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Große Ankündigungen, hohe Erwartungen: Die Ampel wird von Versprechen eingeholt


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MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 17.01.2022Lesedauer: 7 Min.
Haben wir das wirklich versprochen?: Koalitionäre Christian Lindner, Robert Habeck, Annalena Baerbock und Olaf Scholz.Vergrößern des Bildes
Haben wir das wirklich versprochen?: Koalitionäre Christian Lindner, Robert Habeck, Annalena Baerbock und Olaf Scholz. (Quelle: imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

Politiker lavieren gern mit Satzungetümen, bei denen am Ende niemand weiß, was eigentlich Sache ist. Das ist oft auch das Ziel: reden, ohne etwas zu sagen.

Und so muss man eine ganze Weile zurückblicken, um einen Großmeister des puristischen Hauptsatzes zu finden. "Opposition ist Mist", rief Franz Müntefering 2004 den Delegierten des SPD-Parteitags zu. Selbst die, nun ja, Langfassung war knackig: "Opposition ist Mist. Lasst das die anderen machen – wir wollen regieren."

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Münteferings Kalkül: Ohne Macht ist alles nichts. In der Opposition lohnt es sich oft nicht einmal, kluge Papiere auszudrucken oder herumzumailen. Sie werden häufig eh nicht beachtet. Kritik, und sei sie noch so angemessen, verhallt zumeist. Und selbst berechtigte Forderungen haben es vielfach schwer. Wirklich umsetzen lassen sich Dinge nur, wenn man regiert.

Selbst wenn sich alle Beteiligten noch so sehr bemühen, bringt das Regieren aber immer auch Erschwernisse mit sich. Etwa, dass man an seinen eigenen Ankündigungen tatsächlich gemessen wird. Denn man kann sie ja umsetzen. Theoretisch.

Praktisch lassen sich die eigenen Ideen fast nie in der Pur-Version verwirklichen. In der Politik herrscht fast überall der Zwang zum Kompromiss. Und der schmeckt selten so gut wie ein frischgepresster Saft, meist eher so fad wie ein Nektar. Erschwerend kommen die Widrigkeiten des Lebens im Allgemeinen hinzu. Wenn der nach Aufmerksamkeit heischende Wladimir Putin nicht gerade Ärger macht, dann ein paar frustrierte Impfgegner. Oder sonst wer klagt über irgendetwas.

Opposition mag also Mist sein, aber Regierung ist deshalb noch längst nicht das reinste, goldgelbe Stroh. Dieses Zwischenfazit lässt sich auch bei der Ampel ziehen. Seit den ersten ernsthaften Annäherungsversuchen zwischen SPD, Grünen und FDP – dem Start der Sondierungen am 7. Oktober – sind gut 100 Tage vergangen.

Es fing ja schon mit der Verlobungsreise Richtung "Corona Freedom Day" an, die dann flugs abgebrochen werden musste. Und so richtig hat diese erste allgemeine Verunsicherung nicht nachgelassen, seit Olaf Scholz vor fast sechs Wochen zum Kanzler gewählt wurde.

Das bislang Erstaunlichste an Scholz ist, dass er sich in seiner kurzen Amtszeit bereits diverse Male konkret festgelegt hat, also angreifbar machte. Eigentlich ist er eher ein Freund der Merkel-Methode, erst dann ein halbwegs konkretes Ziel auszugeben, wenn es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erreichbar ist – also etwa Mitte Januar mit sehr entschlossener Miene zu sagen: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir im August höhere Temperaturen sehen werden."

Die Ankündigung der Regierung, bis zum 7. Januar sollten 80 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft sein, glich dagegen eher der Prophezeiung von August-Eisschollen auf dem Rhein. Entsprechend musste das kurz vor Weihnachten ausgegebene Ziel noch während der Feiertage kassiert werden. Als neue Deadline für diese Quote gab Scholz dann Ende Januar aus. Dafür müsste es in den kommenden zwei Wochen allerdings rund vier Millionen Erstimpfungen geben, wofür ein Wunder hilfreich wäre. Das gilt inzwischen auch für den Wunsch des Kanzlers, dass es bis Anfang März eine Impfpflicht gibt.

Mit Sätzen, die nicht gut gealtert sind, sammelte zuletzt auch Christian Lindner Erfahrungen. Etwa bei der Schuldenbremse. "Wenn man die bestehenden Kreditermächtigungen jetzt nutzt, um gewissermaßen einen Vorrat anzulegen für eine neue Koalition, das wäre nicht seriös", sagte der Bundesfinanzminister noch im Oktober.

Doch als er im Dezember seinen ersten Nachtragshaushalt vorlegte, machte er genau das: Er nutzte rund 60 Milliarden an Krediten, die der Bundestag wegen der Pandemie zwar gebilligt hatte, die aber nicht verbraucht wurden. Es war ein charmanter Ausweg aus den selbst geschaffenen Zwängen der Koalition (Wir wollen viel mehr investieren, aber nicht die Steuern erhöhen). Nur: Juristisch ganz sauber ist das Manöver nicht.

Zuletzt holte Lindner auch noch eine Szene aus dem Wahlkampf ein. Einem Ungeimpften, der sich diskriminiert fühlt, sagte er: "Dann können Sie zur FDP kommen." Die sei nämlich der Auffassung, dass Ungeimpfte nicht diskriminiert werden sollten. Inzwischen haben die Liberalen allerdings längst die 2G-Regeln mitgetragen. Und selbst eine Impfpflicht schließt Lindner nicht mehr aus.

Im Vergleich zu den sozialdemokratischen und liberalen Realitätsschocks hatten es die Grünen bislang leichter. Annalena Baerbock punktete damit, dass sie durch die Welt reiste und eine klarere Kante etwa gegenüber Russland und China forderte. Und Robert Habeck stellte erst mal eine sogenannte Eröffnungsbilanz zum Klimaschutz vor, die vor allem die Mängel seiner Vorgänger verdeutlichte.

Nur wird es auch an diese beiden Minister eher früher als später unangenehme Fragen aus der Wirklichkeit geben: Frau Baerbock, was hat sich denn durch Ihre moralischen Appelle konkret geändert? Herr Habeck, warum gibt es noch immer nicht die so dringend benötigten Windräder?

Daran, dass sie in der Regierung fast alles verfolgt, müssen sich alle neuen Partner noch gewöhnen: Die SPD, weil sie als Kanzlerpartei entsprechend viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Grünen, weil sie 16 Jahre nicht an der Macht waren. Die FDP, weil die Regierungszeit, an die sie sich gern erinnert, im vergangenen Jahrhundert liegt.

Bis zur nächsten Wahl sind es mehr als dreieinhalb Jahre. Was der Regierung bis dahin noch alles ge- und misslingt, weiß niemand. Die Latte hat sie auf jeden Fall hoch gehängt: "Klar kann man scheitern, wenn man sich Großes vornimmt", sagte Habeck vergangene Woche im ZDF. Die Alternative sei aber, sich aus Angst vor dem Scheitern nichts mehr vorzunehmen. "Wer will so eine Bundesregierung haben? Ich hätte keinen Bock, in solch einer Regierung Minister zu sein."

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Franz Müntefering würde das vielleicht so ausdrücken: "Opposition ist Mist. Eine schlechte Regierung aber erst recht."


Digitales Davos

Unter dem Titel "The Davos Agenda" startet das Online-Treffen des Weltwirtschaftsforums. Statt in einem völlig überfüllten Ort in den Schweizer Bergen sitzen die Teilnehmer irgendwo im Büro oder im Homeoffice. Ein reales Treffen peilen die Veranstalter für den Frühsommer an. Auch bei der virtuellen Konferenz ist die Liste der prominenten Redner lang: Am Montag sind unter anderem der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping und Indiens Premierminister Narendra Modi dabei.


Analoges Madrid

Paris, Brüssel, Warschau, Rom – und heute Madrid: Olaf Scholz setzt seine Antrittsbesuche in Europa fort. Er trifft den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez. Mein Kollege Johannes Bebermeier ist mit dem Kanzler unterwegs und wird den Kurztrip am Abend bilanzieren.


Real existierende Probleme

Annalena Baerbock reist am Morgen in die Ukraine. Dort trifft sie neben ihrem Amtskollegen Dmytro Kuleba auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Nachmittags geht es für die deutsche Außenministerin weiter nach Moskau. Dort stehen am Dienstag Gespräche an, die angesichts der drohenden Eskalation an der russisch-ukrainischen Grenze alles andere als angenehm werden dürften.

Zumal sich am Montag die Rückkehr des Kreml-Gegners Alexej Nawalny in seine Heimat und seine Festnahme jährt. Finanzminister Christian Lindner erinnert regelmäßig daran. Am Sonntag twitterte er: "Es darf nicht in Vergessenheit geraten: Er ist bedroht, vergiftet und inhaftiert worden. Dennoch schweigt er nicht. Er ist ein unbeugsamer Kämpfer für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit."


Lewandowski zum Zweiten?

Die Fifa gibt ab 19 Uhr bekannt, wer Weltfußballerin und Weltfußballer des Jahres 2021 ist. 2020 gewannen die Engländerin Lucy Bronze und der Pole Robert Lewandowski. Der Bayern-Spieler könnte den Titel auch dieses Mal bekommen. Er ist neben Lionel Messi von Paris Saint-Germain und Liverpools Mohamed Salah einer der drei Finalisten.


Die spielen tatsächlich auch noch Tennis

Ach ja, die Australian Open haben übrigens in der Nacht zu Montag begonnen. Ob das Turnier so spannend wird wie das Vorspiel, muss sich zeigen. Fest steht nur: Novak Djokovic wird nicht seinen 21. Grand-Slam-Titel holen und damit nicht neuer Rekordhalter werden. Er musste Australien verlassen und hat nun viel Zeit, sich Gedanken zu machen, wie seine Karriere als Ungeimpfter weitergehen soll.


Was lesen?

Viele von Ihnen haben es zu Recht angemerkt: Der Tagesanbruch am Samstag enthielt eine veraltete Karte, auf der Deutschland noch geteilt dargestellt war. Wir danken für die Hinweise und bitten, den Fehler zu entschuldigen.


Auch am Montag wird es in vielen Städten wieder zu Protesten gegen die Corona-Maßnahmen kommen. Ein Teil der Demonstranten befindet sich im Fadenkreuz der Geheimdienste, wie Recherchen meiner Kollegen Carl Exner und Nicolas Lindken zeigen.

Meine Kollegin Lisa Becke ist darüber hinaus der Frage nachgegangen, ob Deutschland tatsächlich mit die strengsten Corona-Regeln der Welt hat, wie es ein Ranking der Universität Oxford nahelegt. Warum sich das so pauschal nicht sagen lässt, hat ihr Projektleiter Thomas Hale erklärt.

Und es gibt noch ein bemerkenswertes Corona-Thema: "Warte du Bitch, irgendwann hast du Feierabend" oder "Du sollst verrecken" – solche Drohungen durch Impfgegner gehören in vielen Geschäften angesichts der 2G-Regel zum Alltag. Das zeigt eine interne Übersicht einer großen Modekette, über die meine Kollegen Florian Schmidt und Mauritius Kloft berichten.


Der erste Auftritt von Donald Trump in diesem Jahr fand am Wochenende im Bundesstaat Arizona statt. Dort zeigte der Ex-Präsident, dass er die totale Kontrolle über seine Partei und die künftigen Wahlergebnisse will – so die erschütternde Bilanz unseres US-Korrespondenten Bastian Brauns.


Immer wieder war Kalifornien eine Erdbeben-Katastrophe vorhergesagt worden, am 17. Januar 1994 zeigte die Natur dann ihr enormes Zerstörungspotenzial. Was genau geschehen ist, lesen Sie hier.


Was mich amüsiert

Also: Nie zu viel auf einmal wollen! Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms für Sie.

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell

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Mit Material von dpa.

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