der Nato scheint Deutschland der Verantwortung für eigene Sicherheit und Werte gerecht zu werden, die von Ukrainern mit ihrem Leben zurzeit an der Front gegen die russischen Angriffe verteidigt werden.
Die sogenannte wertegeleitete Außenpolitik verlangt mehr Unterfütterung mit militärischen Kapazitäten und Schutzmechanismen gegen hybride Angriffe. Das ist auch wirtschaftlich von großer Bedeutung, denn der deutsche Außenhandelsumsatz mit den Ostseeanrainerstaaten ist inzwischen größer als der mit China.
Die Öffentlichkeit nimmt es kaum wahr
Die neue Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung könnte dazu beitragen, dass mehr Menschen am Beispiel des Ostseeraums verstehen, wie Putin einen hybriden Krieg gegen Deutschland führt. Sie zeigt, dass Russlands hybride Angriffe auf Unterseekabel und Pipelines Deutschland längst erreicht haben und die Handelsströme in der Ostsee stören. Die deutsche Öffentlichkeit hat das bis heute kaum wahrgenommen, geschweige denn verstanden.
Zur Person
Julius von Freytag-Loringhoven leitet seit Oktober 2024 das neu gegründete Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) im Baltikum, mit Sitz in Vilnius, Litauen. Zuvor war er unter anderem für die Stiftung in Moskau und Jerusalem tätig. Zuletzt leitete er die Kommunikation der Friedrich-Naumann-Stiftung. Von Freytag-Loringhoven ist Experte für internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik.
Die Sicherheitslage im Ostseeraum – von der Energieversorgung mit ihren Kabel- und Pipelinenetzen bis zur militärischen Bedrohung aus der russischen Militärkolonie Kaliningrad –verlangt schnelle konkrete Maßnahmen von der Bundesregierung.
Denn aus Kaliningrad besteht sowohl eine hybride Bedrohung durch Cyber- und Desinformationsattacken als auch eine Bedrohung durch atomar bestückbare Iskander-Kurzstreckenraketen, die Berlin und andere Hauptstädte der Europäischen Union – zumindest in der Theorie – erreichen können.
Diese Länder können Deutschland ein Vorbild sein
Sicherlich: Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 versteht man in Deutschland grundsätzlich, dass von Russland eine reale militärische Bedrohung ausgeht. Und, dass die Sicherheit in der Ostseeregion heute nicht mit, sondern nur gegen Russland hergestellt werden kann.
Aber im Konkreten müssen die gründlichen und tagesaktuellen Analysen zur Sicherheitslage aus den baltischen Staaten, den nordischen Ländern und Polen viel stärker in die strategischen Antworten der Bundesregierung wirken.
Deutschland kann viel von den anderen Ostseestaaten lernen, um Angriffe zu identifizieren und in Echtzeit zu beantworten. Sie alle sind besser und gründlicher auf die russische Bedrohung vorbereitet. Insbesondere die kleinen baltischen Staaten spielen hier eine Schlüsselrolle.
Deswegen versucht die Friedrich-Naumann-Stiftung mit ihrem neuen Büro für die baltischen Staaten in Vilnius, Litauen, die örtlichen sicherheitspolitischen Bewertungen in Deutschland sicht- und hörbarer zu machen. Die Freiheit der liberalen Demokratien in Europa hängt mehr denn je auch von ziviler Resilienz, militärischer Kriegstüchtigkeit und ausreichender Abschreckung ab.
Bürokratie und Regierungswechsel drohen die Einsatzbereitschaft der Brigade zu verzögern
Dazu braucht es mehr Zusammenarbeit und Analysekapazitäten, beispielsweise muss die relevante Infrastruktur in der Ostsee erst in einer umfassenden Datenbank erfasst werden. Es geht darum, die Abwehr nicht-militärischer, hybrider Bedrohungen verschiedenster Art gründlicher zu analysieren und die eigene Politik, Militär und Zivilgesellschaft mit konkreten Antworten vorzubereiten und zu schützen.
In Litauen hat bereits die Aufstellung einer Bundeswehrbrigade begonnen, wodurch die Sicherheit des Landes auch zu unserer Sicherheit wird. Denn für die Verteidigung des baltischen Landes ist jetzt auch die deutsche Bundeswehr mitverantwortlich. Bei einem Angriff würden folglich auch deutsche Soldaten mit ihrem Leben einstehen.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat deutlich gemacht, dass Deutschland "mit dieser kriegstüchtigen Brigade" eine "Führungsverantwortung im Bündnis" an der Ostflanke der Nato übernimmt.
Doch Bürokratie, Regierungswechsel und andere administrative und logistische Hürden drohen die volle Einsatzbereitschaft der Bundeswehrbrigade in Litauen zu verzögern. Ein tieferes Verständnis der sicherheitspolitischen Konsequenzen einer Verzögerung könnte dem politischen Willen mehr Dringlichkeit verleihen.
Das wird entscheidend für die gemeinsame Sicherheit in der Ostsee
Doch die besser koordinierte Kooperation zwischen den Ostseeanrainern, der Nato und auf diversen Ebenen sowie zwischen staatlichen und nicht staatlichen Akteuren wird entscheidend für die gemeinsame Sicherheit in der Ostsee.
Deutschland sollte beim Aufbau einer EU- oder Nato-Drohnenaufklärungsagentur mitwirken, um eine systematische, kontinuierliche Überwachung von maritimen Infrastrukturen und Seegebieten zu gewährleisten. Bisher kochen da fast alle Staaten ihre eigene Suppe. Und viele schon jetzt eine bessere als wir.
Um weitere Attacken gegen Tiefseekabel zu verhindern, muss gegen russische Sabotageaktivitäten auch eine glaubwürdige Abschreckung entwickelt werden, dass Täter nicht – wie bisher – ohne Konsequenzen Infrastruktur beschädigen können.
Es braucht insgesamt eine stärkere Beteiligung deutscher Ministerien und ziviler Akteure an der ungleich größeren Erfahrung im Baltikum zum Umgang mit hybriden Bedrohungen. Gerade im kommenden Bundestagswahlkampf wird uns wieder vor Augen geführt, wie wenig Deutschland gegen russische Einflussnahme für die Diener russischer Interessen von AfD bis BSW aufzubieten hat. Bisher wurde der gründlich analysierte Einfluss über TikTok und andere soziale Medien nicht politisch beantwortet.
Deutschland braucht gegen hybride wie militärische Bedrohungen eine neue und schlankere Sicherheitsarchitektur, zusammen mit dem nötigen Bürokratieabbau. Anstelle von derzeit mehr als 20 mitwirkenden Bundes- und Landesbehörden mit Meeresaufgaben braucht es künftig eine durchgriffsfähige Gesamtorganisation, zum Beispiel mit einem Krisenkoordinationszentrum Ostsee.
Erst wenn die Zeitenwende auch in all den genannten Bereichen eintrifft, leistet Deutschland wieder einen echten Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit.
Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.
- Eigene Beobachtungen
- Friedrich-Naumann-Stiftung: "Die Ostsee als geopolitischer Brennpunkt"
- bpb.de: "Deutschland – Handelspartner"
- freiheit.org: "1000 Tage Widerstand: Ukraine kämpft für Freiheit und Europas Zukunft"