Republik Moldau Wird Russland nun dort zuschlagen?
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Weitgehend schutzlos verfolgt die Republik Moldau den Ukraine-Krieg. Europa muss dem Land dringend helfen, meint Katja Christina Plate (Konrad-Adenauer-Stifung).
Wenn Russland Raketen auf die ukrainische Hafenstadt Odessa oder ihr Hinterland abschießt, hört man die Einschläge auch in der Republik Moldau. Millionen ukrainischer Flüchtlinge sind über sie in die Europäische Union geflohen – oder sind gleich in dem kleinen Nachbarland der Ukraine geblieben. Russische Offizielle bedrohen die Republik Moldau direkt und verkünden, so wie ein russischer Abgeordneter, dass man das Land auch gerne auf den "Müllhaufen der Geschichte" befördern könne.
Es gibt seit Monaten immer wieder Bombendrohungen ungeklärten Hintergrunds. Eine schwere Wirtschaftskrise mit hoher Inflation kommt hinzu. Es wundert daher nicht, dass viele Moldauerinnen und Moldauer verunsichert sind und sorgenvoll in die Zukunft blicken. Genau dieses Gefühl der Verunsicherung ist das Ziel russischer Aktivitäten gegen die Republik Moldau. Russland führt seinen Krieg nicht nur mit militärischen Mitteln, es führt auch einen Wirtschaftskrieg und einen Informationskrieg.
Katja Christina Plate leitet die Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rumänien und der Republik Moldau. Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist eine der CDU ideell nahestehende Denkfabrik, die sich unter anderem für die europäische Verständigung einsetzt.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung der Republik Moldau ist es, sowohl den direkten Drohungen als auch der von Russland intendierten Verunsicherung, Destabilisierung und Demoralisierung der Bevölkerung etwas entgegenzusetzen. Einen großen Erfolg konnte die pro-europäische Reformregierung um Premierministerin Natalia Gavrilița dabei am 23. Juni 2022 erzielen, als das Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhielt. Das reicht jedoch nicht aus. Gerade ein Faktor, den viele Moldauerinnen und Moldauer lange als Garant für ihre Sicherheit und Unabhängigkeit gesehen haben, steht aktuell im Zentrum der Debatte: die in der Verfassung garantierte Neutralität des Landes.
In den 1990er Jahren war das Hauptargument für den Neutralitätsstatus der Republik Moldau, dass dieser Status eine friedliche Lösung des Transnistrien-Konflikts und den Abzug der russischen Truppen vom moldauischen Territorium erleichtern würde. Allerdings erläutert Professor Nicolae Osmochescu von der Juristischen Fakultät der Staatlichen Universität Moldau und ehemaliger Richter des moldauischen Verfassungsgerichts, dass so eine Neutralitätserklärung aus völkerrechtlicher Sicht auch von internationalen Partnern und internationalen Organisationen anerkannt und garantiert werden müsse.
Sicherheit nicht zum Nulltarif
Dies sei bei der Republik Moldau nicht der Fall. Nach wie vor sind russische Streitkräfte auf dem Gebiet des Landes stationiert und die Region Transnistrien konnte bislang auch nicht re-integriert werden. Stattdessen hat die Republik Moldau unter dem Deckmantel der Neutralität ihren Verteidigungs- und Sicherheitssektor drei Jahrzehnte lang vernachlässigt und unterfinanziert.
Nach einer im Sommer durchgeführten Meinungsumfrage sind nur noch 50,9 Prozent der befragten Moldauerinnen und Moldauer der Meinung, dass die Neutralität die beste Sicherheitsoption für ihr Land sei. Dorin Recean, Präsidialberater für Verteidigung und nationale Sicherheit und Sekretär des Obersten Sicherheitsrates der Republik Moldau, betont, dass die Neutralität zwar nach wie vor ein Instrument zur Gewährleistung von Sicherheit sei, jedoch nicht mit dem Verzicht auf militärischen Verteidigungsfähigkeiten verwechselt werden sollte.
Gerade der aktuelle Sicherheitskontext, in dem das Risiko einer Ausdehnung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die Republik Moldau besteht, zwingt die moldauische Regierung dazu, ihre Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin zu überdenken. Darüber hinaus muss aber das ganze Land eine neue Sicherheitskultur entwickeln.
Neutral zu sein, bedeutet nicht, verwundbar sein zu müssen. Im Gegenteil: Neutrale Staaten müssen tendenziell sogar mehr in ihre Verteidigungsfähigkeit investieren, weil sie nicht Teil eines Sicherheitsbündnisses sind. Die moldauische Armee benötigt dringend eine angemessene militärische Ausstattung und Ausrüstung. Es heißt, das Land verfüge über keine kampftauglichen Panzer. Von modernen Flugabwehrsystemen ganz zu schweigen. "Wir werden der Armee mehr in die Hand geben müssen als Holzspaten!", fasste die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu im Sommer die Herausforderung zusammen.
Äußere Bedrohung, innere Schwäche
Es geht auch um die medizinische Ausrüstung der Armee, den Zustand der Kasernen, die Qualität der Ausbildung und den Führungsstil. Eine moderne moldauische Armee muss den Schutz kritischer Infrastrukturen gewährleisten können – auch im Bereich der Cybersicherheit. Resilienz und Abschreckung müssen Schritt für Schritt aufgebaut werden. Und all dies muss von der Bevölkerung mitgetragen werden.
Neutral zu sein, bedeutet zudem nicht, isoliert sein zu müssen, erklärt der moldauische Außen- und Europaminister Nicu Popescu. Im Gegenteil: Neutrale Staaten wie die Republik Moldau müssen ein hohes Interesse an einer funktionierenden internationalen Friedens- und Sicherheitsarchitektur haben.
Entsprechend muss das Land eine aktive Rolle in internationalen Organisationen einnehmen und sich dort für seine Sicherheitsinteressen im Rahmen multilateraler Systeme einsetzen. Die Republik Moldau strebt entsprechend den Beitritt zur EU an, ein enges partnerschaftliches Verhältnis mit den USA und der Nato. Nach wie vor ist die Republik Moldau auch Mitglied der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS).
Die aktuell stärkste Bedrohung der Republik Moldau geht jedoch von ihren eigenen internen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schwachstellen aus. Diese wird Moskau nach Kräften ausnutzen und nähren, um wieder ein gefügiges Regime an der Spitze des Landes durchzusetzen.
Der Westen in der Pflicht
Da wären als konkrete Akteure zunächst die lokalen moldauischen oligarchischen und kleptokratischen Kräfte, die gemeinsame Interessen mit Moskau haben. Aber auch verschiedene politische und zivilgesellschaftliche Kräfte, die von der Russischen Föderation in der Republik Moldau kontrolliert, finanziert und unterstützt werden.
Die wirtschaftliche und soziale Lage ist zentral für die Frage, ob die pro-europäischen Kräfte der von der Partei Partidul Acțiune și Solidaritate (PAS) gestellten reformorientierten Regierung weiter von der Bevölkerung unterstützt werden. Aber auch Korruption, die allgemeine Schwäche der Rechtsstaatlichkeit, unzureichende Verwaltungskapazitäten auf der Ebene der staatlichen Institutionen, mangelnde Grenzsicherheit und Resilienz gegen organisierte Kriminalität sind als Schwachstellen zu nennen.
Weitere Angriffspunkte für russische Destabilisierungsmaßnahmen stellen die fehlende Kohäsion in der moldauischen Gesellschaft und dabei insbesondere die Nicht-Integration ethnischer Minderheiten dar. Der Konflikt um die Region Transnistrien nimmt unter den genannten Problemfeldern natürlich einen ganz besonderen Stellenwert ein.
An all diesen Punkten lässt sich vonseiten der pro-europäischen, reformorientierten Kräfte in der Republik Moldau arbeiten, und dies geschieht seit dem Regierungswechsel im August 2021 auch. Nach Jahren der politischen Misswirtschaft muss die PAS-Regierung hierbei allerdings jetzt einen Kampf steil bergauf unter schlechtesten denkbaren Rahmenbedingungen führen. Sie benötigt Hilfe, um resilient gegen russische Einflussnahme und Destabilisierung zu werden.
Der Republik Moldau diese Hilfe jetzt zu gewähren, liegt im eigensten sicherheitspolitischen Interesse der Europäischen Union. Denn niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass sich Russlands Aggression nur gegen die Ukraine oder die Republik Moldau wendet. Sie wendet sich gegen das demokratische, freiheitliche Leben in Europa.
Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.