Tagesanbruch Nach fünf Jahren: Eine besondere Botschaft
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
Herrschaftszeiten, wie die Zeit verfliegt! Eben war die Welt noch überschaubar, unsere Redaktion ein Häuflein Pioniere und der Tagesanbruch ein bescheidenes Newsletterchen. Fünf Jahre ist das jetzt her. In der ersten Ausgabe ging es um das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz, in dem damals viele schlaue Journalisten schon den nächsten Kanzler sahen. Nun ja. Außerdem sorgte der irre Kim in Nordkorea für Schlagzeilen, der hatte mal wieder bumm gemacht. Es waren keine überraschenden Themen, so war die Welt halt damals: berechenbar, übersichtlich, fast ein bisschen langweilig. Kein Wunder, dass der erste Tagesanbruch mit 4.500 Zeichen ziemlich knapp ausfiel.
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Es wurden dann immer mehr. Weil es leider einfacher ist, viel als wenig zu schreiben, aber eben auch, weil immer mehr passierte. Die Kämpfchen in der Groko und Merkels Machtverfall, der Donald in Washington und die jungen Leute auf den Straßen. Die immer gravierenderen Schäden der Klimakrise, Corona natürlich und Putins Krieg gegen die Ukraine mit all seinen Folgen. An manchen Tagen ähnelten die Berichte atemlosen Stenogrammen, an anderen warfen sie mehr Fragen auf, als sie beantworteten. Zwischendrin Reiseberichte aus dem Südsudan, aus China, Angola, Japan und so weiter, auch viele Interviews, Hintergrundgespräche und noch viel mehr lange Nächte vor der Tastatur. 190 Millionen Mal wurden die Tagesanbruch-Ausgaben im Internet aufgerufen, hat eine liebe Kollegin herausgefunden. Hinzu kommen die vielen Newsletter-Abonnenten, die sind uns ja die Liebsten. Und natürlich die geschätzten Hörer des Podcasts.
Große Zahlen, aber eigentlich ging es von Beginn an um etwas anderes. Um dreierlei genau genommen. Erstens soll der Tagesanbruch wie ein Leuchtturm Licht in die Nachrichtenflut bringen, das Geschehen in Deutschland und der Welt einordnen, kommentieren und manchmal auch parodieren. Zweitens verdeutlicht er den Anspruch unserer Redaktion, t-online zu einem Leitmedium zu entwickeln. Und drittens ist er ein famoses Instrument, um mit netten, interessanten Menschen in Kontakt zu treten.
Womit wir bei Ihnen wären. Genau, bei Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser. Ich weiß jetzt nicht, ob Sie von Anfang an dabei waren, aber falls ja, kennen Sie mich ziemlich gut. Sie wissen dann, was ich während meines Studiums in Syrien erlebt habe, warum ich einst zwei Zöpfe trug, einen vorn und einen hinten nämlich, sogar mit meinem Musikgeschmack habe ich Sie behelligt. Viel wichtiger aber: Sie haben womöglich auch selbst schon einmal in die Tasten gegriffen, um mir zu schreiben. Oder zum Füller, auch das gibt es. Es ist berührend und eine Ehre, wie viel Post ich in den vergangenen fünf Jahren erhalten habe. So viele liebe Worte, Anregungen, Elogen. Manchmal wurde ich rot beim Lesen, ehrlich. Auch die kritischen Zuschriften habe ich goutiert, wenn Sie höflich formuliert waren. Man lernt ja was daraus.
Deshalb nutze ich den heutigen Tagesanbruch für einen großen Dank: an Sie, unsere Stammleserinnen und Stammleser. Ihre Aufmerksamkeit, Ihre Treue und Ihr Zuspruch sind ein kostbares Geschenk. Ich gestehe: Wenn ich nachts an meinem Schreibtisch hocke, den sich vor hundert Jahren ein Schneidermeister tischlern ließ, wenn ich die Stimmen der Nachteulen durch das geöffnete Fenster höre und wieder mal um Worte ringe, dann frage ich mich manchmal, warum ich das alles eigentlich immer noch mache. Die ewige Nachtarbeit ist ja nicht nur ein Vergnügen. Doch dann denke ich an die vielen freundlichen Menschen, die sich wenige Stunden später freuen, wenn der Tagesanbruch morgens in ihr E-Mail-Konto trudelt. Also mache ich weiter. Zumindest noch ein Weilchen.
Ein Platz für Gorbi
Bevor der Bundestag heute seine Generaldebatte über die Regierungspolitik beginnt, bevor also Kanzler Olaf Scholz sein 65-Milliarden-Euro-Entlastungspaket einmal mehr als "sehr präzise und sehr, sehr maßgeschneidert" lobt, bevor Oppositionsführer Friedrich Merz die Beschlüsse mindestens als "unzureichend" geißelt, bevor die grünen und die gelben Teile der Ampelkoalition sich herzhaft über die Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke streiten – vor all dem Getöse also wird es eine Minute lang ganz still werden im hohen Haus: Dann nämlich gedenkt das Parlament des früheren sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wird das Lebenswerk des Mannes, ohne den die deutsche Einheit unmöglich gewesen wäre, in einer Rede würdigen, während auf dem Reichstagsgebäude die Flaggen auf Halbmast wehen. So weit, so angemessen. Und doch bleibt bei vielen der Wunsch, den Friedensnobelpreisträger, dem in seiner Heimat ein Staatsbegräbnis verwehrt wurde, noch auf andere, nachhaltigere Weise zu ehren. Warum nicht den Platz des 18. März am Brandenburger Tor, der erst seit dem Jahr 2000 so heißt und dessen Name an den Barrikadenaufstand von 1848 erinnern soll, in Gorbatschowplatz umbenennen, wie es der Kollege Detlef Esslinger in der "Süddeutschen Zeitung" vorschlug? Ich fänd's gut.
Aufräumen beim RBB
Wenn heute Nachmittag in Potsdam der Rundfunkrat des Krisensenders RBB zusammenkommt, gibt es nur einen Tagesordnungspunkt: die Wahl einer Interimsintendanz. Es gibt allerdings auch nur eine Kandidatin: Die derzeitige Verwaltungsdirektorin des WDR in Köln, Katrin Vernau, gilt als Favoritin der vierköpfigen Findungskommission. Während kaum jemand an der fachlichen Kompetenz der promovierten Wirtschaftswissenschaftlerin aus Baden-Württemberg zweifelt, sorgt genau dieses Prozedere schon wieder für Ärger: So monieren Vertreter der freien RBB-Journalisten, dass eine echte Wahl mit mehreren Kandidaten nötig wäre; der Journalistenverband Berlin schließt sich der Kritik an. Und dann ist da noch die Sorge, bei Frau Vernau könne es sich um eine Statthalterin des WDR-Intendanten und kommissarischen ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow handeln. Es bleibt wohl turbulent beim RBB.
Ehre für Udo
Als ich das letzte Mal mit Udo zusammensaß, es ist schon ein Weilchen her und der Meister bestellte für uns Eierlikör, während er von seinen Jugendsünden in Libyen erzählte, da fragte ich ihn beiläufig, ob er eigentlich Ehrenbürger zu werden gedenke. Weil eine schönere Auszeichnung hat Hamburg ja nicht zu vergeben, und was gibt es denn Dolleres als die schönste Ehre der schönsten Stadt der … na, Sie wissen schon. Er hingegen wusste nich so genau. Nuschelte irgendwas von ma gucken und erst mal die nächste Platte fertig machen, neue Paniksongs und so. Mittlerweile ist er geschmeidiger unterwegs, und so hat er zugestimmt, als die Stadtoberen ihm die Auszeichnung endlich angetragen haben. Heute Abend wird Udo also im feinen Hamburger Rathaus zum Ehrenbürger der Hansestadt gekürt. "Udo Lindenberg ist einer der bedeutendsten Musiker unserer Zeit", sagt der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher. Das ist natürlich hanseatisches Understatement, in Wahrheit hat das "einer" in so einem Satz nichts zu suchen, zumindest hierzulande. Mit 76 Lenzen rockt Udo immer noch über die Bühnen. Möge ihm noch ein langes Panikleben gegönnt sein. Darauf ein Likörchen!
Was lesen?
Putin schickt Europas Wirtschaft in die Rezession und die Weltwirtschaft in die Krise. Es dürfte das letzte Mal sein, dass ihm das gelingt, schreibt unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld.
China lässt militärisch die Muskeln spielen und fordert die USA als Supermacht heraus. Mein Kollege Patrick Diekmann erklärt Ihnen, welchen Plan Xi Jinping verfolgt.
Die Republik Moldau ist klein und arm, hat aber Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine geholfen. Nun ist Europa gefordert, das Land zu unterstützen, fordert unsere Gastautorin Katja Christina Plate. Denn Moskau droht, Moldau in den "Mülleimer der Geschichte" zu werfen.
Heute Abend startet der FC Bayern bei Inter Mailand in die Champions League. Vorher erklärt Lothar Matthäus im Interview mit unserem Reporter Julian Buhl, was sich Trainer Nagelsmann auf keinen Fall mehr erlauben kann.
Was amüsiert mich?
Herr Habeck macht jetzt auf Atom.
Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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