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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Bürgergeld-Debatte: Darum ist die Sozialleistung ein Pulverfass


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Pulverfass Bürgergeld
Da stimmt was nicht

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

11.07.2024Lesedauer: 4 Min.
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Bundesfinanzminister Christian Lindner (l.) und Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales. (Quelle: IMAGO/M. Popow/imago)
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Das Bürgergeld strapaziert den Haushalt und entzweit die Koalition. Neben den explodierenden Kosten birgt die Sozialleistung großen gesellschaftlichen Sprengstoff. Entscheidet dieses Thema die Bundestagswahl?

Wenn ich nicht bestimmt wüsste, dass es Hubertus Heil schon gab, bevor die Künstliche Intelligenz in unser Leben trat, ich würde wetten, dass dieser Mann da im Radio das Ergebnis eines präzisen Arbeitsauftrags an die Maschine ist.

Der Prompt (so nennt man den Arbeitsauftrag an die Maschine) hätte in etwa so gelautet: Schaffe mir die Stimme eines Mannes, der mit sedierender Ruhe und Langsamkeit Sätze bildet, in denen sich Binsen und Sozialdemokratismen geschmeidig aneinanderreihen. Mische etwas jusohafte Sozialromantik und Gewerkschafterjargon hinzu. Und lasse immer erkennen, dass dieser Mann alles dafür tut, damit die bösen Neoliberalen auch dann dem Wohlbefinden der sozial Schwachen nichts anhaben können, wenn sie in Gestalt der FDP mit ihm zusammen in einer Regierung sitzen. Orientiere dich dabei rhetorisch an Ottmar Schreiner, Rudolf Dreßler und Heidemarie Wieczorek-Zeul, im Vortrag aber am Schlafmittel Sedariston.

Arbeitsminister Hubertus Heil fuhr Anfang der Woche durch die Lande und besuchte Betriebe, die Debatte ums Bürgergeld reist ihm aber überall hinterher. Seine Regeln sind milde verschärft worden (mehr dazu lesen Sie hier). Weshalb er morgens im Deutschlandfunk Interviews gibt und sagt, dass das Bürgergeld keineswegs grundstürzend verändert und endlich wieder mehr aufs Fordern ausgerichtet worden sei. Vielmehr seien ein paar Anpassungen auf Wunsch der Jobcenter vorgenommen worden.

In gütiger Ruhe spricht der Bürgergeld-Buddha davon, dass die allerwenigsten Bezieher sich im Bürgergeld auskömmlich einrichten, das er im übrigen erst zu Beginn dieses Jahres von 502 auf 563 Euro im Monat über jede Inflationsentwicklung hinaus angehoben hat – und damit den Arbeitsanreiz vermindert.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".

Ebenso beharrlich wie vergeblich unternimmt Finanzminister Christian Lindner, der von der bösen FDP, immer wieder den Versuch, die aus dem Ruder laufenden Kosten für dieses Instrument der Sozialhilfe wieder in den Griff zu bekommen. Inklusive der Leistungen, die jenseits des Bürgergeldsatzes selbst dranhängen – Miete und anderes –, summieren sie sich nach Aussagen des Unionsfraktionsvizes Mathias Middelberg auf 47 Milliarden Euro im Jahr. Das ist etwa ein Zehntel des gesamten Bundeshaushalts, den Lindner gerade für das kommende Jahr aufstellt. Und nur etwas weniger, als dort für den Etat des Verteidigungsministers angesetzt ist.

Man weiß nicht recht, wer oder was mehr aus der Zeit gefallen ist: Hubertus Heil oder das von ihm gegen alle Attacken verteidigte Bürgergeld – dessen Name nebenbei bemerkt schon eine Unverfrorenheit ist. Die allgemeinen Umstände, die der Bundeskanzler Zeitenwende genannt hat, müssten eigentlich allen Beteiligten klarmachen, dass man sich soziale Errungenschaften leisten können muss. Und dass die Friedensdividende der Vergangenheit angehört. Und obendrein die Steuereinnahmen weiter schrumpfen werden, wenn die Wirtschaft des Landes weiter so abschmiert, wie sie es unverändert tut.

Abeitskräftemangel an allen Ecken

Dass mit der Behauptung Heils, nur ganz wenige Bezieher von Bürgergeld richteten sich anstrengungslos in ihm ein, etwas nicht stimmen kann, muss jedem klar sein, der mit offenen Augen durchs Leben geht. Etwa 5,5 Millionen Menschen beziehen im Augenblick diese Sozialleistung, während Arbeitgeber verzweifelt nach Arbeitskräften fahnden, auf allen Kanälen. Es wird nahezu alles gesucht. Busfahrer, Polizisten, Köche, Bedienungen, Handwerker, Friseure. Keine Branche, die nicht betroffen wäre.

Man muss beileibe nicht Chefökonom eines Konzerns sein, der gesunde Menschenverstand sagt einem da: Es kann etwas mit dem Anreiz nicht stimmen, für sein Auskommen arbeiten zu gehen, statt das Geld vom Staat überwiesen zu bekommen. Und ist es in so einer Lage nicht einfach nur angemessen, die Bezüge drastisch zu streichen, wenn jemand zumutbare angebotene Arbeit ausschlägt?

Wenn die FDP zugleich Steuervergünstigungen für ausländische Fachkräfte erwägt, wird es vollends verrückt. Kann sein, dass das bürokratische Dickicht zu dicht ist für die Angekommenen, um bis zum Arbeitsplatz vorzudringen. Kann aber auch sein, dass das Bürgergeld einfach ein Anreiz ist zu kommen und damit auszukommen.

Das Thema ist toxisch

Jedenfalls steckt gesellschaftlicher Sprengstoff im Bürgergeld. Es ist Pulverfass und Fass ohne Boden in einem: Denn während 5,3 Prozent der Deutschen Bürgergeld beziehen, waren es im Sommer 2023 nach dem Migrationsmonitor 65,6 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer, 55,1 Prozent der Syrerinnen und Syrer, 47,1 Prozent der Afghaninnen und Afghanen, 41,7 Prozent der Irakerinnen und Iraker und 16,2 Prozent der Türkinnen und Türken.

Asylbewerber sind dabei gar nicht berücksichtigt. Sie beziehen ihr Geld aus dem Asylbewerberleistungsgesetz. Fast die Hälfte der Bürgergeldbezieher kommt aus dem Ausland. Tendenz steigend. Die Einheimischen zahlen ein ins System, die frisch Hinzugekommenen profitieren davon? Das erzeugt auch bei gemäßigten Gemütern ein Störgefühl, ist Gift für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Und gießt kübelweise Wasser auf die Mühlräder der AfD.

Insofern könnte es zu einem Gewinnerthema für ihn werden, wenn Oppositionschef Friedrich Merz ankündigt, im Falle einer Regierungsübernahme das Bürgergeld in seiner existierenden Form abzuschaffen. Der Zuspruch sehr vieler Tag für Tag arbeitender Steuerzahler dürfte ihm dafür sicher sein. Und vielleicht hätte er es dann nicht mehr mit Hubertus Heil, sondern mit Boris Pistorius in einer gemeinsamen Regierung zu tun, mit dem er sich dem Vernehmen nach nicht nur im Ziel, mehr fürs Militärische umzuschichten, sehr einig ist.

Verwendete Quellen
  • Radiohören, eigenes Nachdenken
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