Lothar Matthäus warnt "Das kann sich Nagelsmann nicht noch mal erlauben"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der FC Bayern startet am Mittwochabend bei Inter Mailand in die Champions League. Lothar Matthäus sieht einen entscheidenden Punkt, auch für den Chefcoach.
Mit dem Auswärtsspiel bei Inter Mailand nimmt der FC Bayern am Mittwochabend die Mission Champions-League-Titel in Angriff. Lothar Matthäus kennt beide Vereine wie kein anderer: Für Bayern spielte der Ex-Profi von 1984 bis 88 sowie von 1992 bis 2000. Die Zeit dazwischen verbrachte er in Italien bei Inter.
Mit beiden Klubs feierte Matthäus große Erfolge, gewann mit Mailand unter anderem 1989 die Meisterschaft sowie 1991 den Uefa Cup. Diesen Triumph wiederholte er 1996 mit den Münchnern. Im Interview mit t-online spricht der Welt- und Europameister über das Duell seiner beiden Ex-Klubs in der Königsklasse.
t-online: Herr Matthäus, der FC Bayern trifft gleich zum Auftakt der Champions-League-Saison mit Inter Mailand auf ein Spitzenteam. Wie speziell ist dieses Duell für Sie?
Lothar Matthäus: Ich habe bei beiden Vereinen eine große, erfolgreiche Zeit erlebt und dort Eindrücke hinterlassen. Deswegen ist dieses Spiel für mich noch besonderer und spannender, als es für die Bayern-Fans vielleicht das Duell mit dem FC Barcelona und das Wiedersehen mit Robert Lewandowski ist. Wenn ich mir ein Spiel aussuchen müsste, würde ich Inter gegen Bayern wählen.
Das Duell Ihrer beiden großen Lieben?
Wenn ich das sagen würde, würde ich Borussia Mönchengladbach sehr wehtun. Denn Gladbach ist auch meine große Liebe. Jeder meiner Vereine hat mir auf seine Art wahnsinnig viel gegeben. Die längste Zeit meiner Karriere habe ich bei Bayern München verbracht, bei Inter habe ich "nur" vier Jahre und in Gladbach, wo ich meine ersten Schritte gegangen bin, fünf Jahre gespielt habe. Ich habe in allen drei Vereinen mein Herz, aber die Kindesliebe ist und bleibt Mönchengladbach für mich.
Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Inter beschreiben?
Dort habe ich die emotionalste Phase meiner Karriere erlebt. Wir sind damals in der stärksten Liga der Welt Meister geworden, haben den Uefa Cup gewonnen. Ich bin dort zweimal Weltfußballer geworden, einmal inoffiziell und einmal offiziell. Wir haben jedes Wochenende in vollen Stadien gespielt, das gab es damals ja in Deutschland noch nicht. Fußball in Italien ist etwas anderes als in Deutschland, das pulsiert, ist eine Religion, Leidenschaft. Leiden gehört da auch mal dazu.
Mit Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann, der ein Jahr später hinzukam, bildeten Sie ja auch noch ein deutsches Spitzentrio bei Inter.
Andi und ich hatten natürlich einen Traumeinstand mit dem Scudetto. Andi Brehme wurde zum besten Spieler der Liga gewählt, ich landete auf Platz drei. Wir haben da gleich unseren Stempel aufgedrückt. Inter hatte eine gute und erfahrene Mannschaft. Aber wir haben einen gewissen Spirit von Bayern München, den Glauben an den Erfolg, mit nach Mailand gebracht und auf die Mannschaft übertragen. Ich glaube, die italienischen Spieler, die auch viel mit der Nationalmannschaft erreicht hatten, waren froh, dass wir da waren, um den Klub auch nach zehn Jahren wieder zur Meisterschaft zu führen. Das war natürlich ein perfekter Einstieg und hat uns alles einfacher gemacht.
Nun also gleich die Kracheraufgabe für die Bayern zu Beginn der neuen Champions-League-Saison.
Inter hatte viel Unruhe im Verein, mit dem Eigentümer und dem im Raum stehenden Verkauf seiner Anteile. Als sich alles beruhigt hatte, ist man erst Meister und in der letzten Saison mit einem Punkt Rückstand Vizemeister geworden. Sie haben eine starke Mannschaft, auch wenn sich der Ausfall von Romelu Lukaku bemerkbar machen wird.
Eine Chance für die Bayern?
Lukaku ist für mich einer der Ausnahmestürmer schlechthin im Weltfußball. Er wird fehlen. Edin Džeko könnte dafür spielen, wenn Inzaghi sein System nicht ändert. Im Derby gegen Milan hat er mit Correa und Martínez vorne gespielt. Sie haben gute Spieler, eine kompakte Mannschaft, sind physisch sehr präsent und haben in den vergangenen beiden Jahren ihre Hausaufgaben in der italienischen Liga sehr gut gemacht.
Lukaku nannten Sie im Sommer sogar als möglichen Lewandowski-Nachfolger in München …
Ich schätze Lukaku neben Karim Benzema und Robert Lewandowski als Nummer drei ein, wenn er sich wohlfühlt in einem Verein. Wenn man einen Eins-zu-eins-Nachfolger für Lewandowski gesucht hätte, wäre er für mich infrage gekommen. Aber das hat man am Ende ja nicht.
Stattdessen setzen die Bayern auf eine variable Offensive mit Sadio Mané, Jamal Musiala und Co. Wie gefällt Ihnen der neue FC Bayern bislang?
Solange es funktioniert, ist es gut. Ihr Fußball ist in den ersten Spielen nicht nur sehr erfolgreich gewesen, sondern auch sehr attraktiv. Nur hat man nun gegen Union Berlin und zuvor auch schon gegen Gladbach gesehen, dass es nicht immer einfach so weitergeht. Gegen Gladbach musste Nagelsmann mit Matthijs de Ligt zu einer Notlösung greifen, als es darum ging, einen physisch und kopfballstarken Spieler vorne reinzustellen. Er hat als Abwehrspieler nicht die Erfahrung wie ein Lewandowski oder auch ein Choupo-Moting, der wahrscheinlich reingekommen wäre, wenn er fit gewesen wäre. Es gibt eben auch Spiele, in denen Bayern einen echten Mittelstürmer braucht, der sich im Strafraum auskennt, sich dort aufhält, die Laufwege kennt, Robustheit mitbringt. Den hatte Bayern München zuletzt nicht, aber immerhin trotzdem sehr viele Torchancen.
Mané ist der neue Superstar im Klub, der Lewandowski-Ersatz. Auch für Sie?
Vom Namen her vielleicht schon, von der Position und Spielweise aber nicht. Auf ihn ist das Augenmerk gerichtet. Er hat eine positive Stimmung reingebracht. Mit seinem Lächeln, seiner Geschwindigkeit und Qualität hat er gleich einen guten Kontakt zu den Mitspielern und Fans gefunden. Deswegen kann der FC Bayern froh sein, dass man nach Lewandowski wieder einen Weltklassespieler – wenn auch mit einer anderen Art, Fußball zu spielen – für die Offensive bekommen hat.
Trainer Julian Nagelsmann wurden im Sommer einige Spielerwünsche erfüllt. Ist er deshalb jetzt besonders gefordert, steht unter Druck?
Mit der Kaderzusammenstellung ist er deutlich zufriedener als noch im vergangenen Jahr. Da gab es Spieler, an denen man zweifeln konnte. Dieses Jahr gibt es keine Ausreden mehr für Julian Nagelsmann. Er kann es sich nicht noch mal erlauben, gegen Villarreal aus der Champions League auszuscheiden oder im Pokal gegen Gladbach mit 0:5 zu verlieren. Der Kader ist stark zusammengestellt, gut aufgeteilt, jede Position doppelt oder dreifach besetzt. Die Mannschaft muss jetzt die Leistung bringen und Julian moderieren; die Spieler bei Laune halten – und zwar nicht nur über sechs Wochen, sondern übers ganze Jahr. Dann ist sehr viel drin für den FC Bayern.
Sind die Bayern für Sie ein Mitfavorit auf den Champions-League-Titel?
Bayern ist auf jeden Fall eine der zwei, drei Mannschaften, die die Champions League in diesem Jahr gewinnen können. Ich sehe aber auch Real Madrid weiterhin stark, obwohl Casemiro gegangen ist und Kroos sowie Modrić langsam in die Jahre kommen. Und auch Benzema vielleicht nicht noch mal so viele Tore schießen wird. Vor der vergangenen Saison hätte ich sie nie als möglichen Titelkandidaten gesehen. Aber Ancelotti macht da einen Riesenjob und da stehen schon wieder viele junge Spieler hintendran. Real hat zukunftsorientiert gedacht und gehandelt. Da ist viel Qualität da und eine gute Verbindung zwischen Trainer und Mannschaft.
Nur sechs Tage nach dem Inter-Spiel kommt es in München zum Duell mit Lewandowski und Barça. Schon richtungsweisend für den weiteren Verlauf in der Königklasse?
Ja, diese Aufgaben werden eine Herausforderung. Alle drei Teams wollen zumindest national die Meisterschaft gewinnen und haben sich das Ziel gesetzt, die Champions League zu gewinnen. Realistisch ist das am ehesten für den FC Bayern, der für mich auch in der Gruppe der Favorit ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Telefonisches Interview mit Lothar Matthäus