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Bundestagswahl 2021: "Wer sagt Armin Laschet, dass seine Zeit vorbei ist?"


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Tagesanbruch
Es wird peinlich

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Wer sagt Armin Laschet, dass seine Zeit vorbei ist?Vergrößern des Bildes
Wer sagt Armin Laschet, dass seine Zeit vorbei ist? (Quelle: Fabrizio Bensch/REUTERS)
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So viel Realitätsverleugnung

Autosuggestion ist eine tückische Kunst. Wer sie beherrscht, redet sich so lange etwas ein, bis er selbst daran glaubt. In der Geschichte deutscher Regierungsbildungen gab es immer wieder Politiker, die sich der Autosuggestion hingaben, und meistens endete es damit, dass sie sich kolossal lächerlich machten. Gerhard Schröder gebärdete sich in der TV-Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005 wie ein Gorilla und sprach der Wahlsiegerin Angela Merkel die Fähigkeit ab, eine Regierung mit seiner SPD zu bilden. Es dauerte Wochen, bis er seine Niederlage endlich einsah. Dann war er weg vom Fenster. Martin Schulz schloss nach seinem Wahldebakel 2017 eine Neuauflage der großen Koalition vehement aus und wollte partout nicht als Minister unter Frau Merkel dienen. Doch als die Jamaika-Sondierungen platzten und die SPD doch wieder in ein schwarz-rotes Bündnis schlitterte, fiel ihm plötzlich ein, dass er gerne Außenminister sein würde. Seine Glaubwürdigkeit war im Eimer, er landete auf den hinteren Bänken des Bundestags.

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Nun übt sich auch Armin Laschet in Autosuggestion. Als Spitzenkandidat der Union hat er die Bundestagswahl krachend verloren, seine persönlichen Umfragewerte sind noch viel schlechter als die seiner Partei – trotzdem redet er sich selbst ein, dass er doch einen prima Kanzler abgeben könnte. Gestern klangen seine Ansagen etwas weniger forsch als am Wahlabend, weil man im Bundesvorstand der CDU zu begreifen beginnt, dass man als Mäuschen lieber nicht den starken Max spiele sollte – doch die Selbsttäuschung wirkt immer noch: Herr Laschet will mit den Grünen und der FDP "auf Augenhöhe" über ein Jamaika-Bündnis verhandeln. Auch den Rettungsanker des Fraktionsvorsitzes der Bundestagsfraktion hat er ausgeschlagen: Ralph Brinkhaus dürfte heute wiedergewählt werden, falls Markus Söder ihm seinen Segen gibt. Damit bleiben Armin Laschet nur zwei Wege: Entweder humpelt er doch noch ins Kanzleramt, indem er sich von den Grünen und der FDP sämtliche Wünsche diktieren lässt (Tempo 130, vorgezogener Kohleausstieg, Bürokratiebremse, Milliarden für Bildung, außerdem das Finanz-, Außen-, Verkehrs-, Umwelt- und ein Digitalisierungsministerium – mindestens). Oder er landet wie weiland die Herren Schröder und Schulz im politischen Aus.

Man kann Armin Laschet für seine nonchalante Sturheit Respekt zollen. Was dieser Mann seit Monaten an Kritik und Tiefschlägen wegsteckt, ist beeindruckend – und das demokratische Prozedere eröffnet eben auch dem Zweitplatzierten einer Bundestagswahl die Chance aufs Kanzleramt. Oder man schüttelt den Kopf über so viel Realitätsverleugnung, wie es auch viele unserer Leserinnen und Leser tun. "Laschet ist der große Wahlverlierer! Aber er fühlt sich berufen, die neue Regierung zu bilden. Damit würde der Wählerwille auf den Kopf gestellt", schreibt Jürgen Beller. "Laschet war und ist nicht imstande, seine Niederlage einzugestehen! Typisch und üblich für die Schwarzen", kritisiert Renate Dietrich. "Ich bin sehr erschüttert zu hören, dass Herr Laschet andenkt, der Kanzler für uns zu sein. Hier spiegelt sich das Abbild der Machtbesessenheit. Es geht ihm nicht um uns Menschen in diesem Land, sondern nur um seine Position", meint Andreas Ruthe. Und Oliver Paskowski kündigt sogar an: "Wenn Laschet Kanzler wird, wähle ich nie wieder, denn dann fühle ich mich betrogen."

Auch viele professionelle Beobachter fällen ein klares Urteil. "Wenn Armin Laschet Anstand und Haltung hat, muss er zurücktreten", sagt der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke. "Für alle Beteiligten wäre eine schnelle Entscheidung besser als eine wochenlange Hängepartie." Selbst aus der Union kommen erste Rücktrittsforderungen. "Ich wünschte, es gäbe eine Selbsterkenntnis", schrieb die CDU-Politikerin Ellen Demuth gestern in einem vielbeachteten Tweet. "Armin Laschet, Sie haben verloren. Bitte haben Sie Einsicht. Wenden Sie weiteren Schaden von der CDU ab und treten Sie zurück."

Solche Stimmen als Einzelmeinungen abzutun, wäre falsch. Man hört sie überall im Land. Eine ARD-Umfrage bestätigte gestern Abend den Trend. Demnach favorisiert die Mehrheit der Bürger eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. 62 Prozent der Befragten wünschen sich Olaf Scholz als Kanzler, nur 16 Prozent Armin Laschet. Umfragen geben nur ein Stimmungsbild wieder, und Stimmungen können sich auch wieder drehen. Aber dieses Bild ist eindeutig, gegen eine derart klare Mehrheit lässt sich kaum eine breit akzeptierte Regierung bilden.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hat gestern eine "klare, schonungslose Analyse" der Wahlniederlage versprochen. Diese müsse "brutal offen sein", es gebe "keinen Grund, irgendetwas schönzureden". Wenn er sowie Volker Bouffier, Julia Klöckner, Jens Spahn und die anderen CDU-Vorstände dieses Versprechen ernst meinen, sollten sie schnell den naheliegenden Schluss ziehen: Der Wahlkampf war ein Reinfall, der Griff nach dem Kanzleramt ist angesichts der Wahlpleite geradezu peinlich, und das Beste, was CDU und CSU jetzt passieren kann, ist ein Neuaufbau in der Opposition. Andernfalls könnte die Autosuggestion nicht nur Herrn Laschet, sondern auch noch weitere Unionsleute ins politische Aus befördern.


Untreue-Prozess bei VW

Bis zu 750.000 Euro im Jahr verdiente der ehemalige VW-Betriebsratsboss Bernd Osterloh. Ob das angemessen war, klärt das Landgericht Braunschweig: Dort müssen sich drei ehemalige und ein amtierender Personalmanager verantworten, weil sie sich Arbeitnehmervertreter mit üppigen Gehältern gewogen gemacht und dem Konzern so einen Schaden von mehr als fünf Millionen Euro zugefügt haben sollen. Eine Praxis, die aus der Vergangenheit von VW nur zu gut bekannt ist. Während die Staatsanwaltschaft für die Angeklagten Bewährungsstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren sowie Geldstrafen fordert, beantragt die Verteidigung Freisprüche: Die hohen Gehälter seien in Ordnung gewesen, da die Betriebsräte "beachtliche Karrieren" hingelegt und oft "auf Augenhöhe" mit dem Management verhandelt hätten. Heute wird das Urteil erwartet.


Steinmeier im Ruhrgebiet

Weil die einheimischen Arbeitskräfte nicht mehr ausreichten, um das "Wirtschaftswunder" anzukurbeln, schloss die Bundesrepublik ab den 1950er-Jahren mit mehreren Ländern Anwerbeabkommen: zunächst mit Italien, Spanien und Griechenland, am 30. Oktober 1961 auch mit der Türkei. Millionen Menschen kamen in der Folge als "Gastarbeiter" oder deren Familienangehörige nach Deutschland – und viele von ihnen blieben dauerhaft. Zum bevorstehenden 60. Jubiläum des Vertrags besucht Frank-Walter Steinmeier heute im Ruhrgebiet eine Stahlfabrik und einen deutsch-türkischen Sportverein. Wie sagte der Bundespräsident neulich treffend: "Wir sind ein Land mit Migrationshintergrund.“

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007 ist zurück

Mehrfach wurde der Starttermin verschoben, an diesem Donnerstag ist es endlich so weit: Der 25. James-Bond-Film "Keine Zeit zu sterben" kommt ins Kino (hier sehen Sie den Trailer). Schon heute feiert Daniel Craigs Abschiedsvorstellung als 007 in London Weltpremiere. Zur Vorführung in der Royal Albert Hall kommen Thronfolger Prinz Charles nebst Gattin Camilla sowie Prinz William und Herzogin Kate. Anschließend gibt es garantiert Wodka Martini. Geschüttelt, nicht… na, das wissen Sie ja.


Was lesen und anschauen?

Zahlreiche Spitzenpolitiker haben in der Livesendung unserer Redaktion das Bundestagswahlergebnis kommentiert, besonders eine FDP-Politikerin beeindruckte viele Zuschauer. Hier können Sie die Sendung nochmals sehen.


Die AfD wird stärkste Kraft in zwei Bundesländern – vordergründig ist das bestürzend. Doch bei näherem Hinsehen ist ihr bundesweites Wahlergebnis ein Rückschlag, berichtet meine Kollegin Annika Leister.



Königsmacher der nächsten Bundesregierung dürften die Grünen und die FDP werden. Unsere Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert beschreiben, wie die Verhandlungen jetzt laufen. Gemeinsam mit Titus Blome erklärt Tim Kummert außerdem, wie Armin Laschet nun die Zeit davonläuft.


Was amüsiert mich?

Mit Autosuggestion kann man sogar beim Psychiater landen.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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